Roman | Asta Scheib: Sonntag in meinem Herzen. Das Leben des Malers Carl Spitzweg
FLORIAN WELLE rezensiert Asta Scheibs Romanbiografie Sonntag in meinem Herzen, in der sie vom Münchner Maler Carl Spitzweg erzählt.
Die zentrale Stelle findet sich im letzten Drittel von Asta Scheibs Romanbiografie Sonntag in meinem Herzen. Da unterhält sich Carl Spitzweg mit Moritz von Schwind. Zunächst erklärt Spitzweg dem Freund, wer Gottlieb Biedermaier war, der so häufig in den Fliegenden Blättern publiziert hat und dessen Tod nun betrauert wird. Den schwäbischen Dorfschulmeister gäbe es gar nicht, sagt Carl, er sei eine erfundene Spottfigur des Mediziners Adolf Kußmaul und des Juristen Ludwig Eichrodt. Erfunden, um ein biederes Leben im stillen Winkel vorzuführen und auf die Schippe zu nehmen. Dann fügt der Autodidakt hinzu: »… ich fürchte, meine Bilder werden oftmals missverstanden, sodass künftige Generationen an eine gute alte Zeit glauben werden«.
In der Tat ließ Spitzwegs heiter-ironische Kunst mit ihren verliebten Einsiedlern, glücklosen Jägern und strickenden Wachtposten bei vielen späteren Generationen die Vorstellung entstehen, das 19. Jahrhundert sei eine gemütliche Epoche gewesen. Das ist grundlegend falsch. Die Spitzweg-Forschung hebt seit Längerem hervor, dass der gebürtige Münchner seine Gemälde wie ein Bühnenbildner aus genau beobachten Versatzstücken zusammensetzte und immer wieder neu arrangierte. Unmerklich wird dabei der Betrachter in die auf den ersten Blick beschaulich wirkenden Inszenierungen mit hineingezogen. Wer über all die Käuze schadenfroh lacht, lacht letztlich über sich selbst.
Das ist das eine. Das andere ist, dass Asta Scheib auf eindringliche Weise das Alltagsleben im 19. Jahrhundert zur Darstellung bringt. Genau das aber vermutet man nicht bei einem Buch mit dem betulichen Titel Sonntag in meinem Herzen – dieser scheint erst einmal alle Klischees über den Maler und das biedermeierliche 19. Jahrhundert zu bestätigen. Doch das damalige Leben war vor allem geprägt von der beständigen Angst vor Seuchen. Allein zu Lebzeiten Carl Spitzwegs wütete die Cholera dreimal in München.
Die Flucht vor der Krankheit aufs Land zieht sich wie ein roter Faden durch Scheibs Werk, das sich in einer Mischung aus Fakt und Fiktion dem Leben des Münchner Malers von seiner Geburt im Jahr 1808 bis zum Tod 1885 nähert. Nicht selten jedoch war die Krankheit schneller, viele von Spitzwegs Freunden und Kollegen wurden dahingerafft, zuletzt erwischte es seinen engsten Freund, den Landschaftsmaler Eduard Schleich.
Männer- und Frauenschicksale
Ein anderer Aspekt, den Scheib akzentuiert, ist die Rolle der Frau. Anhand von Carls Mutter Franziska, seiner großen Liebe Clara und schließlich der ihm zeitlebens treu verbundenen Haushälterin Juli schildert die Münchner Autorin Frauenschicksale quer durch alle sozialen Schichten. So unterstützte Spitzwegs klassisch gebildete Mutter ihren zweitältesten Sohn in seinen künstlerischen Ambitionen.
Trotzdem hatte der rein kaufmännisch denkende Vater Simon Spitzweg das letzte Wort im Haus. Einmal kugelte er dem Jungen im Streit die Schulter aus, was die Angst Carls vor dem Papa verstärkte. Dass sein Sohn Apotheker werden sollte, stand für den Vater von vorneherein fest, alles andere waren Flausen. Frei fühlte sich Carl erst nach dem Tod des Vaters. Er ermöglichte es ihm, sich ganz der Malerei zu widmen.
Auch das Schicksal von Carls Partnerin Clara steht prototypisch für ein Frauenleben im 19. Jahrhundert. Gerade 16 Jahre alt war das wunderschöne Mädchen, als sie in eine durch und durch unglückliche Ehe mit einem gutsituierten Geschäftsmann gezwungen wurde. Zwanzig war sie dann, als sie sich in den dürren, knollennasigen Apotheker verliebte. Doch den beiden war nur ein kurzes gemeinsames Glück beschieden. Clara starb an Lungenentzündung, und Carl sollte zeitlebens alleine bleiben. Umsorgt wurde er nur von Juli, einer einfachen, patenten Frau aus dem Volk, die mit ihrer verkrüppelten Hüfte damals kaum eine Chance auf eine Anstellung gehabt hätte, wenn sie nicht von Carl aufgenommen worden wäre.
Sonntag in meinem Herzen ist eine klassisch aufgebaute Romanbiografie, solide erzählt, sieht man einmal von manch kitschiger Formulierung ab. Wer mehr über Spitzwegs Kunst und Kunstverständnis wissen will, ist freilich bei den diversen Ausstellungskatalogen weiterhin besser aufgehoben. Zwar liefert Scheib die eine oder andere hübsche Beschreibung von Spitzwegs Pointenbildern; erwähnt jedoch auch die zerstrittene Münchner Kunstszene in der Mitte des 19. Jahrhunderts; schildert zudem die vielen Reisen des Malers, die ihn zuletzt zu den Freiluftmalern nach Barbizon führten, was noch einmal eine Wende in seiner künstlerischen Arbeit markiert. Zentral für Scheib ist jedoch etwas anderes: das Leben und Sterben im bürgerlichen Zeitalter.
Titelangaben:
Asta Scheib: Sonntag in meinem Herzen
Das Leben des Malers Carl Spitzweg
Berlin: Hoffmann und Campe 2013
496 Seiten. 21,99 Euro