//

Starker Tobak

Film | TV: Tatort 914 Paradies (ORF), 31. August

Ganz Österreich ist potenzieller Tatort beim ORF, wir erinnern uns an ›Kein Entkommen‹ aus dem Februar 2012, in dem mitten in Wien alte Rechnungen aus dem Bosnien-Krieg beglichen wurden, an Ermittlungen in der Kärntner Provinz (›Unvergessen‹, Mai 13), an Elendsprostitution in Wien (›Angezählt‹, September 13), an ein Horrorhaus im niederösterreichischen Gieselbrunn (›Abgründe‹, März 14). Das Geschehen in ›Paradies‹ spielt sich in der steiermärkischen Provinz in einem Altersheim für Mittellose ab. Von WOLF SENFF

Tatort Paradies. Foto: ORF/Hubert Mican
Tatort Paradies
Foto: ORF/Hubert Mican
Bibi Fellner und Moritz Eisner halten sich anlässlich des Todes von Bibi Fellners Vater in besagtem Altersheim auf. »Die meisten Menschen haben ihr Leben lang hart gearbeitet, und am Ende landen sie in so einem Loch«. Die Stimmung ist mau, bedrückend, provinziell, auch der Zuschauer kann sich ihr kaum entziehen.

Sechzigtausend Euro geben zu denken

Sie ist nicht melancholisch gefärbt oder nostalgisch, nicht sentimental, sondern einfach nur trist, auch Fellners Verhältnis zu ihrem sterbenden Vater fügt sich. Allein der Undercover-Freund versteht dieses Einerlei aufzuhellen, »Sie können jetzt nicht einfach gehen, wir müssen einen Einlauf machen«.

Man weiß gar nicht, wie man diese Konstellation der Figuren nennen soll, auf ihre Weise ist sie harmonisch und hält lange vor, sie trägt, zumal der eigentliche Kriminalfall, ganz gegen die Krimigewohnheit gedreht, lange auf sich warten lässt – was letzten Sonntag peinigte, ist diesen Sonntag spitze, so kann’s gehen –, und Action à la USA wird später beigemengt, in behutsamer Dosierung, der ORF gibt uns wieder mal alles.

Verbindendes Gezänk

Trotz der Armut des Vaters stößt Bibi Fellner in einem Bankdepot auf eine Hinterlassenschaft von sechzigtausend Euro. Das ist nicht koscher und gibt zu denken, Fellner und Eisner ermitteln zunächst privat und schöpfen Verdacht aufgrund wöchentlicher Gruppenfahrten der Senioren ins benachbarte Ungarn, verbunden mit regelmäßigen Bankeinzahlungen.

Die Handlung schreitet langsam, gar etwas betulich voran, immer mal wieder werden Verdachtsmomente gestreut, aber es herrscht feiner Humor, Buch und Regie zeichnen liebevoll die steirische Mentalität nach. Und natürlich, nicht zu vergessen: Bibi Fellner und Moritz Eisner tragen ihr stets verbindendes Gezänk aus.

Alle wollen Leistungsgesellschaft

Die Winde drehen erst und werden stürmisch, als sich der Verdacht auf grenzüberschreitenden Drogenhandel bestätigt. Chrystal Meth ist eine »Droge für Leute, die im Beruf was leisten müssen« oder, anders formuliert, man benötigt »jede Menge innovativer Ideen in einem expandierenden Markt mit einer unfassbaren Rendite«. Wen wundert’s, dass ältere Herrschaften sich auf diesem Feld bewähren möchten?

»Manchmal weiß ich nicht, ob das Leben nüchtern wirklich leichter zu ertragen ist als besoffen«. Starker Tobak wird uns da in ›Paradies‹ zugemutet, doch man merkt es kaum, man sieht unbefangen und womöglich gern darüber hinweg, weil er uns mit bewundernswert leichter Hand dargeboten wird. Eine angenehme Eröffnung der ›TATORT‹-Saison 14/15.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Paradies (Österreichischer Rundfunk Fernsehen),
Regie: Thomas Kiennast
Ermittler: Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser
Sonntag, 31. August, 20:15 Uhr (ARD)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Axel Hacke hat da so ein Gefühl

Nächster Artikel

Politik macht’s genauso

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Schluss mit Reha, Frau Odenthal!

Film | Im TV: ›TATORT‹ Die Sonne stirbt wie ein Tier (SWR) Zum Krimi diesmal kein Wort, nein, zuallererst ist das ein Film, der mit Gewohnheiten bricht. Lena Odenthal, völlig verändert, ist auf Reha, sie häutet sich. Nein, sympathisch. Doch nicht allein Odenthal und Kopper (der telefoniert mit Maria in Italien und wie frech ist denn das, dass sie uns das nicht übersetzen), das Drehbuch wirft massiv schillerndes Personal in die Handlung. Von WOLF SENFF

Gesellschaft auf Dröhnung

Kino & TV | Side Effects – von Steven Soderbergh Wie bereits in seinem Klassiker Traffic (2000) verbindet Steven Soderbergh auch in seinem neuen Thriller Side Effects (2013) eine spannende Geschichte mit einer aktuellen gesellschaftskritischen Thematik. Beide Filme behandeln das Thema Drogen. In Traffic war es der Kokainkonsum, der in den USA bereits alle Gesellschaftsschichten erfasst und zum Aufblühen der lateinamerikanischen Drogenkartelle geführt hat. Side Effects behandelt den massiven Konsum ganz legaler Drogen, den Antidepressiva. Deren Verbreitung wird dem Film zufolge von einer skrupellosen Psychopharmaka-Industrie vorangetrieben, die selbst Therapeuten für ihre Zwecke kauft. Von GREGOR TORINUS

Offen-verworren und brillant-stringent

Film | Neu auf DVD: Die Wolken von Sils Maria Sils Maria ist ein Ortsteil von Sils, welcher in der Schweiz, Kanton Graubünden liegt. Dank des angenehmen Klimas und der schönen Lage zog es viele Schöngeister dorthin, die in Ruhe ihre Inspiration finden wollten. So auch der Regisseur Wilhelm Melchior, welcher eine Neuauflage seines erfolgreichen Theaterstückes ›Die Malojaschlange‹ plant. Von ANNIKA RISSE

Wie die Welt sich dreht

Film | Im Kino: The Grandmaster (Wong Kar-Wai) Vielleicht war das bereits ein frühes Signal für das Bröckeln des Westens und seiner Lebensweise, man weiß es nicht. Man soll seine Texte nicht mit »vielleicht« beginnen, vielleicht ist das ein Signal dafür, dass auch die Texte bröckeln, wer weiß das schon, es bröckelt und zittert, wo niemand es vermutet hätte: bei den Banken, der Gesundheitsvorsorge, den Werksverträgen usw. usf., und die Lernäische Schlange reckt ihre Köpfe, jene Hydra, die wir bei Homer endgelagert wähnten, als Merkel ist sie uns auferstanden, Europa liegt in Schockstarre. Von WOLF SENFF

Freiräume der Sehnsucht

Film | Roberto Andò: Viva la libertà 2013 war ein großes Jahr für den italienischen Film und für Toni Servillo. Der Neapolitaner, der für seine nonchalant-laszive Verkörperung des kultivierten Partylöwens und Nostalgikers Jep Gambardella in Paolo Sorrentinos ›La grande bellezza – Die große Schönheit‹ völlig zu Recht den Europäischen Filmpreis als Bester Darsteller absahnte, ist seit Ende Februar zurück in den deutschen Kinos: Diesmal in einer unwiderstehlichen Doppelrolle. Von ALBERT EIBL