//

Mutti! Entführt!

Film | TV: TATORT – Fette Hoppe (MDR), 26.12.

Man sitzt davor und überlegt noch, ob man lachen soll. Trockene Dialoge. Das um einen Bruchteil hinausgeschobene Zögern, bevor geredet wird. Schräge Figuren. »Die Frau strahlt so eine unbestimmte Zugänglichkeit aus – was sicher manchen Mann moralisch erneuern könnte«. Hans Bangen (Wolfgang Bauer) sieht aus wie ein Hans im Glück, der ein Schwein gegen den Erfolg im Casting getauscht hat. Bogdanskis Ohren sind nicht lustig, aber gut sichtbar und originell. Von WOLF SENFF

TATORT - Fette Hoppe Foto: MDR/Andreas Wünschirs
TATORT – Fette Hoppe Foto: MDR/Andreas Wünschirs

Frau Hoppe wurde entführt. Sie ist Eigentümerin eines fleischverarbeitenden Betriebs in Weimar, der die Wurst namens Fette Hoppe herstellt, ihr Sohn soll Lösegeld zahlen, fünfundvierzigtausend Euro. Der ungewöhnliche Betrag lenkt den Verdacht auf den Kutscher Bogdanski (Dominique Horwitz), gegen den besagte Frau Hoppe wegen eines Wasserschadens auf 35.000 € Schadensersatz klagt. Bogdanski sagt gern dem Alkohol zu, seine Tochter weiß mit ihm umzugehen. »Im Universum gibt’s keine Zufälle. Da wirken Kräfte, die kann man nicht kontrollieren.« – »Papa?! In deinem Hirn ist immer Urknall.«

Mit Fette Hoppe knüpft der Mitteldeutsche Rundfunk an die Tradition volkstümlichen Erzählens an, zu deren Heimat sich über Jahrzehnte sogar das Berliner Ensemble zählte. Die Reihe TATORT diversifiziert, Fette Hoppe neigt stark zum Volksstück, zum Schwank, zur Burleske (Buch: Murmel Clausen, Andreas Pflüger).

Er hat viel Witz und beginnt mit einer Anspielung auf den comedy-orientierten Münsteraner; neue TATORT-Kommissare treffen immer frisch aus Hamburg ein, nur dass Lessing (Christian Ulmen) kein St.-Pauli-T-shirt trägt und seine hochschwangere Kollegin Kira Dorn (Nora Tschirner) in einem äußerst dramatischen Einsatz aus bedrängter Lage rettet.

Der Witz in Fette Hoppe ist nicht derbe, nicht verletzend wie bei den Münsteranern. Witz und Humor haben es nicht leicht beim Fernsehen. Kommissar Lessing – Oh! Lessing in Weimar! –, vor einer Blutlache stehend, stellt unaufgeregt fest: »Bei dem Blutverlust ist die Überlebenschance sehr gering«. Eine Verfolgung mit Pferdekutsche hat Seltenheitswert. »Ich glaub‘, meine Fruchtblase platzt«, scherzt die Kommissarin. »Verdammte Schauspielerin!«.

»Den Deutschlehrer gebumst, aber wegen Französisch sitzengeblieben.« Peinlich, doch so geht’s manchmal zu. »Mein Tiefpunkt war in der zehnten Klasse: Akne, unkontrollierbare Erektion, und wegen Kurzsichtigkeit vom Sportunterricht ausgeschlossen« – als Mann hat man’s da auch nicht besser. Ist halt Schule.

So viel zum Witz. Dabei fällt zuallererst auf, dass alle Charaktere liebevoll gestaltet sind. Gut, die Frauen zanken. Doch sie giften sich nicht an, sie keifen nicht. Niemand macht Witze auf Kosten anderer. Trotz der Sprüche lassen die Frauen erkennen, daß sie einander durch die gemeinsamen Jahre in der Schule verbunden fühlen.

Den Sohn der Hoppe wird niemand in einen geordneten Produktionsprozess unterbringen. Und so sind sie alle. Weimar ist provinziell gezeichnet, und die Menschen, die uns gezeigt werden, sind einer wie der andere liebenswert und auf eine mehr oder weniger angeschrägte Art bewundernswert lebendig. Nein, keiner von denen hat sich durch die Tretmühlen der Leistungsgesellschaft deformieren lassen.

Ist Fette Hoppe weltfremd? Erzählt Fette Hoppe ein Märchen? Wir sehen einen friedlich gestimmten, weihnachtlichen Kriminalfilm, dem »nur« das vertraute TATORT-Flair fehlt.

| WOLF SENFF
Titelangaben
TATORT: Fette Hoppe (MDR)
Regie: Franziska Meletzky
Ermittler: Christian Ulmen, Nora Tschirner
Do., 26.12., ARD, 20:15 Uhr

Reinschauen
Alle Sendetermine und Online-Abruf auf DasErste.de
Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon (eBook)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Bleibendes

Nächster Artikel

Gutes Netz, böses Netz

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Auf dem Treppchen

Film | Im TV: ›TATORT‹ Grenzfall (ORF), 8. März, 20:15 Uhr In der Mitte der Thaya verläuft die Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Österreich. Ja, Tschechoslowakei, so hieß das Land damals, der Auslöser des Geschehens liegt lange zurück, 1968! Erinnern wir uns an den ›Prager Frühling‹, und dass die politische Spannung lebensgefährlich wurde nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen, ›Kalter Krieg‹ at its best – und Flüchtlinge drängten nach Österreich. Von WOLF SENFF

The Lure Of The Soundtrack

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world

Late last year I found myself entranced by Mati Diop’s wonderful Atlantics, a tale of forbidden passion, the perils of emigration and the fate of those who are left behind. Long, poetic shots of the sea merged perfectly with Fatima Al Qadiri’s intoxicating soundtrack to produce a stunning collage of meaning and evocations. Leaving the cinema that night I was struck at just how powerful a medium the soundtrack can be. By JOHN BITTLES

Die Mitschuld tragen alle

Film │Im Kino: ›Spotlight‹ Gradlinig und doch verworren, weder Helden noch greifbare Feindbilder, aufwühlend und zugleich distanziert: ›Spotlight‹ ist ein Film, der nicht gesehen werden möchte. Aber der gesehen werden muss. Weil das Drehbuch auf wahren und immer noch aktuellen Begebenheiten beruht und weil Tom McCarthy diese Ereignisse brillant aneinanderreiht. Von der Academy of Motion Picture Arts und Sciences wurde der Mut, eine Geschichte zu verfilmen, die nicht das große Geld an den Kinokassen verspricht, aber in den gesellschaftlichen Diskursen der Kirche, des Journalismus und der individuellen Verantwortung notwendig erscheint, mit dem Academy Award, dem Oscar, ausgezeichnet. Zu Recht findet

Die Besessenen

Film | Im Kino: Der seidene Faden Der wohl beste Schauspieler unserer Zeit nimmt Abschied von der Schauspielerei. Jedem, der Filme liebt, oder sie auch nur mag, sollte das wehtun. Ohne Daniel Day-Lewis wird der Leinwand etwas fehlen. Als er seine Entscheidung über den Ausstieg aus der Branche im letzten Sommer verkündete, gab es zumindest ein Trostpflaster: ein letztes versprochenes Werk. FELIX TSCHON will wissen: »Hörst du auf, wenn es am schönsten ist, Daniel?«

Femme fatale, männerverschlingend

Film | Im TV: Tatort – Am Ende des Flurs (BR), 4. Mai Schön, man kann sagen, da zieht ein Täter von Anfang bis Ende sein Ding durch, konsequent, in aller Unschuld, einverstanden, kein Einwand. Wie so oft beginnt das Geschehen vergleichsweise unauffällig. Lisa Brenner, die bis vor anderthalb Jahren ein Verhältnis mit Franz Leitmayr hatte – man weiß davon noch nicht, der Herr Kommissar mag nicht mit der Sprache herausrücken, das wird ihm noch leidtun –, nun stürzt sie aus dem zwölften Stock. Wie sich bald herausstellt, trank sie den Champagner nicht alleine. Von WOLF SENFF