Jugendbuch | Nina Grøntvedt: Oda, absolut ungeküsst!
Eine gewisse elfjährige recht eigensinnige Göre, die wir vor anderthalb Jahren etwas demütiger zurückgelassen haben, ist wieder da. Ein bisschen nachsichtiger mit anderen, aber die Nachsicht hält nicht lange vor. Die Welt ist eben immer noch für Oda da, nicht etwa umgekehrt. Oder doch? Von MAGALI HEISSLER
Kleine Handlungen haben unvermutet große Folgen. Das tut mitunter böse weh. Überhaupt sind die ersten Schritte ins Teenagerleben nicht leicht. In Oda, absolut ungeküsst lässt Nina Grøntvedt zum zweiten Mal ihre putzmuntere Heldin vom ganz normalen Alltag erzählen. Es erweist sich, dass Oda im Guten wie im Schlechten Oda geblieben ist. Absolut!
Ach, ist das Leben schön! Jedenfalls für Oda. Der Frühling kommt, sie ist unverbrüchlich mit ihrer besten Freundin Helle befreundet. Deren älterer Bruder Stian lässt ihr Herzchen flattern und die schreckliche kleine Schwester Erle ist hin und wieder ganz nett. Zudem hat Oda ein neues Tagebuch. Sie musste ihren Eltern nur ein ganz kleines bisschen auf die Nerven gehen deswegen; nur eine Woche lang, von morgens bis abends, und prompt lag das Tagebuch da. So gehört sich das. Nun kann Oda drauflos schreiben, zeichnen, dichten.
Wie Odas Alltag sind die Seiten des Tagebuchs bald übervoll, Kritzeleien, Bilder und Bildchen, Gedichte, Kochrezepte, Erlebnisse aus der Schule und von den Nachmittagen mit der besten Freundin platzen nur so aus ihr heraus.
Aber die Welt ist nicht ganz in Ordnung. Helle scheint Oda hin und wieder nicht zu verstehen. Wenn Oda so darüber nachdenkt, versteht sie sich manchmal selber nicht. Stian übrigens auch nicht. Was will der auf einmal mit einem Mädchen mit dem blöden Namen Ninni? Und wieso denkt Oda neuerdings so häufig an solche Sachen wie Küssen? Ist doch eklig. Oder?
Gefühlsverwirrungen
Grøntvedt wirft die Leserin gleich kopfüber in Odas Leben. Die Heldin zeigt sich zunächst noch kindlich. Die Welt ist überschaubar, die Zukunftspläne beschränken sich auf den bevorstehenden Segelkurs mit Helle. Im Herbst wartet die höhere Schule, das jedoch liegt so fern, dass es nur wichtig wird, wenn Oda sich als ‚demnächst‘ Jugendliche gegen elterliche Erziehungsmaßnahmen wehren muss. Trotzdem stimmt etwas nicht mehr. Manche Spiele, die vor dem Winter noch wichtig waren, sind nicht mehr reizvoll. Klappt etwas nicht, fühlt sich Oda mehr als sonst gereizt und gibt ihrer schlechten Laune auch nach.
Ein überraschender Spaziergang mit dem angebeteten Stian bringt sie völlig durcheinander. Die Entdeckung, dass ihre beste Freundin auch gern mit anderen Mädchen zusammen ist, ebenfalls. Eifersucht und Abneigung fallen ebenso stark aus, wie Gefühle der Zuneigung. Das kommt ganz plötzlich, ebenso wie Odas neue Neigung, unerwartet knallrot zu werden oder albern loskichern zu müssen. Als Stian mit einem anderen Mädchen auftaucht, bricht Odas Welt erst einmal zusammen.
Die Gefühlsverwirrungen von Mädchen am Beginn der Teenagerzeit stehen im Mittelpunkt dieses zweiten Romans über die kleine Oda. Da sich Oda ihre rasch wechselnden Gefühle gar nicht erklären kann, erlebt die Leserin sie hautnah mit. Oda ist dabei niemals eine komische Figur. Ihre Schrecken sind echte Schrecken, Peinlichkeiten keine lustige Anekdote. Sehr junge Menschen leiden unvermittelt und heftig. Das wird hier ganz deutlich. Oda bleibt wenig erspart, die Autorin bringt sie eine Situation, die grandios ausgedacht ist und zugleich so lebensecht geschildert, dass man das Entsetzen und die nachfolgende Scham beim Lesen nur zu gut spürt. Die inneren Verwirrungen werden greifbar.
Heranwachsen
Die große Welt bricht gleich mehrfach in Odas Leben ein. Auf einmal ist sie nicht immer und überall die Erste und auch nicht immer gefragt. Entscheidungen werden ohne sie getroffen. Auch andere entwickeln sich und nicht in die gleiche Richtung. Ins Nachbarhaus zieht eine Familie, bei der die Elterngeneration nicht aus dem vertrauten Norwegen stammt. Fremdheitsgefühle, Ängste, Ausgeschlossensein, Kontrollverlust, mit all dem muss sich Oda auseinandersetzen.
Es gelingt ihr, weil ihr Hintergrund ein harmonischer ist, nicht paradiesisch, aber stabilisierend. Sie wächst heran und entwickelt dabei ein Empfinden für die unterschiedlichen Veränderungen, die die Menschen um sie herum durchmachen. Selbst die Hühner, die ihr Vater anschafft, verändern sich und jedes für sich findet seinen Platz. Oda findet ihren, weil sie lernt, auf andere zuzugehen. Sie tut es nicht mehr zutraulich, wie ein kleines Kind, sondern vorsichtig, bewusst aufgeschlossen und mit neu keimendem Selbstbewusstsein, das der Achtung vor anderen entspringt. Das ist sehr genau und zugleich ganz unaufdringlich gezeichnet. Küssen ist gar nicht das Problem, um das es geht, entdeckt Oda.
Die Zeichnungen aus ihrem Tagebuch sind wieder ein Vergnügen für sich. Sie bilden nicht nur Odas jeweilige Stimmung ab, sondern illustrieren auch geschilderte Szenen aus ihrem Alltag. In ihnen stecken ebenso viel Liebe und Humor wie im wieder einmal wunderschön übersetzten Text.
Das Ganze ist eine rundum gelungene Fortsetzung der Geschichte um eine kleine Heldin des Alltags, die man nicht verpassen sollte.
| MAGALI HEISSLER
Titelangaben
Nina Grøntvedt: Oda, absolut ungeküsst! (Absolutt ukyssa, 2012)
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Hildesheim: Gerstenberg 2014
315 Seiten. 16,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
Reinschauen
Leseprobe