Tauchgang ohne Tiefgang

Comic | Supiot/Beuzelin: Der Narwal

Der zynische Profitaucher Robert Narwal schwimmt, schnorchelt, prügelt und meckert sich durch ein Comicalbum voller Abenteuer – oder durch Geschichten, die eines bilden: einen Comic, der trotz vieler Qualitäten von Liebhabern des frankobelgischen Abenteuercomics mit Vorsicht zu genießen ist. BORIS KUNZ ist ein solcher.

Supiot/Beuzelin: Der Narwal
Zunächst einmal deuten alle Zeichen auf ein spannendes Abenteuer. Ein Erzähltext nordet auf das Setting ein: »Frankreich, 50 Seemeilen vor der Küste Ciotats. Autonomes Ozeanografisches Labor Aquanox.« In großformatigen Zeichnungen, die wie eine moderne Ausführung von Hugo Pratts Corto Maltese wirken, bekommen wir die Vorbereitung einer delikaten Tauchexpedition vorgeführt. Ein Taucher in modernster Ausrüstung wird zum Wrack eines Containerschiffes heruntergelassen, das sich in einer unzugänglichen Position am Grund einer Schlucht befindet. Dort hat er die Aufgabe, ein geheimnisvolles Etwas sicher zu stellen, das auf den kryptischen Namen N 515 hört und auf dem Meeresgrund eine Verseuchung auslösen könnte. Doch auch eine andere Partei scheint hinter dem N 515 her zu sein. Und plötzlich taucht ein geheimnisvolles Objekt unter Wasser auf, das genau auf den Rumpf der Aquanox zuhält …

Die Gefahr an der Oberfläche

Ach, was schwingt da alles mit: Diese Mischung aus Krimi und Abenteuergeschichte, aus exotischen Schauplätzen und moderner Technik! Der Auftakt wirkt ein wenig wie eine Pre-Title-Sequenz aus einem klassischen James-Bond-Film. Und wer im frankobelgischen Abenteuercomic belesen ist, bei dem werden natürlich Erinnerungen an die zahlreichen Unterwasserabenteuer von Spirou wach, an weit gereiste Helden wie Theodor Pussel, an große Klassiker wie Blake und Mortimer – im modernen Gewand allerdings; die Zeichnungen haben Anklänge an Helden ohne Skrupel oder sogar 100 Bullets und stimmen einen auf eine zynischere, etwas erwachsenere Erzählhaltung ein, in der es keine jugendlichen Helden mit weißer Pfadfinderweste gibt, sondern die etwas abgebrühtere Sorte Comicheld. Irgendwie ist das dann auch tatsächlich das, was dieses Comicalbum liefert. Es gibt aber einen Haken: Die Geschichte ist nach knapp 10 Seiten schon wieder vorbei.

Der Band Der Narwal – Der Mann der Tiefe versammelt 10 Kurzgeschichten um Robert »Bob« Narwal, einen professionellen Taucher mit Segelohren, eigenwilliger Frisur und dem Gehabe eines Humphrey Bogart oder Alain Delon. Narwal wird in allerhand Abenteuer verstrickt, die überall dort stattfinden, wo man theoretisch einen Taucher hinein- und hinunterschicken könnte. Egal, ob Schatzsuche in der Karibik ist, geheimnisvolle Mission in der Pariser Kanalisation, alte Zisterne mitten in der Wüste, Piratenüberfälle vor der Küste Somalias, wissenschaftliche Missionen in der Arktis oder Geisterspuk in einem bretonischen Leuchtturm: Der Antiheld Narwal ist überall zur Stelle, wo man im oder am Wasser in große Schwierigkeiten geraten kann. Oder geraten könnte, denn weil die Abenteuer von Narwal nach gut 10 Seiten vorbei sind, bleibt bei keiner Geschichte die Möglichkeit, sozusagen weiter in die Tiefe vorzudringen. Direkt nach einer vielversprechenden Exposition folgt die Auflösung, die der Story einen mehr oder weniger unerwarteten Twist gibt. Oft enden die Storys damit, dass Bob am Ende hereingelegt wird, dass er feststellen muss, dass Verbrecher ihn für dunkle Pläne missbraucht haben, und nicht selten gibt es am Ende auch Tote und mehr Verlierer als Gewinner. Gegen die Gefahren, die dem Menschen von seinen Mitmenschen drohen, ist selbst ein Tauchgang unter dem Packeis der Arktis harmlos.

Eine zynische Liebeserklärung

Diese Haltung macht den Comic recht sympathisch, auch wenn seine Hauptfigur zuweilen ein großer Unsympath sein kann. Narwal ist kein strahlender Held, sondern jemand, der sich mit seinem Talent mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt. Manchmal kann er dem Leben ein Schnippchen schlagen, manchmal bezieht er ordentlich Prügel. Sieht man bei den Episoden um Narwal genauer hin, entdeckt man keine Abenteuerstorys, sondern abgefeimte, kleine Kriminalgeschichten im Stile des Film Noir. Diese allerdings finden vor großartiger Kulisse statt: Ob im tiefen Blau des Ozeans, im Sandbraun der Wüste oder vor dem schweren Grau eines sturmgepeitschten Himmels, Zeichner Boris Beuzelin kann mit wenigen, reduzierten Strichen tolle Szenerien erschaffen. Die meisten der Figuren sind am Rande der Karikatur, die Darstellungen von Schiffen, Fahrzeugen und all den Taucherausrüstungen wirken dagegen nüchtern souverän, ohne mit zu großer Detailfreude vom Wesentlichen abzulenken. Für Beuzelin war es ein sichtbares Vergnügen, sich auf knapp 100 Seiten in zehn sehr unterschiedlichen Welten aufhalten zu dürfen. Der Autor Olivier Supiot allerdings scheint diese permanenten Ortswechsel eher benutzt zu haben, um sich seinen Job leichter zu machen.

Auch wenn sie handwerklich gut gemacht und flott erzählt ist, hat es diese Kurzgeschichtensammlung schwer, den Leser befriedigt zurückzulassen: Die Geschichten sind zu kurz, um richtig in das Abenteuer »einzutauchen«. Die Schlusspointen sind leider nicht immer clever oder überraschend genug, um für das rasche Ende der Erzählung zu entschädigen. Sie machen zwar Lust auf mehr, leisten aber zu wenig, um in ihrer Reduktion zu bestehen. Man hat eine Menge Appetithäppchen bekommen, aber kein sättigendes Menü mit ordentlichem Hauptgang. An exotischen Locations und coolen Grundideen herrscht beileibe kein Mangel, aber da diese nicht durch einen durchgehenden Handlungsfaden miteinander verbunden sind, bleiben sie ein Potpourri. Böse formuliert: Wenn jemand von einer klassischen Abenteuerserie jeweils die ersten und letzten fünf Seiten aller Bände in ein großes Album gepackt hätte, um dieses als Werbematerial auf dem Gratis-Comic-Tag zu verschenken, dann entspräche das ungefähr der Leseerfahrung bei Narwal: Comics, die zeigen, was für spannende Abenteuer Bob Narwal erleben könnte, wenn man ihn nur lassen würde.

So funktioniert der Comic eher als Hommage, als gut gezeichnete Liebeserklärung an den Zauber des Geschichtenerzählens, die von einer Tradition zu schwärmen scheint, an die sie sich selbst nicht anschließen möchte.

| BORIS KUNZ

Titelangaben

Olivier Supiot (Szenario), Boris Beuzelin (Zeichnungen): Der Narwal – Der Mann in der Tiefe
(Le Narval 1: L`homme de fond / 2: Terrain vague)
Aus dem Französischen von Marcel Le Comte
Hamburg: Carlsen Verlag 2013
96 Seiten, 19,90 €

Reinschauen
Mehr zu Olivier Supiot

Mehr zu Boris Beuzelin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Auf dem Pfad der Ungewissheit

Nächster Artikel

Inszenierter Kontrollverlust, Gospel für Agnostiker und der Ring des Saturn

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Grenzenlose Unfreiheit

Comic | Michael Barck (Text) / TeMeL (Zeichnungen): No Borders Für die Freiheit, gegen das System: ›No Borders‹ ist ein dystopischer Comic in bunten Farben aus deutschen Landen. Er findet leichte Worte für ein schwieriges Thema – und lässt CHRISTIAN NEUBERT etwas zwiespältig zurück.

Reality Bites

Comic | Adrian Tomine: Eindringlinge Adrian Tomine wirft in der Anthologie ›Eindringlinge‹ detaillierte Blicke in die Lebenswirklichkeiten US-amerikanischer Nobodys. Dabei sind seine reduziert gezeichneten, grandios formulierten Comic-Miniaturen selten mehr als 20 Seiten lang. Von CHRISTIAN NEUBERT

Ein deftiges Jambalaya

Comic | Søren G. Mosdal: Hank Williams – Lost Highway

Hank Williams, ein Mann, eine Legende. Søren Glosimodt Mosdal hat in ›Hank Williams: Lost Highway‹ den letzten Auftritt des Countysängers in Bilder und Worte gefasst. DANIEL WÜLLNER betrachtet den finalen Road Trip von der Rückbank aus.

Kampf der Superlative

Comic | Jodorowsky/Fructus: Showman Killer Wenn ausgerechnet Incal-Autor Alejandro Jodorowsky, der inzwischen auch »Heilung durch Kunst« betreibt, die Geschichte des mächtigsten Killers des Universums erzählt, will BORIS KUNZ unbedingt dabei sein.

Irgendwo in Europa

Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014: Auf der Suche nach dem deutschen Genrecomic, Teil 1 ›Gung Ho‹ war das »Flaggschiff« des ›Cross Cult‹-Verlags auf dem diesjährigen Comicsalon – und das absolut zu Recht, darf man das Album doch ohne Übertreibung als die spannendste und gelungenste deutsche Genrepublikation der letzten Zeit bezeichnen. Der erste Band ist 80 Seiten stark und erscheint gleichzeitig auch als lohnenswerte limitierte Vorzugsausgabe mit ausführlichem Bonusmaterial. Von BORIS KUNZ