Roman | Julia Deck: Viviane Élisabeth Fauville
Der Debütroman Viviane Élisabeth Fauville der französischen Autorin und Journalistin Julia Deck ist zunächst nicht das, was er zu sein scheint – und ist es am Ende doch: ein klassischer Krimi. Allerdings liegt die Spannung nicht auf der Klärung des Mordfalls. Die Täterin ist schließlich von Beginn an bekannt – oder etwa nicht? Ein kriminalistisches Verwirrspiel gelesen von ANNA NISCH
Wer nach der Lektüre von Julia Decks Erstlingswerk das Verständnis bringende Aha-Erlebnis erwartet, muss enttäuscht werden. Wie aber auch soll dieses eintreten? Schließlich haben wir es mit dem Leben einer psychisch kranken Frau zu tun, die alleinerziehend ist und dazu noch ihren Therapeuten umgebracht hat. Mehr noch: Wir, die Leser selbst, werden aufgefordert, die Welt mit den Augen der Protagonistin zu sehen, wenn es heißt: »Sie sind der Kollateralschaden eines Verbrechens, und Sie können es nicht fassen.«
Viviane Élisabeth Fauville ist zweiundvierzig Jahre alt und vor Kurzem erstmals Mutter einer kleinen Tochter geworden. Ihr schöner Mann hat sie jedoch für eine Jüngere verlassen, die ausgerechnet die Frau ist, die die junge Mutter vorübergehend beruflich vertritt und auch noch eine starke Konkurrenz darstellt. Seit drei Jahren ist Viviane in psychiatrischer Behandlung, da sie oft an Schwindelanfällen und Zusammenbrüchen leidet. Die Therapie ist allerdings mehr frustrierend als hilfreich. Kurzerhand birgt so der Messerblock, das Hochzeitsgeschenk, das man zuvor aus der Wohnung des zukünftigen Ex-Manns entwendet hat, die Lösung der Probleme – und der Therapeut wird erstochen.
Ir(re)-Realität
Wider Erwarten flieht Viviane nicht, sondern spürt ihrer eigenen Tat nach. Immer mit dem Kind im Arm, das ihr Halt gibt. Sie sucht jeden einzelnen Zeugen auf, erfährt mehr über die Schicksale der Angehörigen des Opfers. Da ist die Frau, die lange schon nicht mehr bei ihrem Mann wohnt, sondern mit einem weniger erfolgreichen Psychiater ein Verhältnis unterhält. Da ist die Geliebte des Toten, die hochschwangere Doktorandin, die nie auf eine ernsthafte Beziehung hoffen durfte. Da ist die eigene Mutter, die doch eigentlich seit acht Jahren tot ist. Und da ist wieder der Schwindel …
Schwindelig wird auch dem Leser bei der rasanten Erzähltechnik Decks mit zahlreichen Wechseln der Erzählperspektive. Präzise Beschreibungen der Pariser Arrondissements machen das Szenario gestochen scharf. Doch immer wieder variiert die Autorin die Distanz zur Protagonistin, wechselt von der zweiten in die dritte Person Singular, dann wieder in die dritte Person Plural oder die erste Person Singular. Und plötzlich finden wir uns auch noch in der Perspektive einer anderen Figur wieder.
Die wirre, aber lakonisch-komische und doch nachdenkliche Lektüre ist primär an die Frau gerichtet, entbehrt aber dankbarerweise jeglicher Art von Kitsch und Co. Das liegt auch an der gelungenen Übersetzung von Anne Weber. Auf puristische Art zieht die Geschichte die Leserin in den Bann und überrascht sie immer wieder. Dieser erste Romans Decks war hoffentlich nicht ihr letzter.
| ANNA NISCH
Titelangaben
Julia Deck: Viviane Élisabeth Fauville (Viviane Élisabeth Fauville, 2013)
Deutsch von Anne Weber
Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2013
144 Seiten. 16,90 Euro
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Über die Autorin