Comic | Daniel Clowes: Patience
Mit literarischen Werken zu selbsterfüllenden Prophezeiungen kann man ganze Bibliotheken füllen. Dennoch setzt der amerikanische Zeichner Daniel Clowes noch einen drauf: mit seinem schrillen Graphic Novel ›Patience‹. Jedoch wiederholt er nicht einfach diesen Topos der Weltliteratur, sondern setzt einen eigenen Akzent, mit einer am Ende überraschenden Wende. Damit beinhaltet das Werk so gut wie alles, was das Comic-Herz begehrt: Action, Science-Fiction, Liebe, Horror, Spannung, diverse menschliche Abgründe und die Wiederaufnahme antiker Mythen. PHILIP J. DINGELDEY hat sich Clowes irren Trip auf der Suche nach den Spuren der ewigen Liebe angesehen.
Jack Barlow führt eine glückliche Beziehung mit seiner Freundin Patience, trotz finanzieller Probleme, die sich zu ihrer Schwangerschaft hinzugesellen, bis Patience im Jahr 2012 ermordet im gemeinsamen Apartment aufgefunden wird. Zunächst gerät Jack in Tatverdacht, man kann ihm jedoch nichts nachweisen. Von hier aus springt Clowes in die Zukunft, genauer gesagt, in das Jahr 2029, in der die Menschen (nicht nur modisch) zu bizarren, teils auch biologisch veränderten Figuren geworden sind. Hier findet er einen psychotischen Nerd, der eine Zeitmaschine gebaut hat, die mit einem Serum angetrieben wird. Damit reist der frustrierte und einsame Jack in die Vergangenheit (versehentlich sogar in die 1980er), um den Mörder seiner geliebten Patience zu finden und ihren Tod aufzuhalten.
Dabei geht er der tragischen Geschichte seiner Freundin, die voller psychischer Probleme, Erniedrigungen und sexuellen Missbrauch ist, nach. Und immer mehr scheint es, als ob zahlreiche Komplikationen und Rückschläge sowie generell das Eingreifen des ergrauten und nicht sonderlich cleveren Jack erst dazu führen, dass es schließlich zu Patiences dramatischem Ende kommen wird, doch der Schluss des Graphic Novels hält noch die eine oder andere Wende bereit.
›Patience‹ ist sowohl inhaltlich als auch zeichnerisch ein beachtliches und gleichzeitig gut konsumierbares Kunstwerk. Inhaltlich bietet Clowes dem Leser einen spannenden und sprunghaften Trip durch die Zeit, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Mit futuristischen Waffen blickt der Protagonist in die Abgründe US-amerikanischer Vororte, in der es vor Scheinheiligkeit, verleugneten Drogenproblemen, Arroganz und Bosheit nur so wimmelt. Und meist ist Patience das Opfer.
Damit werden, trotz der enormen Geschwindigkeit und Sprunghaftigkeit im Raum-Zeit-Kontinuum, die der Graphic Novel aufnimmt, die beiden Hauptprotagonisten vielschichtig beschrieben: Jack ist der frustrierte, alte und von Patience besessene Mann, der jedoch nicht gerade schlau ist und nichts von Zeitreisen oder Zurückhaltung versteht, und so Patiences Ausgangsbedingungen erst versehentlich verursacht, nämlich dass die Dinge (selbst der Beginn der Beziehung des jungen Jack zu Patience) auf den scheinbar unvermeidlichen Weg geraten.
Jack wird damit zu einem modernen Orpheus, der aber nicht in den antiken Hades geht, um seine Eurydike zu retten, sondern in die amerikanische Unterwelt der Vergangenheit: die patriarchalische Kleinstadt. Statt den Raum zu wechseln, wechselt er die Zeit. Das drückt sich schon in dem symbolisch gewählten Namen seiner Freundin aus. Das Leben von Patience zu retten, erforderte von Jack viel Zeit und »Patience«, also Geduld und Ausdauer, die nur die Besessenheit der Liebe und der übergroße Wille, das Schicksal zu ändern, bieten können.
Patience dagegen ist ein authentisches Landei, lieb, aber sowohl sozial als auch beruflich wenig erfolgreich. Sie ist eine nicht sonderlich attraktive, aber eigentlich intelligente junge Frau, die die Demütigungen gerne hinter sich lassen will, aber von den Geistern der Vergangenheit gejagt wird und ergo unter Minderwertigkeitskomplexen und Unsicherheit leidet.
Das Zusammenspiel beider entfacht erst diese spannende, verzwickte Geschichte, in der die Liebe Jacks es möglich machen soll, die Vergangenheit zu ändern. Durch die Zeitreise, kombiniert mit der antiken Orpheus-Mythologie, werden die selbsterfüllende Prophezeiung und das Problem der Unmöglichkeit, jemandem aus dem Reich der Toten zu holen künstlerisch vereint. Mit dieser Synthese der Topoi kreiert Clowes jedoch etwas Neues – mit einem neuen Ende.
Noch herausstechender sind aber die Zeichnungen. Generell ist der Graphic Novel knallbunt und schrill gestaltet, besonders die Science-Fiction-Abschnitte.
Schrill und grotesk
Stilistisch entfaltet der Künstler dazu ein überaus breites Repertoire. Viele Szenen sind im Pop angesiedelt und werden dabei zur Karikatur des amerikanischen Mainstreams. Denn das Poppige wird immer wieder unterbrochen von grotesken und symbolischen Zeichnungen, was etwa die Zeitreisen betrifft und besonders dann aufkommen, wenn Jack einen entscheidenden Schritt in der Geschichte getan hat und selbst das Gefühl hat, seine Existenz würde durch sein Eingreifen in der Vergangenheit schmelzen. Dann oszilliert ›Patience‹ zwischen wild-grellem Surrealismus und düsteren Kubismus. Selten hat man bisher von einem Comic-Zeichner ein derart breites stilistisches Repertoire gesehen, das auch noch in allen seinen Facetten überzeugen kann, ohne das Auge des Lesers zu überfordern.
Kurz gesagt, Daniel Clowes liefert mit ›Patience‹ einen der seltenen Graphic Novels, die gleichermaßen Genuss für Augen und Geist sind, die sowohl inhaltlich als auch zeichnerisch überdurchschnittlich viel auf den Kasten haben. Er greift diverse zeitlose Motive tragischer Liebesgeschichten auf und überträgt diese für uns mit ebenso zahlreichen künstlerischen Facetten. Und obwohl man glauben könnte, für den zeitgenössischen Leser könnte man zu den scheinbar ausgelutschten Themen Liebe und Zeitreisen nichts mehr hinzufügen, belehrt uns Clowes wendiger Comic eines Besseren.
Titelangaben
Daniel Clowes: Patience
Aus dem amerikanischen Englisch von Jan Dinter
Berlin: Reprodukt 2017
Gebunden, 181 Seiten, 29,00 Euro
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