Roman | Chris Nolde: Riss
Drei Jugendliche auf der Flucht vor dem Leben stürzen sich in Chris Noldes Debütroman Riss für drei Tage vollkommen in Selbiges hinein. Sie feiern, streiten, lieben, leiden. Verbunden sind sie durch etwas Schmerzvolles – den Riss. Wogegen zwei an ihm wachsen, zerreißt es den Dritten und doch scheint alles so seine Richtigkeit zu haben. Gelesen von ANNA NISCH
Eines Tages in einer Bahn Richtung Hamburg passiert es: Drei Ausreißer finden sich, als wäre es vorherbestimmt. Alle Drei fliehen vor ihrem eigenen Leben, das sie zu erschlagen droht. Frustriert und ausgebrannt sind sie, die so makellos scheinende Jugend gezeichnet von einem tiefen Riss. »Und wenn ihn auch die ganze Welt verschweigt, es wird nie einen Weg geben, ihn zu verdecken.«
Jan resigniert am Erwachsenwerden, ist vom Leistungsdruck zermürbt, von der Liebe geschunden. Niemand versteht, wie er nur noch »Umbringmusik« hören kann. Doch ist es diese Musik, von der er und auch Maja sich verstanden fühlen. Sie steht der Karriere ihres Vaters im Weg und lebt bei ihrer alkoholkranken Mutter – ohne Struktur, ohne jegliche Geborgenheit. Als Letztes ist da noch Flo, zugleich Komiker und tragischer Held der Geschichte. Mit geplünderter Supermarktkasse und dem Plan seinem Bruder zu helfen, der ihm als Einziger noch geblieben ist, komplettiert er das Dreiergespann.
Was bleibt, ist der Riss
Die drei Zerrissenen verbünden sich und schließen einen mephistophelischen Pakt. Falls sie das Lebensmotto an dem Wochenende nicht finden, wollen sie endgültig aufgeben und die Bühne der Welt verlassen. Die witzige und spielerische Zeichnung der Figuren steht in keinerlei Widerspruch zu deren Schicksalen. Gespickt mit Zeilen aus Songs und Zitaten oder Bezügen aus prominenter Literatur, schafft es der Jungautor, Chris Nolde, den Leser in die Geschichte und somit in die Welt von Jan, Maja und Flo zu ziehen. Mehr noch: Er erzählt die Geschichte von einer Geschichte und eines Kunstwerks, das entsteht – durch den Riss.
Auch wenn diese schicksalhaften Zusammentreffen von ausgebrannten Figuren nicht untypisch sind, in Romanen wie Nick Hornbys A Long Way Down besonders brillieren – diese Geschichte ist eine außergewöhnliche. Sie lebt von einer großen Intention: »Es gibt einen Überdruß an Geschwafel, zu viel dumme Kunst, zu viele leere Worte. Also braucht es eine Tat, die das Wort wieder stark macht. Dann erst wird es zum Symbol.« An einem einzigen Wochenende entsteht ein Kunstwerk des Lebensleides für die Ewigkeit – geschaffen von drei Nihilisten – beziehungsweise von einem vielversprechenden Jungautoren.
| ANNA NISCH
Titelangaben
Chris Nolde: Riss
Berlin: University Press 2013
240 Seiten, gebunden
€ 19,90 (D), € 20,50 (A)
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