Ein Superheld im Super-Wirr-Warr

Roman| Alina Bronsky: Nenn mich einfach Superheld

Wie kann das arme Opfer eines Kampfhundunfalls ein Superheld sein? In Alina Bronskys Roman Nenn mich einfach Superheld beweist Marek genau dies, indem er das Leben mit all seinen Problemen, Verrücktheiten und Liebeleien gekonnt meistert – mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus in petto. Von ANNA NISCH

superheldEin fideler, selbstbewusster End-Teenager. Frech, nie um einen Spruch verlegen und auch bei den Mädchen kommt Marek gut an. Doch sein Leben ändert sich. Ein Rottweiler fällt ihn an und entstellt ihn für immer. Seit einem Jahr schaut Marek nicht mehr in den Spiegel und verschanzt sich meist zu Hause. Wenn er vor die Tür geht, setzt er stets eine seiner unzähligen Sonnenbrillen auf.

Seine Mutter, eine leicht notorische Scheidungsanwältin in zu kurzen Röcken, die er wenig liebevoll Claudia nennt, kann die Resignation ihres Sohnes nicht weiter ertragen. Unter einem Vorwand lockt sie ihn in eine Selbsthilfegruppe für – wie sagt man – körperlich Benachteiligte vielleicht.

Ein Sozialguru zum Anfassen

Das Opening: Marek und fünf weitere vom Leben gezeichnete Gestalten sitzen mit ihrem »Guru«-Kursleiter in einem Stuhlkreis. Der Erste hat eine Beinprothese. Der Zweite, »ein schwammiges, teigiges Etwas«, leidet unter einer unheilbaren Krankheit, die allmählich seine Organe zersetzt. Der Dritte wäre lieber die Dritte im Bunde, nennt sich selbst Psycho-Tunte und hält sich ein imaginäres Haustier. Dann ist da noch der äußerlich makellose, zu hassende Schönling mit einem ungünstigen Manko – er ist blind. Und natürlich das Scheewittchen im Rollstuhl – der Grund für Marek doch nicht gleich abzuhauen.

Mitleid mit Marek zu haben, wäre mehr als berechtigt. Stets wird er von Menschen angestarrt, kommt um die Fragen nach dem wann und wo und wie des Unfalls nicht herum. Ein ganz normales Leben? – Unmöglich! Verständlich, dass er oft neidisch ist auf den Wels in seinem Aquarium, »dessen ganzer Lebensinhalt es war, einen runden Stein abzulutschen« und der »vor lauter Lutschen auch den Weltuntergang nicht mitgekriegt hätte!« Trotzdem kann und will kein Mitleid entstehen. Die spitzbübische Art des Protagonisten, die durch seine Erzählperspektive vermittelt wird, tilgt die Relevanz seiner Optik.

Die skurrile Geschichte der Behinderten, die aufeinander treffen, von ihrem Guru permanent gefilmt und auch noch auf eine Art Klassenfahrt verschleppt werden, schafft etwas ganz Besonderes. Zunächst will man eher verhalten lachen, wenn ernsthafte Schicksale und witzige Geschehnisse miteinander verschmelzen. Jedoch brauchen die Figuren des Romans ein Lachen als Anerkennung: Auch sie sind nur junge Menschen, die sich prügeln, sich verlieben und über die man lachen muss, wenn sie in komische Situationen geraten.

Gruppenbild mit Hund

Soweit so gut. Doch die Geschichte geht weiter und das ist ihr Problem. Der plötzliche Verlust des Vaters verlangt den Abbruch des Therapiewochenendes. Leser und Protagonist führt es an einen weiteren Schauplatz. Im Haus der neuen Frau und Jungwitwe des Vaters, die auch noch Mareks ehemaliges Au-Pair Mädchen ist, trifft Marek auf seinen kleinen Halbbruder. In ihm scheint er sich wiederzuerkennen, lässt sich von seiner kindlichen Naivität anstecken und schenkt ihm letztlich sogar – mit Überwindung – einen Hund.

So nett und unterhaltsam alles beginnt, am Ende steht der Leser etwas verloren da. Den interessanten Verwicklungen wird nicht weiter nachgegangen. Das Schneewittchen im Rollstuhl taucht zwar plötzlich mitsamt der Selbsthilfegruppe am neuen Schauplatz auf, ist aber sonst nicht nur querschnitts-, sondern auch handlungsgelähmt. Die Video-Dokumentation des Gurus nicht mehr von Bedeutung.

Stattdessen eine Art Ersatz-Affäre mit der jungen Witwe, die Thematisierung ihrer Überforderung mit der Mutterrolle und ein zwar berührendes, aber dafür zu dezentes Mutter-Sohn Geplänkel. Vielleicht hätte die Autorin ihren Roman im zweiten Teil ein wenig mehr entpsychologisieren sollen. Der Charme des witzigen Grundszenarios allein reicht völlig aus, um die Message »Life goes on« auf den Punkt zu bringen. Autobiografische Einflüsse und komplexe familiäre Thematiken wären prima Stoff für ein neues Buch.

Dennoch: Die Autorin mit dem Pseudonym Alina Bronsky, bekannt durch ihren Bestseller Scherbenpark hat wieder eine filmhaft bunte Geschichte entworfen, die zum Grübeln und Lachen gleichermaßen anregt. Rasant und nie langweilig. Vor allem ein Buch mit Biss!

| ANNA NISCH

Titelangaben:
Alina Bronsky: Nenn mich einfach Superheld
Köln: Kiepenheuer&Witsch 2013
240 Seiten. 16,99 Euro

Reinschauen
Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Erzählen im freien Fall

Nächster Artikel

Crumb sei Dank

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Zwei Freunde – ein Verbrechen

Roman | Bernhard Aichner: Bösland

Tote gibt es noch in Bernhard Aichners neuem Thriller – aber keine Totengräber(innen) mehr. Stattdessen lässt der Tiroler Autor in Bösland zwei Männer aufeinander los, deren Freundschaft einst ein Verbrechen auseinanderbrachte. Aber hat sich die brutale Ermordung der damals dreizehnjährigen Matilda tatsächlich so abgespielt, wie es die ganze Welt aus den Nachrichten erfuhr? Von DIETMAR JACOBSEN

Ungleiche Freunde

Roman | Torsten Schulz: Nilowsky Torsten Schulz’ neuer Roman Nilowsky portraitiert Berlin und schwierige Beziehungen seiner Bewohner. Gelesen von PETER MOHR

Auf sein Gefühl vertrauen, kann manchmal tödlich sein

Roman | Candice Fox: 606

Aus dem fiktiven Hochsicherheitsgefängnis Pronghorn in der Wüste Nevadas entfliehen fast sämtliche Insassen, 606 teils schwerkriminelle Häftlinge. Captain Celine Osbourne, die Leiterin des Todestrakts der Anstalt, ist vor allem daran interessiert, einen der Flüchtigen schnell wieder einzufangen: John Kradle, vor fünf Jahren wegen dreifachen Mordes verurteilt. Der freilich will die unverhoffte Gelegenheit dazu nutzen, endlich seine Unschuld zu beweisen und den wahren Mörder seiner Frau, seines Sohnes und seiner Schwägerin zu finden. Allerdings heftet sich gleich als die Gefängnismauern hinter ihm liegen ein gefährlicher Psychopath an seine Fersen. Und auch U.S. Marshal Trinity Parker, nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel, setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um die entwichenen Schwerverbrecher schnellstmöglich wieder hinter Gitter zu bringen. Condice Fox 606 gelesen von DIETMAR JACOBSEN

Bisse sind Küsse

Roman | Simone Lappert: Wurfschatten Der jungen Schweizer Autorin Simone Lappert ist eine besondere Lovestory gelungen. In ihrem Debütroman ›Wurfschatten‹ erzählt sie uns von der Ambivalenz von Liebe und Tod auf eine sehr erfrischend doppelsinnige, stellenweise sogar humoreske Art. Von HUBERT HOLZMANN

Sie sind wieder da

Roman | Max Annas: Tanz im Dunkel

Max Annas‘ neuer, sein elfter Roman spielt in seiner Geburtsstadt Köln. Angeregt wurde das, was er über eine kleine Gruppe Jugendlicher und einen das Recht in die eigenen Hände nehmenden Mann, der zum Mörder wird, weil man es im offiziellen Nachkriegsdeutschland mit der Bestrafung der Täter aus den Nazijahren nicht so ernst nimmt, von einer alten Erzählung seiner Mutter. Darin war die Rede davon gewesen, dass ein am Heiligabend 1959 an der Mauer einer Kölner Synagoge aufgetauchtes Hakenkreuz die erste Schmiererei dieser Art seit dem Kriegsende gewesen sei. Lange musste Annas sicher nicht recherchieren, um diese Geschichte als Legende zu entlarven. Nun hat er sie eingebaut in einen Thriller, in dem es um die Nichtbewältigung der deutschen Vergangenheit, neonazistische Umtriebe und latenten Antisemitismus geht und der damit durchaus auch eine Menge mit unserer Gegenwart zu tun hat. Von DIETMAR JACOBSEN