Der Tod ist immer mit dabei

Comic | Fábio Moon & Gabriel Bá: Daytripper

Der Tod ist ein Teil des Lebens lautet eine Binsenweisheit. Die brasilianischen Zwillingsbrüder und Comic-Künstler Fábio Moon und Gabriel Bá haben versucht, die Bedeutung dieses Umstands spürbar zu machen und lassen den Protagonisten ihrer preisgekrönten Erzählung Daytripper in jedem der 10 Kapitel sterben. BORIS KUNZ konnte darin viel mehr entdecken als eine illustrierte Binsenweisheit.

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Es kann einen schon stutzig machen, mit wie vielen wohlwollenden Worten und begeisterten Lobeshymnen durch Kritiker und anderer Comickünstler der Einband, der Buchrücken und die ersten Seiten von Daytripper den Leser geradezu bombardieren. Qualitäten, auf die dermaßen vehement hingewiesen werden muss, sind vielleicht besonders gut verborgen, fürchtet man. Oder liegt es daran, dass Daytripper, obwohl im Original bei DC in der Form von zehn Comicheften veröffentlicht, ohne Zweifel sowohl stilistisch als auch thematisch eine klassische Graphic Novel ist, die somit im von Superhelden, Horror und Fantasy dominierten Programm des Panini Verlages ein wenig alleine dasteht?

Wer genauer hinsieht, welche Künstler der Verlag als Leumund für die Brillanz des Werks auffährt, der kann sich ausmalen, in welche Richtung Daytripper gehen könnte: Jeff Smith (Bone), Terry Moore (Strangers in Paradise) oder Craig Thompson (Habibi) haben ebenfalls mit umfangreichen, lebendig gezeichneten, sehr figurenorientierten, abgeschlossenen Comicerzählungen von sich Reden gemacht, in deren Riege sich Daytripper qualitativ und stilistisch durchaus einreihen kann.

»Ich heiße Brás de Oliva Domingos und ich bin ein Träumer«

Daytripper erzählt die Lebensgeschichte von Brás de Oliva Domingos von der Kindheit bis ins hohe Alter. Jedes der nicht chronologisch angeordneten Kapitel beschreibt einen prägenden Tag in dessen Leben; die Kapitelüberschrift verrät uns das jeweilige Alter der Hauptfigur, dessen Familien- und Liebesleben im Fokus der Erzählung steht. Der Vater von Brás ist ein wichtiger und berühmter brasilianischer Schriftsteller, und Brás selbst traut sich lange Zeit nicht aus dem dominanten Schatten des Vaters heraus. Obwohl auch er selbst gerne einen Roman schreiben würde, verbringt er lange Jahre damit, für eine Zeitung in Sao Paolo die Nachrufe auf verstorbene Persönlichkeiten zu verfassen. Erst der tragische Tag, an dem auf dem städtischen Flughafen eine Linienmaschine ein Gebäude rammt und mit all seinen Passagieren in Flammen aufgeht (hier bezieht sich der Comic auf tatsächliche Ereignisse aus dem Jahr 2007), bewirkt eine Änderung in Brás´ Leben, die schließlich einen Schriftsteller aus ihm macht.

Ansonsten verläuft dessen Biographie in typischen Bahnen: Die erste große Liebe, der große Schmerz des Verlassenseins, als diese Liebe zerbricht, ein Neuanfang mit einer anderen Frau, die Geburt des ersten Sohnes, das tragische Ende einer lebenslangen Freundschaft, die Beerdigung des Vaters – Moon und Bá erzählen von jenen prägenden Stationen, die sich im Leben der meisten Menschen in irgendeiner Form wiederfinden. Anhand der großen Themen Liebe, Freundschaft, Familie, Tod und das Erfüllen eigener Träume wird ergründet, was das Leben ausmacht.

Der wesentliche Teil der Zeichnungen stammt von Fábio Moon, dessen lebendiger, detailreicher und leicht cartoonhafter Stil durchaus an oben genannte Kollegen wie Craig Thompson erinnert. Man ist es gewohnt, Zeichnungen dieser Art in schwarz-weiß zu sehen, besonders in dicken Comicalben, die als Graphic Novels vermarktet werden. Moons Zeichnungen hätten sicherlich auch in dieser Form Bestand, doch sie profitieren ungeheuer von den Fähigkeiten und den satten Farben des herausragenden Koloristen Dave Steward, der mit seinem Gespür für Stimmungen wesentlich für die Magie des Augenblicks mitverantwortlich ist, die dieser Comic in vielen Szenen transportiert. Ob das einsame Strände sind, Wohnungen im Halbdunkel, flirrende Sommernachmittage auf dem Land, verregnete Tage in der Innenstadt, bombastische Sonnenuntergänge oder eine nächtliche Autobahn: Alles wirkt auch ohne Fotorealismus greifbar. Es gibt kaum eine Szenerie in diesem Album, die den Leser durch Abstraktion außen vor ließe oder durch grafische Angeberei vom Wesentlichen ablenken würde. Der etwas kantigere, reduziertere und cartooneskere Strich von Garbriel Bá (hierzulande bekannt durch die grandiose Serie The Umbrella Academy) bleibt daher bestimmten Traumsequenzen vorbehalten – und den Titelbildern, die in diesem Album als Kapiteltrenner zur Geltung kommen.

»Ich bin zu jung, um mir Gedanken darüber zu machen, ob ich in der Vergangenheit die richtigen Fragen gestellt habe, und zu alt, um zu hoffen, dass die Zukunft mir alle Antworten offenbaren wird.«

Im Nachwort erklärt Fábio Moon, dass es ihnen vor allem um die stillen Momente der Erzählung ginge, um die kleinen Gesten, den Austausch von Blicken etc. Darauf wird auch ungelogen viel Wert gelegt. Dennoch handelt Daytripper nur zwischen den Zeilen vom Alltäglichen. Die verschiedenen Tage, die die einzelnen Kapitel beschreiben, sind durchaus von dramatischen Ereignissen geprägt, und der Comic ist an großen Gesten ebenso reich wie an kleinen. Die große Kunst dieser Erzählung liegt darin, dass es den Brüdern gelingt, einzelne Situationen spezifisch zu schildern und lebensnah in Szene zu setzen, sodass sie sich einerseits wie aus dem Leben gegriffen anfühlen, andererseits aber einen gewissen Allgemeingültigkeitsanspruch haben und auf das Leben des Lesers übertragbar sind. Es sind keine außergewöhnlichen Ereignisse, die Brás Leben besonders machen, so wenig, wie es ein besonders raffiniert ausgetüftelter und voller unerwarteter Wendungen steckender Plot wäre, der den Comic ausmacht. Der außergewöhnlichste Kunstgriff, den die beiden Brüder sich erlauben, ist der, Brás am Ende jedes einzelnen Kapitels sterben zu lassen – und dieser Kunstgriff sitzt.

Obwohl man eigentlich sofort umblättern und weiterlesen lesen möchte, kann man gar nicht anders, als am Ende jedes Kapitels kurz innezuhalten und das Buch für ein paar Momente zuzuklappen. Als wäre der Tod nicht schon durch Brás´ eigentümlichen Beruf allgegenwärtig, machen uns die Autoren deutlich, dass ihre Geschichte jederzeit schon viel früher zu Ende sein könnte – weil das Leben eben eine filigrane, zerbrechliche Sache ist und sich nicht jede Biographie bis zu einem Happy End auserzählen lässt. Unter welchen Umständen empfinden wir nun den Todeszeitpunkt eines Menschen als besonders tragisch? Wenn er noch jung ist, sein ganzes Leben noch vor sich hat? Wenn er Frau und Kinder hat, die um ihn trauern? Wenn sein Lebenswerk unvollendet bleibt? Wie lange muss man gelebt haben, um von einem erfüllten Leben sprechen zu können? Welche Bedeutung gibt die Sterblichkeit unserem Leben?

Wer sich an solche Themen wagt, der kann eigentlich nur einen kapitalen Fehler machen: eine eindeutige Antwort zu geben. Die geht nämlich oft in die Binsen. Moon und Bá vermeiden diesen Fehler, ohne dabei ihre Erzählung am Ende völlig unkommentiert stehen zu lassen. Doch viel entscheidender als der poetische Ausklang ist die Tatsache, dass es den beiden Künstlern gelingt, ihre Geschichte trotz vieler Allgemeinplätze so lebendig, bewegend und mit so viel Freude zu erzählen, dass einen die Geschichte immer wieder vergessen macht, dass sie eigentlich (wie Thompson im Vorwort sagt) eine »ehrliche Meditation über Sterblichkeit« ist.

Titelangaben
Fábio Moon & Gabriel Bá (Text und Zeichnungen): Daytripper (Daytripper)
Aus dem Englischen von Bernd Kronsbein
Stuttgart: Panini Verlag 2013
260 Seiten, 24,99€

Reinschauen
Daytripper bei Panini
Blog der brasilianischen „Wonder Twins“
Interview mit den Zwillingen

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