Comic | Alan Moore, Jacen Burrows: Providence. Bd.3
Die von Jacen Burrows gezeichnete Comic-Serie ›Providence‹, bei der Szenaristen-Instanz Alan Moore auf Lovecrafts Spuren wandelt, ist abgeschlossen. Panini hat den finalen Band frisch herausgebracht. Und mäandert mit traumwandlerischer Sicherheit einem erstaunlichen Ende entgegen. CHRISTIAN NEUBERT ist nach wie vor unterwegs.
Der Eremit von Northampton und der Einsiedler von Providence: Comic-Autor Alan Moore hat ›Providence‹ abgeschlossen. Die Reihe ist eine Verneigung des berühmten Szenaristen vor Lovecrafts berühmten Horror-Kosmos – und geht als eine weit gedachte Interpretation über eine weitere Hommage hinaus. Ein facettenreiches Alptraumwandel-Wunderwerk, wie es nicht alle Tage erscheint. Der dritte Sammelband, der die finalen Episoden 9 bis 12 der referenzgespickten Comic-Geschichte enthält, liegt inzwischen in deutscher Übersetzung bei Panini vor – endlich, angesichts der bislang gestreuten, penibel aufgebauten, unaufgelösten Spannung.
Der Abschlussband macht sich auch weiterhin Gedanken über real vorliegende Lovecraft-Stoffe, verdichtet sie weiterhin zu einem übergeordneten Ganzen. Und weiß in seiner finalen Zuspitzung auf angenehme Weise zu überraschen. Wobei man »angenehm« hier als zweckmäßig im Sinne der breit angelegten, detektivischen, referenzgespickten Horror-Mär verstehen muss. Als einen Schauder, der sich mit Neugierde übers Gemüt und die Fantasie legt, weil das Grauen sich langsam anschleicht und schon mal mit einem flirtet, anstatt sich in Schockmomenten zu entladen und schnell zu verbrauchen. ›Providence‹, gezeichnet übrigens von Jacen Burrows, mit dem Moore schon mit dem Comic ›Neonomicon‹ auf Lovecrafts Spuren wandelte, lässt sich Zeit. Das Grauen kommt hier auf Umwegen.
Mehr als eine weitere Hommage
Nachdem der Reporter Robert Black, Hauptprotagonist von ›Providence‹, im achten Kapitel auf Lovecraft höchstselbst selbst trifft, erreicht die Reihe langsam ihren Zenit. Hier setzt der Abschlussband ein. Die stärksten Einzelepisoden sind da zugegebenermaßen schon durch. Doch hier geht es ums große Ganze. Da Moore seine Auflösung nicht mal eben einfach so aus dem Ärmel schüttelt, sondern den Leser über längst ausgestreute Hinweise stolpern lässt, schlagen auch die letzten Kapitel noch Brücken, die einen wanken lassen, während sich die Kreise um Providence schließen.
Viel von der Story preiszugeben, verbietet sich jedoch an dieser Stelle. Weil sich das offenbarte Grauen bei ›Providence‹ aus dem Unbekannten speist. Das Vage, das nur Angedeutete: Darin wuchert hier der Horror. Der Umstand, dass sowohl für Lovecraft als auch für Moore Träume sehr bedeutsam waren bzw. sind, spricht innerhalb der Reihe buchstäblich Bände.
Alptraum und wirklicher Horror
Daher sei nur noch Folgendes verraten: Moore reflektiert zunehmend über die Annahme, nach der Bücher als intellektuelle Konstrukte eine Art Eigenleben entwickeln, indem sie Lebenswirklichkeiten beeinflussen. Zwischen religiösen, okkulten oder wissenschaftlichen Inhalten will er dabei nicht trennen. Er lässt seine Handlungsstränge zunehmend den Gesetzen einer Traumlogik folgen, ohne sich von der erzählten Realität zu verabschieden. Und nimmt dabei ungeahnte Perspektiven ein, während er Fiktion, erzählte Realität und Realität verbindet.
Bei diesem Moore-typischen Spiel mit Metaebenen überhöht der britische Autor seinen Erzählkosmos noch weiter. Er legt Fährten, denen der Leser noch zwischen den Zeilen, hinter den Bildern folgen muss. Und zündet all das ganz weltlich mit guter alter, wenig katholischer Sodomie. Schließlich gönnt er seinem Protagonisten ja von Beginn an ein Sexleben. Skandal im Lovecraft’schen Sperrbezirk – reloaded, heute, nach ›Neonomicon‹.
Wenn der Horror in ›Providence‹ kulminiert, dann übrigens auch zeichnerisch. Moore lässt Burrows draufhalten, er hält an seinen breitwandformatigen Panels fest. Konstrukte wie Traumwelt und Realität nehmen in seinen Abbildungen nachvollziehbare, erschreckend lebensnahe Formen an. Sie verschmelzen mit einem fasziniert dreinblickenden Selbstverständnis, ohne mit Lovecrafts kosmischem Bestiarium ausbeuterisch umzugehen.
Allerdings setzt ›Providence‹ gerade in seinem Abschlussband ein gewisses Maß an Kenntnis über Lovecraft und sein Werk voraus. Mit diesem im Gepäck kann man die ausgelegten Spuren richtig deuten, die Bezüge herausstellen und fortführen – und den intensiven Horror durchleben, den er entfesselt. Wer da zu wenig mitbringt, von dem verlangt ›Providence‹ zu viel, um selbst alles hergeben zu können. Dabei hat die Reihe bis zu seinem erstaunlichen, konsequent zu Ende gegangenen Schluss verflucht viel zu bieten.
Titelangaben
Alan Moore, Jacen Burrows: Providence. Bd.3
Stuttgart: Panini Verlag 2017
176 Seiten, 19,99 Euro
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Providence Bd. 1 und 2 – vorgestellt in TITEL kulturmagazin