Freiräume der Sehnsucht

Film | Roberto Andò: Viva la libertà

2013 war ein großes Jahr für den italienischen Film und für Toni Servillo. Der Neapolitaner, der für seine nonchalant-laszive Verkörperung des kultivierten Partylöwens und Nostalgikers Jep Gambardella in Paolo Sorrentinos ›La grande bellezza – Die große Schönheit‹ völlig zu Recht den Europäischen Filmpreis als Bester Darsteller absahnte, ist seit Ende Februar zurück in den deutschen Kinos: Diesmal in einer unwiderstehlichen Doppelrolle. Von ALBERT EIBL

Viva la libertàIn Roberto Andòs rundum gelungener Politsatire ›Viva la libertà‹ begegnen wir ihm gleich zweimal: Einmal in der Rolle des hochrangigen Oppositionspolitikers Enrico Oliveri, einem stillen Mittsechziger mit Leidenschaft fürs anspruchsvolle Kino, der dem politischen Geschäft längst überdrüssig geworden ist in einem Land, das die Regierungen wechselt als wäre Nachhaltigkeit etwas Unanständiges, und sich deshalb kurzerhand zu einer ehemaligen Geliebten (Valeria Bruni Tedeschi) nach Paris absetzt – freilich ohne seiner von miserablen Umfragewerten gebeutelten Partei, geschweige denn seiner rechten Hand, dem tief ernsten Andrea Bottini (Valerio Mastandrea) vorher Bescheid zu geben.

Bottini, dessen Privatleben von der alles durchdringenden Banalität des Politischen genauso an den Abgrund des Nichts gedrängt wurde wie das seines früh ergrauten Chefs, ist auf einen Schlag in argen Erklärungsnöten, sowohl vor seiner im Sumpf von leeren Phrasen und Ränkespielen versinkenden Partei, wie vor dem Staatspräsidenten (Massimo De Francovich), der ihm nicht ohne Untergangspathos erklärt, dass sich Italien in der gegenwärtigen Lage einfach kein Verstummen der Opposition leisten könne. In der Not verfällt Bottini auf die semigeniale Idee, dem frisch aus dem Sanatorium entlassenen Ebenbild Oliveris, dem Zwillingsbruder und Philosophen Giovanni, solange die Parteigeschäfte des fahnenflüchtigen Bruders zu übertragen und dessen Rolle vor der Nation spielen zu lassen bis dieser – so Gott will – aus seinem selbstgewählten Exil zur Basis nach Rom zurückkehrt.
Dieser willigt ein und fügt sich rasend schnell in die von Servillo mit sublimer Lust und seltener Leichtigkeit gespielte Rolle eines Politikers auf Konfrontations- und Aktionskurs, der vor unsren Augen mit der Authentizität einer Naturgewalt von seiner neu gewonnenen Identität Besitz ergreift und alles um ihn herum in einen frühlingshaften Taumel der Begeisterung versetzt. Während sein in Gestik und Mienenspiel deutlich farbloserer Bruder seinen wiederbelebten Jugendträumen an einem französischen Filmset auf der Spur ist, mit der hübschen Assistentin Mara (Judith Davis) nackt nach Drehschluss Baden geht und im neuen Freund seiner Verflossenen seinen absoluten Lieblingsregisseur kennenlernt, erobert sich Giovanni die politikverdrossenen Massen und nicht zuletzt die sensible Ehefrau seines Doppelgängers (Michela Cescon) mit breitem Grinsen und einem Lied auf den Lippen, das von Wahrheit, Tat und Erneuerung singt.

Großartig zu sehen, wie er hohle Journalistenfragen mit viel abgründigem Humor und geistreichen Paradoxa zu Staub redet, mit der deutschen Kanzlerin zu einem Tango leichtfüßig übers Parkett gleitet (während Bottini ihn dabei zuerst völlig ungläubig, dann verschmitzt lächelnd durchs Schlüsselloch beobachtet), wie er Brecht zitierend vor Zehntausenden begeisterungswilliger Bürger nichts weniger als den vollkommenen Neuanfang der italienischen Politik beschwört, oder den Staatspräsidenten in einem Prachtsaal des Quirinale in burlesker Weise zum Versteckspiel animiert. Frei nach dem Motto: Wenn die Normalen uns hierher gebracht haben, brauchen wir einen Verrückten, um uns wieder zur Normalität zu führen.

Dabei geht es in Andòs Film aber nicht nur um den Mut zur spielerischen Unkonventionalität, um das in Italien innig verschwisterte Verhältnis von Maskerade und Politik, von taktischer Täuschung bei gleichzeitigem Pochen auf Anstand und Wahrhaftigkeit, sondern vor allem um die Freiheit des Einzelnen, sich die Freiräume in seinem Leben zu erkämpfen, die die Sehnsucht nach etwas Höherem wachhalten: Sei es den utopischen Traum vom radikalen politischen Wandel oder die nicht weiter zu begründende Befriedigung, die man nach dem Schauen eines echt komischen, vollauf gelungenen Films verspürt.

| ALBERT EIBL

Titelangaben
Viva la libertà
Italien 2013, 94 Min.
Regie: Roberto Andò
Kinostart: 27. Februar (D)
11. April (Öst.)

1 Comment

  1. Kompliment für die messerscharfe Analyse an Albert Eibl. Er schaffte es wieder mit einem quantum Humor, der sich wie ein grüner Faden durch alle seine Texte erstreckt, die Pointe des Films herauszufiltern und dem Leser einen doch sehr gründlichen Überblick über die Handlung des Meisterwerkes der italienischen Satire herauszuarbeiten.

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