//

Nacktes Grauen selbst erlebt

Menschen | Karl Marlantes: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Als Karl Marlantes 1968 für die USA in den Vietnamkrieg zieht, hat er die typischen Motive der meisten Soldaten: Er will seine Männlichkeit beweisen, er will raus aus dem Einerlei, sehnt sich nach etwas »Höherem«. Nicht nur mit Tapferkeitsorden kommt er zurück – seine Lebensbilanz »Was es heißt, in den Krieg zu ziehen« sucht nach einem Moralkodex für Kriege. Hochaktueller Stoff für hier und heute, wo es wieder mal nach einem Sieg säbelrasselnder Dummheit riecht. Von PIEKE BIERMANN

Karl Marlantes: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen»Das Marine Corps hatte mir das Töten beigebracht – aber nicht, wie mit dem Töten umzugehen war.« Gut 40 Jahre, bevor Karl Marlantes dieses Fazit zieht, war er der Eliteeinheit beigetreten, mit zwanzig, als Collegestudent. Marlantes, Jahrgang 1944, aufgewachsen als Sohn kleiner Leute mit skandinavischen Wurzeln im ländlichen Oregon, ist damals ein tough guy, der im rauflustigsten Sport der Welt glänzt: Football. Die Männer seiner Familie haben im Zweiten Weltkrieg gekämpft und können mit Stolz auch vom Töten und dessen Grauen erzählen, die Frauen lehren ihn mit handfestem Utilitarismus, mit dem Schmerz umzugehen, als selbst Kälbchen Ferdinand, das er liebevoll gepäppelt hat, geschlachtet wird. Er wird auch ein glänzender Yale-Student und sitzt 1968 mit dem allerfeinsten Rhodes-Stipendium im britischen Oxford.

Bespuckt, gemobbt, als babykiller beschimpft

Seit drei Jahren sind die USA in Vietnam massiv militärisch aktiv und hallt die westliche Welt wider von ebenso massivem Widerstand gegen diesen Krieg. Junge Amerikaner verbrennen ihre Einberufungsbescheide oder flüchten nach Kanada. Marlantes meldet sich zum Kriegsdienst. Warum? Aus einer »sehr gegensätzlichen Mischung aus Patriotismus, Sehnsucht nach Überhöhung und Flucht aus dem Einerlei, dem Bedürfnis, meine Männlichkeit zu beweisen, Selbsterprobung und Neugier«, resümiert er.

Ab Oktober 1968 führt er einen Zug von 40 Marines, blutjung wie er. Ein Jahr später kommt er zurück mit dem Verwundetenabzeichen Purple Heart und zwölf Tapferkeitsorden vom Feinsten. Ein hero, aber in einem Krieg, der für viele Landsleute überhaupt nicht fein ist. Er wird bespuckt, gemobbt, als babykiller beschimpft. Er schweigt, studiert zu Ende, beginnt eine Karriere.

Wie »unfein« der Vietnamkrieg war, weiß er nur zu gut: von innen. Er hat das nackte Grauen selbst erlebt – und anderen bereitet. Jahre später holt es ihn ein. Flashbacks, Alpträume, Gewaltausbrüche. Die Posttraumatische Belastungsstörung zerstört seine Ehe. Mit Stolz erzählen kann er nichts, erzählen tut er trotzdem, 30 Jahre lang, in der einzigen Form, in der er seine Wahrheit verarbeiten kann: fiktionalisiert zum Roman »Matterhorn«.

Vorschläge für eine veritable Revolution des Militärs

»Was es heißt, in den Krieg zu ziehen« ist sein zweites Buch, eine Mischung aus Autobiographie und radikaler Reflexion über den Krieg, also über Leben, Tod, Menschsein. Er ist kein Pazifist, für ihn wird es Krieg und also Krieger geben, solange die Welt nicht nur von guten Menschen bewohnt wird. Aber es gibt für ihn sehr wohl so etwas wie anständige Kriege(r), argumentiert er, geprägt von dem, was seine Vorfahren ihm unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs beigebracht haben. Und dafür braucht es einen Moralkodex, kurz zusammengefasst: Gewalt ist nur ethisch zu rechtfertigen, wenn sie defensiv ist und bleibt. Jeder Angriffskrieg, zum Beispiel die angeblich »präventive« Irak-Invasion, ist so moralisch wie ein Lynchmob.

Marlantes entwickelt konkrete Vorschläge, wie aus dem Moralkodex Praxis werden kann – sie reichen von der Kindererziehung über eine veritable Revolution des Militärs bis einer neuen »Kriegsmythologie«. Für deutsche Leser mit der europäischen Aufklärung im Gepäck mag das oft auftauchende (und nicht immer korrekt eingedeutschte) Wort »spirituell« nach Esoterik klingen. Marlantes ist kein Esoteriker, sondern einer, der sensibel und aus Erfahrung über Krieg nachdenkt. Leider ist Marlantes‘ zweites Buch in unnötig zähes Deutsch übersetzt, schlecht lektoriert und enthält ärgerliche Fehler – im krassen Gegensatz zu »Matterhorn«, dem man in jeder Zeile anmerkt, dass sich der Übersetzer auch mit Militärischem auskennt. Trotzdem sollte es auch hierzulande gelesen werden: nicht nur von Soldaten und deren Kriegsherren. Wie wär’s denn zum Beispiel mit einer gut lektorierten Taschenbuchausgabe, von mir aus gesponsert vom Verteidigungsministerium. Gern auch mit einem Vorwort der neuen »Mutter der Kompagnie«, statt Drohnen.

| PIEKE BIERMANN

Eine erste Version der Rezension wurde am 7. Juli 2013 bei Deutschlandradio Kultur veröffentlicht.

Titelangaben
Karl Marlantes: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
(What It Is Like to Go to War, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence
Zürich: Arche 2013
319 Seiten. 19,95 Euro

Karl Marlantes: Matterhorn
(Matterhorn: A novel of the Vietnam War, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Zürich: Arche 2012
672 Seiten. 24,95 Euro

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Who is who« der vergessenen Dinge

Nächster Artikel

Unruhe in Europas Hinterhof

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Life is money

Gesellschaft | Philip Roscoe: Rechnet sich das? Wie ökonomisches Denken unsere Gesellschaft ärmer macht Philip Roscoe ist quasi prädestiniert, eine Kritik des neoliberalen Denkens zu verfassen. Der Wirtschaftswissenschaftler und Dozent für Management hat auch Theologie und Arabisches Denken des Mittelalters studiert. Der plakative Titel Rechnet sich das? Wie ökonomisches Denken unsere Gesellschaft ärmer macht wird damit dem philosophisch aufgeladenen Inhalt des Buches nicht gerecht. VIOLA STOCKER ließ sich tiefer leiten.

Rabbiner in Feldgrau

Kulturbuch | Sabine Hank / Hermann Simon / Uwe Hank: Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges Das wilhelminische Kaiserreich war ein Staat der schroffen Gegensätze, steckengeblieben irgendwo zwischen industrieller Moderne und ideologischem Mittelalter, zwischen Demokratie und Neoabsolutismus. Niemand bekam das mehr zu spüren als die jüdischen Deutschen. Von PETER BLASTENBREI

Von Gläubigen, Ungläubigen und Leichtgläubigen

Gesellschaft | Linda Dorigo/ Andrea Milluzzi: Bedrohtes Refugium. Christliche Minderheiten im Nahen Osten Kurz vor Kriegsausbruch 1991 trafen sich die Oberhäupter der im Irak vertretenen christlichen Konfessionen in Bagdad und appellierten eindringlich an den Westen, den Frieden zu wahren. Griechisch-Orthodoxe sah man da, Melkiten, Assyrer, Chaldäer, Nestorianer, Armenier, Jakobiten, Katholiken und Protestanten, in ihren bunten Trachten. Sie alle trieb nicht die Liebe zum Regime Saddam Husseins, sondern die richtige Einschätzung, dass ein Krieg die Balance in der Region zerstören würde – zum Schaden besonders der Christen. Bedrohtes Refugium von Linda Dorigo und Andrea Milluzzi will eine Art Bestandsaufnahme christlichen Lebens

Vom Ende her gedacht

Gesellschaft | Hermann Bausinger: Ergebnisgesellschaft Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. In der Physik bezeichnet Leistung die umgesetzte Energie in Relation zu einer Zeitspanne. Der Weg – also der zeitliche Ablauf – ist hier das Ziel! Übertragen auf die Gesellschaft müsste also das Wirken durch die Zeit den Begriff der »Leistung« gleichfalls ausdrücken. Das Erleben, das bewusste Fortschreiten mit und in der Zeit, sollte somit Maßstab unseres Denkens und Handelns sein. JÖRG FUCHS begibt sich auf die Suche nach dem Verhältnis von Ergeben und Erleben.

Ein nicht angenehmer Spiegel

Gesellschaft | Jan Stremmel Drecksarbeit

Diese 192 Seiten tun weh, irritieren, machen mehr als nachdenklich. ›Drecksarbeit‹, der Titel ist für manche dieser zehn Geschichten noch untertrieben. Jan Stremmel will treffen, will wachrütteln, will aufklären. Von BARBARA WEGMANN