Vintage Badassitude, my friend

Comic | François Craenhals : Roland, Ritter Ungestüm

Im amerikanischen Slang gibt es das schöne Wort »Badass«, das durch das Urban Dictionary wie folgt umschrieben wird: »The badass is an uncommon man of supreme style. He does what he wants, when he wants, where he wants.« Roland, auch Ritter Ungestüm genannt, ist ein Badass der alten frankobelgischen Schule, der den Bösen aufs Maul gibt und dafür sorgt, dass das Gute, Schöne und Wahre am Ende triumphiert. PETER KLEMENT begleitet Roland auf seinem Weg vom Baby-Badass hin zum ausgewachsenen Exemplar, Zeitreise in die Siebziger inklusive.

Roland
François Craenhals‘ Werk ist ein Echo aus einer längst vergangenen Zeit. Ähnlich einem Oldtimer, der mit verchromten Reifen, offenem Verdeck und einem Fahrer mit Fliegerbrille an der Ampel zum Stehen kommt und den Betrachter für einen Moment aus der Gegenwart reißt. Was an der Ampel nach zehn Minuten wieder vergessen ist, hält bei Roland Ritter Ungestüm bei genüsslichem Lesen mehrere Stunden und entführt in eine Ära, in der eine psychologisch korrekte Figurengestaltung genau so neumodischer Kram war, wie es heute das sprachgesteuerte Mediakit im neuesten BMW ist.

Die Abenteuer des aufbrausenden Adelssohns sind schnörkellos und geradlinig: Die Guten sind strahlende, aufrechte Gestalten und die Bösen leicht an ihren fiesen Visagen zu erkennen. Doch das wertet den Comic nur auf: Der akribische Stil und der Plot entwickeln einen Charme, dem sich selbst abgebrühte Bewohner der Postmoderne nur schwer entziehen können. Dass die Geschichte in einem Phantasie-Mittelalter spielt und die Figuren weitgehend Klischees bedienen, wird Ritter Ungestüm schnell und gern verziehen. Die Fähigkeit seine kindliche stupor mundi zu aktivieren, ist allerdings Pflicht, denn die Graphic Novel würde sich im Regal mit einem Buch von Karl May fantastisch verstehen. Wer also den vollen Namen von Hadschi Halef Omar herbeten kann, sollte auf der sicheren Seite sein.

Born to be badass

Der erste Band sammelt die ersten drei Abenteuer von Roland, in denen er schon Verschwörungen aufdeckt, eine Burg schleift und wilden Steppenvölkern die Stirn bietet – und das alles im zarten Teenie-Alter! In Der schwarze Ritter nimmt Rolands Vater einen schwer verwundeten Reiter und dessen Begleiter auf, die von dem Titel gebenden Antagonisten erbarmungslos gejagt werden, da sie zwischen ihm und einer reichen Erbschaft stehen. Der junge Hitzkopf Roland hat erst nichts besseres zu tun, als den Soldaten Bradroc wegen einer nichtigen Beleidigung zu einem Duell auf Leben und Tod herauszufordern, das der erfahrene Kämpe mit Leichtigkeit für sich entscheidet. Doch im Verlauf der Geschichte erweist er sich als wertvolle Hilfe und gewitzter Taktiker, der den beiden Männern eine unschätzbare Hilfe ist.

Die Wölfe von Rotteck, Rolands zweites Abenteuer, führt ihn in das Gebiet von Raubrittern, die sich vom Hofe Königs Artus losgesagt haben. Hier muss Roland nicht nur seinen Kampfesmut, sondern auch seine Führungsqualitäten unter Beweis stellen: Die ihm unterstellten Männern lassen sich nicht gern von einem Knaben mitten im Winter durch die Gegend scheuchen. Das letzte Abenteuer des Bandes führt den inzwischen zwar klügeren, doch noch immer hitzköpfigen jungen Mann in das Land der Steppenvölker, wo er einem Kaufmannssohn hilft, seine geraubte Geliebte wieder zu erlangen, und dazu ein barbarischen Ritual überleben muss, das das Reitervolk Das Gesetz der Steppe nennt.

Alle Geschichten zeichnet aus, dass sie einen interessanten Spagat zwischen frei schweifender Phantasie und akribischer Darstellung machen: König Artus existiert und ist erwartungsgemäß ein mächtiger Herrscher, irgendwo in Europa. Gleichzeitig sind die Gewänder, Burgen und Waffen extrem detailliert dargestellt und teilweise mit Erklärungen versehen. Wo man in Winnetou erfährt, wie viele Beschläge die legendäre Silberbüchse hat, lernt man in Ritter Ungestüm,was eine Gisarme ist und wie ein Gottesurteil ausgetragen wird. Damit die Didaktik auch garantiert ankommt, wird jedes Panel noch von einer Textbox begleitet, die das Gezeigte gleich erklärt – unter anderem auch, dass Roland eben ein Badass vor dem Herrn ist. Obwohl dieser allgegenwärtige Erzählertext unangenehm auffallen müsste – denn er lässt wenig Spielraum für eigene Deutungen –, hilft er auf eine eigentümliche Weise, den Comic mit dem kindlichen Staunen zu lesen, mit dem man früher Bücher von Karl May oder Erich Kästner verschlungen hat. Es muss an der Wortwahl liegen, die irgendwie den Punkt zwischen Oberlehrer und Märchenonkel trifft und einen so in die Ritterzeit entführt.

Badass drawing skills

Grafisch ist Ritter Ungestüm , trotz der recht konventionellen Panelaufteilung, ein Kleinod zeichnerischer Handwerkskunst aus dem Fundus des frankobelgischen Comics: Jedes Bild ist von François Craenhals mit unglaublicher Akribie und einem pedantischen Blick für Details entworfen. Im Gegensatz zu amerikanischen Comics, deren Bilder sich häufig schon im Mittelgrund verlieren, sind hier selbst zeichnerisch lästige Elemente, wie Bäume oder Mauerwerk, liebevoll ausgestaltet. Übertroffen wird das ganze nur durch die Figuren, die stets aufwendig mit mittelalterlichen Gewändern ausstaffiert sind: Nietenpanzer, Kettenhemden, von zahlreichen Gefechten gezeichnete Helme, prächtige Gewänder für Adelsdamen und ein Sammelsurium aus Lumpen, Flicken und Fetzen für das Bettelvolk. Das ist alles aus verschiedenen Epochen zusammengewürfelt, doch daran dürften sich nur ausgesprochene Kenner stören. Das Mittelalter in Ritter Ungestüm ist eben wie der wilde Westen Winnetous ein idealisiertes Phantasiekonstrukt. Man muss sich darauf einlassen können.

Wer Ritter Roland seinen eher flachen Charaktere und den wenig überraschenden Plot verzeiht, erhält dafür einen mehrstündigen Ausflug in die eigene Kindheit mit einem aus der Zeit gefallenen jugendlichen Badass. Ritter Ungestüm ist handwerklich toll gemacht. Cross Cult hat seinen Teil dazu beigetragen und dem Band ein schickes Hardcover zu verpasst, das ihn zum Schmuckstück im Regal macht und angenehm in der Hand liegen lässt. Wer sich für die Geschichte der Neunten Kunst interessiert, sollte zugreifen, denn so etwas wird heutzutage nicht mehr gemacht.

| PETER KLEMENT

Titelangaben
François Craenhals (Text und Zeichnungen): Roland, Ritter Ungestüm.
Gesamtausgabe Band 1: Der schwarze Ritter; Die Wölfe von Rotteck; Das Gesetz der Steppe (Chevalier Ardent – L’intégrale, Tome 1).
Aus dem Französischen von Kai Wilksen und Uli Pröfrock.
Ludwigsburg: Cross Cult 2010.
168 Seiten, 29,95 Euro.
Die Gesamtausgabe umfasst insgesamt acht Bände, deren letzter im September 2013 erscheinen wird.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Gefunden!

Nächster Artikel

3 Gedichte von Christoph Linher

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Kalter Krieger, Teufels Maul

Comic |Francois Boucq / Jerome Charyn: Teufelsmaul Beim Splitter Verlag ist mit der dritten Comic-Zusammenkunft von Zeichner Boucq und Autor Jerome Chary ein Klassiker neu erhältlich: Der Spionagethriller ›Teufelsmaul‹. Gelesen von CHRISTIAN NEUBERT

Vom Schützengraben ins Rotlichtmillieu

Comic | Chloé Cruchaudet: Das falsche Geschlecht Viel mehr als eine weitere Abhandlung über den Ersten Weltkrieg: Die wahre Geschichte des französischen Deserteurs Paul Grappe, der gezwungen war, sich von 1915 bis 1925 als Frau zu verkleiden, bietet Stoff für eine spannende, ungewöhnliche Beziehungsgeschichte. BORIS KUNZ über die einfühlsame Graphic Novel ›Das falsche Geschlecht‹.

Perspektivenwechsel

Kinderbuch | Martin Baltscheit & Anne Becker: Selma tauscht Sachen – Opaleben

Die Alten sind stur und miesepetrig, die Jungen rücksichtlos und frech: Generationenübergreifende Begegnungen sind nicht immer einfach. Die Graphic Novel von Baltscheit & Becker verfolgt einen spannenden Ansatz, findet ANDREA WANNER

»Bei den Schlümpfen sind die Werte einfach mit drin«

Comics | Interview mit Uwe Zimmermann ›Die Schlümpfe‹ sind eine sehr gute klassische frankobelgische Comicserie. Und nach Überzeugung von Designer und Mediengestalter Uwe Zimmermann hat sie mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick meint: In einem Vortrag beim Internationalen Comic Salon Erlangen zeigte er am Beispiel des Albums ›Schlumpfissimus‹, dass hier gezielt mythologische Symbole eingesetzt werden. ANDREAS ALT hat sich nach der Veranstaltung mit Zimmermann unterhalten.

12 Tickets fürs Wunderland

Comic | Sascha Hommer, Kalle Hakkola (Hrsg.): Comic Atlas Finnland Kein weißes Kaninchen, sondern ein Nilpferd und ein Krokodil sitzen am Steuer des Flugzeugs auf dem Cover des ›Comic Atlas Finnland‹, mit dem der Verlag Reprodukt und die Finnish Comics Society den deutschen Leser in eines der nördlichsten Länder der Erde entführen wollen. Wer sich wie BORIS KUNZ auf die Reise einlässt, wird gemeinsam mit vielen kindlichen und adoleszenten Reisegefährten ein Land voller melancholischer Schönheit, absurder Traumlandschaften und düsterer Abgründe entdecken – und einiges über Art House Comics lernen.