Roman | Simone Lappert: Wurfschatten
Der jungen Schweizer Autorin Simone Lappert ist eine besondere Lovestory gelungen. In ihrem Debütroman ›Wurfschatten‹ erzählt sie uns von der Ambivalenz von Liebe und Tod auf eine sehr erfrischend doppelsinnige, stellenweise sogar humoreske Art. Von HUBERT HOLZMANN
Simone Lappert, geboren 1985 in Aargau in der Schweiz, definiert uns ihren Romantitel »Wurfschatten« aus der Sicht ihrer Heldin Ada, 25, eigentlich Adamine mit vollem Namen, Single und entmutigte Schauspielerin, in zweifacher Version: einmal äußerlich als »Schatten der Passanten«, die »die Existenz ihrer Werfer bezeugten« – schon wird hier nur ein Reflex angedeutet – und einmal aus einer extrem pessimistischen Innensicht: »Schatten im Inneren des Körpers hingegen bedeuteten Zysten, Tumore, Gerinnsel und gefährdeten die Existenz, löschten sie aus.«
Die junge Frau Ada hat sich jedoch auch ohne all diese Krankheiten bereits fast selbst ausgelöscht. Immer in dieser Polarität zwischen Positiv und Negativ stehend, lebt sie – wohl traumatisiert durch ihre angesammelten Enttäuschungen sowohl privater als auch beruflicher Art – absolut zurückgezogen in ihrer Wohnung und schleppt sich ohne Job, verschuldet und von ihrer Hypochondrie ausgebremst von Tag zu Tag. Ada steht sich mit ihrer Angst, die ihr Leben bestimmt, komplett selbst im Wege.
Das rettende »Immerhin«
Sie schließt sich in ihrer Wohnung ein, meidet andere Menschen – Fische sind die einzigen Lebewesen, die sie in ihrer Umgebung länger ertragen kann – und zieht sich in ihr »Therapiezimmer« zurück, in einen Raum, dessen Wände sie mit Dutzenden von Fachartikeln, Bildern, Schreckensnachrichten über Krankheiten und Todesarten tapeziert hat. Ebenfalls ziert diesen Raum ein Aquarium. Der Zweck: Sie muss das Zimmer betreten, um die Fische zu versorgen. Somit zwingt sie sich selbst, ihre Depressionen zu zelebrieren. Der Raum wird zum Andachts-Psycho-Raum stilisiert, in dem sie wie in einer »Tauchgondel« ab- und wegtaucht.
»Ada hob ihre rechte Hand auf Brusthöhe, hielt sie einen Moment so und schaute sie an: Die Hand zitterte. Und wenn die Hand jetzt schon zitterte, dann würde es nicht mehr lange dauern, bis die Taucherglocke ihr den Kopf unter Wasser drückte, tief in ihr eigenes Angstwasser hinein. Und während die von außen betrachtet, … nur aussehen würde, wie eine junge Frau, die etwas starräugig den Tauben auf dem Gehsteig zusah, würde sie innerlich strampeln gegen den Druck.« – Auch hier also wieder die Doppelsicht, von außen und innen.
Die Hoffnung auf Besserung hat sie begraben. Rettung allein gibt vielleicht für wenige Augenblicke eine Zigarette, »eine Handvoll zu tun für sieben Minuten, immerhin.« Vielleicht ist es jedoch gerade so ein »immerhin«, das einen Funken Licht in dieses Dunkel wirft. Ein Licht am Ende des Tunnels vielleicht? Jedenfalls erneut Geste von befreiender Doppelsinnigkeit, wenngleich noch durchaus verdeckt, und auch eine erste Prise – wenn auch schwarzen – Humors. Eine gelungene, spannungsvolle Romaneröffnung!
Deus ex machina oder Der Mann aus der Maschine
Und Simone Lappert versteht es genau im richtigen Augenblick dieses düstere, depressive Bild von Ada, ihre Isolation und Panik, zu durchbrechen, aufzubrechen. Denn es klingelt. Und an der Tür steht ihr Vermieter Matuschek. Er fordert die Miete, mit der sie im Rückstand ist, für einige Monate ein und will ihr kündigen. Und als Ada am nächsten Nachmittag von einem Spaziergang nach Hause zurückkehrt, – sie hat sich mit der Schauspielkollegin Maria getroffen, ein Engagement bei der Theaterproduktion »Mord an Bord« steht an – hat sich kurzerhand Juri, der Enkel des Vermieters, in Adas Wohnung als WG-Mitglied niedergelassen.
Und der Gipfel der Dreistigkeit ist, dass er gerade in Adas heiligem Therapiezimmer eingezogen ist. Die Relikte dieser »Dunkelkammer« und »Tauchgondel« hat er jedoch bereits allesamt entsorgt. »Ada hatte den Mund geöffnet, um zu schreien, irgendetwas zu sagen, wenigstens einen entsetzten Ton von sich zu geben, aber all die Fragen, die sie hatte, verstopften ihr den Hals«.
Was nun folgt, ist beinahe komisch, wäre nicht Adas Zustand durchaus ernst zu nennen. Denn Ada tut zunächst so, als gäbe es Juri nicht. Was folgt, ist ein Kennenlernen der besonderen Art, eine slapstickreiche Choreografie des gegenseitigen Ausweichens und Nichtbemerkens, es folgen Versuche ihn zu vergraulen. Was folgt, verdient mehr und mehr die Bezeichnung Beziehung. Auch wenn es sich, wie in einer klassischen Komödie noch einmal sehr verkompliziert und sich auch Juri als ziemlicher Starrkopf erweist. Am Ende ist guter Rat teuer, das Chaos perfekt. Simone Lapperts Roman ›Wurfschatten‹ ist nicht nur eine Komödie mit Hindernissen, auf jeden Fall eine bewegende Geschichte.
Titelangaben
Simone Lappert: Wurfschatten
Berlin: Walde+Graf bei Metrolit 2014
240 Seiten. 20 Euro
Reinschauen
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| Simone Lappert liest aus Wurfschatten