Comic | David Schraven / Vincent Burmeister: Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland
Am 27. März 1980 versank die norwegische Bohrinsel Alexander Kielland in der Nordsee. Das Unglück forderte damals 123 Todesopfer. Spätere Untersuchungen schlossen auf »Materialermüdung«. Aber wie das bei Katastrophen nicht selten der Fall ist, kennen nur Comic-Autoren die wahren Hintergründe. Über diese wird auch BORIS KUNZ Schweigen bewahren. Aber über den Comic selbst gibt es ein paar Sachen zu sagen.
Der Carlsen Verlag präsentiert uns das spannende Erstlingswerk eines ungleichen einheimischen Künstlergespanns. Während Vincent Burmeister mit Comics wie Perry Rhodan Erfahrungen gesammelt hat und zu den seltenen deutschen Zeichnern gehört, die auch jenseits von Funnys und Cartoons angenehm routiniert wirken, ist David Schraven eigentlich Journalist, hat sich hier aber eine fiktive Story über ein real geschehenes Unglück ausgedacht.
Schnörkellose Konstruktionen …
Die Hintergründe, die Schraven erzählt, sind allerdings weitaus »geerdeter« als das, was der Phantasie von Comic-Schöpfern in den meisten Fällen entspringt. Keine Zombies, kein aus der Tiefe geborgenes außerirdisches Artefakt, kein Seeungeheuer und auch nicht die Geister ertrunkener Seeleute sind schuld am Untergang der Wohnplattform der Bohrinsel, sondern »die Gefühle eines Mannes, der mit dem Rücken zur Wand steht«.
Mehr Worte sollte über den Ablauf der Story gar nicht mehr verloren werden, denn diese ist so einfach gestrickt und so schnörkellos, dass man sie eigentlich in ein bis zwei Sätzen lückenlos erzählen könnte. Es ist in diesem Fall auch nicht so sehr der Ablauf der Ereignisse, der die Faszination der Katastrophe für David Schraven ausgemacht hat, sondern das Setting. Die Bohrinsel und das Meer – das sind die eigentlichen Protagonisten dieses Comics. In ihrer martialischen Erscheinung, ihrer Rohheit und Größe sind sie gleichzeitig Auslöser, Projektionsfläche und Spiegelbild für die sehr profunden Emotionen der Geschichte, die fast zu groß zu sein scheinen für jene kleinen Menschengestalten, die vor den gewaltigen Stahlkonstruktionen ebenso winzig wirken wie vor den tobenden Wellen und dem endlosen Horizont.
… in unbändig freudianischer Kulisse
Die große Stärke des Werks liegt in der äußerst gelungenen Grafik. Der Strich von Vincent Burmeister erinnert etwas an Walter Simonson (Der mächtige Thor) und ist von einer Souveränität, die man bei deutschen Comiczeichnern selten antrifft. Er kleidet die Geschichte in großflächige, atmosphärisch starke Bilder, die das Tosen der See ebenso zur Geltung bringen wie all die Rohre, Kessel, Stahlträger und Freitreppen, die so eine Bohrinsel zu einer beeindruckenden Location machen.
Obwohl die Erzeugung von Stimmung eindeutig vor jeder technischen Akkuratesse im Vordergrund steht, merkt man dem Comic doch an, dass auch auf Letztere großen Wert gelegt wurde. Das Setting ist nicht ausgedacht, sondern das Ergebnis solider Recherche. Auch wenn es in der Geschichte keinen Moment lang um das technische Procedere der Gasförderung geht, hat man doch den Eindruck, Autor und Zeichner könnten einem jederzeit die Funktion jeder einzelnen Apparatur erklären, die in dem Comic erscheint. Und wer will, der kann bei der Lektüre auch mit der freudianischen Deutungsebene von Bohrköpfen, Pumpstationen und dem allseits beliebten Meer seine Freude haben.
Die Texte, die Ich-Erzählung des Protagonisten, sind nur Ergänzungen, die helfen, den Lesefluss zu gliedern. Die Geschichte selbst würde man vermutlich allein beim Betrachten der Bilder verstehen. Auch durch das eher unübliche, aber für diese Geschichte mehr als stimmige Querformat des Albums wirkt Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland eher schon wie ein düsteres Bilderbuch für Erwachsene. Eines, in dessen Betrachtung man sich auch ohne besonderes Faible für die kühle Romantik von Schwerindustrie, für die Autor Schraven erklärtermaßen schwärmt, leicht verlieren kann.
Titelangaben
David Schraven (Text) / Vincent Burmeister (Zeichnungen): Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland
Hamburg: Carlsen Verlag 2011
64 Seiten, 19,90 Euro
Reinschauen
Interview mit dem Zeichner