Comic | Matt Groening: Liebe ist die Hölle
Bei ›Reprodukt‹ erscheint ›Life in Hell‹, die legendäre Comicstripreihe des Simpsons-Schöpfers Matt Groening, endlich wieder auf Deutsch – in leicht verdauliche Portionen aufgeteilt. Bei BORIS KUNZ hat der erste Band großen Appetit geweckt.

Der wöchentlich im Format einer klassischen Sonntagsseite publizierte Strip avanciert nach und nach zum Geheimtipp und Publikumsliebling, bleibt aber die ganze Zeit über Groenings Spielwiese, in der er alles ausprobiert, was das Medium stilistisch hergibt. Klassische Comics sind dabei eher die Seltenheit. Groening bastelt mit viel Liebe zum Detail und eigenwilligem Humor ausführliche und völlig hirnverbrannte Ratgeber zusammen, Werbeseiten für irrsinnige Produkte, stumme Bildergeschichten oder ganzseitige Cartoons. Damit hätte ›Life in Hell‹ sicherlich auch im ›Mad‹-Magazin eine Heimat finden können. Stattdessen landet die Serie in zahlreichen Zeitungen und bringt Groening schließlich den Auftrag für das Konzept einer Zeichentrickreihe ein. Für diese erfindet Groening, um die Rechte an seiner kleinen Cartoon-Experimentierstation nicht an Fernsehproduzenten zu verlieren, völlig neue Figuren: Die Familie Simpson ist geboren und Groening beginnt, Kulturgeschichte zu schreiben.
Was sind das für Cartoons und wie kommt ihr darauf, dass ihr sie verdient?
So sehr Groening sich einen Spaß daraus macht, mit Formaten zu spielen und damit zu experimentieren, was ein findiger Cartoonist mit einer annähernd quadratischen Papierfläche (und komplett ohne Farbe) so alles anstellen kann, ist ›Life in Hell‹ keinesfalls nur eine formale Spielerei, sondern durchaus auch immer ein bösartiger, schonungsloser Blick auf das Leben. Es entstehen Wiedererkennungseffekte, die schmerzhaft sein können. ›Life in Hell‹ ist bitter, verspielt, schrullig, skurril, einfallsreich, unverfroren, albern und vieles mehr. Dem Cartoon kommt extrem zugute, dass Groening nicht am Ende jeder Seite auf eine Pointe oder eine Punchline zusteuern muss, sondern sich gerade in seinen Ratgebern den Soll-Lach-Stellen völlig verweigern kann. Dass er damit trotzdem nicht auf jeder Seite das Rad neu erfindet, kann man sich denken.
Seinem Binky samt überschaubarem Anhang ist Groening bis ins Jahr 2012 treu geblieben und hat eine ansehnliche Reihe von Seiten in dieser Zeit publiziert. Die »Sammelbände«, die bislang aus dieser Reihe generiert wurden, sind insgesamt nur ein kleiner Auszug, eine Art »Best of Hell«, thematisch locker in einige grundsätzliche Themenbereiche aufgeteilt. Band 1 beschäftigt sich mit der Frage »Was ist Liebe und wie kommst du darauf, dass du sie verdienst?« Der Band eröffnet mit einem kompletten Ratgeber zum Thema Liebe in 13 Teilen und setzt sich anschließend auch weiterhin mit den Themen Beziehung, Sex, Ehe und Nachwuchs auseinander.
Je nach Lesegewohnheit kann man das Büchlein in einem Zug verschlingen oder an entsprechender Stelle als Klolektüre platzieren, um das ganze Jahr über Freude daran zu haben. Die darin versammelten Cartoons stammen hauptsächlich aus den Jahren 1982 bis 1984 und decken nur einen kleinen Teil aus dem Gesamtwerk ab. Damit folgt ›Reprodukt‹ allerdings einer aus den USA vorgegebenen Aufteilung der Serie in Einzelbücher.
Publizieren ist die Hölle
Dass die vielen Wortspiele, die ständige Neuschöpfung von Bezeichnungen (wie »Quassel-Onkel«), oder die zahlreichen popkulturellen Bezüge für den Übersetzer eine große Herausforderung darstellen, ist keine Frage. Matthias Wieland, als Übersetzter auch mit den Simpsons und Futurama vertraut, hat hier einen guten Job gemacht. Wie sehr die deutsche Fassung im Einzelnen neben dem amerikanischen Original bestehen kann, soll an dieser Stelle nicht entschieden werden. Konstatiert werden kann hier allerdings, dass auch der deutsche Leser seine Freude an den Gags haben wird. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang etwa die Folge »Die Hits der Kids«, in der Groenings Figuren ein Best Of jener dämlichen Kalauer-Songs zum Besten geben, die man sich im Schulbus auf dem Weg zur Turnhalle vorsingt. Wie lange musste Wieland wohl im kollektiven Gedächtnis graben, bis ihm so zeitlose Zeilen wie »Von den blauen Bergen kommen wir, unser Lehrer ist genauso dumm wie wir« wieder eingefallen sind?
Dass ›Life in Hell‹ nun also endlich wieder auf dem deutschen Comicmarkt präsent ist, ist eine gute Nachricht. Für den gelegentlichen Comic- und Cartoonleser werden die Bände von ›Reprodukt‹ sicherlich eine gute Alternative zu Walter Moers oder Nicolas Mahler darstellen. Der eingefleischte Comicfan aber wird sich in Zeiten der ›Integral‹-Sammelbände, der ›Donjon‹-Schuber, der ›Barks Library‹ und der ›Spirit Archive‹ schon fragen, warum man zumindest bei ›Pantheon Books‹ nicht auf die Idee kommt, ›Life in Hell‹ schlicht und ergreifend als große Gesamtausgabe zu veröffentlichen. Angesichts der 1600 existierenden Seiten können die recht schmalen Themen-Bände (nach »Liebe« folgen »Arbeit«, »Schule« und »Kindheit«) mit ihren 48 Seiten eigentlich nur als Appetithäppchen bezeichnet werden. Vertreiben wir uns damit also die Wartezeit auf die dicken Sammelbände, und hoffen, dass wir auf sie nicht noch weitere Dekaden warten müssen. Sonst hat Groening wirklich Recht: Das Leben ist die Hölle!
| BORIS KUNZ
Titelangaben
Matt Groening (Zeichnungen und Text): Liebe ist die Hölle (Love ist Hell – A Cartoon Book by Matt Groening)
Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland
Berlin: ›Reprodukt‹ 2013
48 Seiten, 12 Euro
Reinschauen
›Reprodukt‹ ist die Hölle
Leseproben sind die Hölle
Matt Groening ist die Hölle