Kulturbuch | Axel Hacke: Fußballgefühle
Seit einer Woche nun rollt der Ball, grünt das Grün, gellt der Pfiff! Die Fußball-Bundesliga ist zurück: endlich Zeit für große Emotionen! Axel Hacke hat schon mal ganz tief in sich hinein gehorcht, SUSAN GAMPER auch.
Der Erkenntnis, dass der »Fußball in der Mitte der Gesellschaft angekommen« sei, gar im Feuilleton, ist über die letzten Jahre ja ein formschöner Szenekiez-Vollbart gewachsen. Berichten Zeitzeugen immer wieder, Fußballfans hätten »früher« im bürgerlichen Milieu geradezu als asozial gegolten, so überschlugen sich deutsche Akademiker spätestens um die 2006er-WM herum, ihre Liebe (zumindest aber ihr Interesse) für die »Fußlümmelei« kundzutun. Was dies über die Vorstellungen einer Gesellschaft zu den Themen Bodenständigkeit oder Männlichkeit aussagen könnte, ist einen eigenen Text wert. Darum muss es hier aber auch deswegen nicht gehen, weil Axel Hackes »Fußballgefühle« jenseits des Symptom-seins auch Augen- und Kopfschmaus ist.
Freundlich blickt der Autor vom Titelfoto drein: ein bisschen falsch (Hemd, Sakko, Lederschuhe), ein bisschen richtig (Tribüne, Bank, Ball). Das Buch gefällt, es ist hübsch anzusehen und wartet mit kleinen Erfreungen (Daumenkino!) auf. Die Leserin ist milde gestimmt. Sie erinnert sich an frühere frohe Leseminuten (die ›Wumbama‹-Trilogie) und -stunden (›Das Beste‹ von überall), schiebt die Skepsis (»Noch ein Fußballtitel!«) beiseite und liest weit länger in Hackes Buch, als es vernünftige Menschen tun sollten, die am nächsten Morgen ins Büro müssen.
Die schönsten Ideen in diesem an schönen Ideen nicht gerade armen Buch sollen geteilt werden:
Da erklärt Hacke uns beispielsweise, wie der Ball in eine von Fünfecken, Zylindern und Oktaedern geprägte Welt kam: Ein Spalt zwischen »tief hängenden Sommerwolken« öffnete sich, der erste Ball fiel heraus und wurde von einem Mann aufgenommen. Aus den Wolken ertönt »ein Chor erregter Stimmen«: »Hand!«
Und den Ball hat ein Mann aufgenommen? Nur folgerichtig, in Hackes schöner Fußballwelt. Seine Überlegungen diesbezüglich untermauert er mit den Ausführungen des Sportsoziologen Gunter Gebauer: Die Präsenz von Frauen beim Fußball(-schauen) führt zu einem »Zivilisationsschub«, den Hacke offensichtlich nicht gut heißt. Ein Fußballtrainer, der für Hautpflegeprodukte wirbt? Bei Herberger hätt’s das nicht gegeben.
An anderer Stelle erfahren wir Konkretes: Axel Hacke verfolgt das Spiel am liebsten daheim (ohne diese anderen Menschen mit den falschen Schals), noch lieber ohne Ton. Er schimpft und schreit und tobt: »Unzivilisiert ist das Mindeste«. Er beschreibt aber auch die magische Schönheit der Zeitlupe und gesteht, sich eine bessere Welt zu wünschen, in der die Regeln des Fußballs auch im Restleben gelten: Mit unterstützenden Trainern, regulierenden Schiedsrichtern, gerechten Platzverweisen, schweißnassem Jubel und einem reinigenden Einwurf dann und wann. So changiert dieser Text insgesamt zwischen Hackes Wunsch nach Authentischem, nach Reinem, Echtem und Rohen und der philosophischen Betrachtung des Weltspiels. Er erklärt seine Bewunderung für Zidane, den »Zauber im Umgang mit dem Ball« und benennt dann dessen Unbeherrschtheit als Problem. Oder doch nicht? Schließlich hatte auch die »bisweilen sogar etwas Großartiges«. Und so ist’s in diesem Buch, wie im Fußball überhaupt: Ein »beständiges symbolisches Ringen um die Zivilisierung des Menschen.«
Ach, apropos »Hand«: Warum ist’s wohl ein Spiel mit den Füßen, das so beliebt ist? Hacke stellt uns die These von Burkhart Spinnen vor, nach der es gerade die schlechte Kontrollierbarkeit des Balls ist, die uns fesselt. Beide meinen, dass ihn zu halten nur durch Loslassen möglich wird. Dass man den Ball abgeben muss, um ihn im Team zu behalten, führt zu einer enormen Dynamik und Attraktivität des Spiels. Und diese Attraktivität – darauf kommt der Autor gegen Ende seiner Ausführungen zurück – ist in den letzten Jahrzehnten auch deshalb gestiegen, weil der Fußball »als Mannschaftsspiel noch einmal neu erfunden« wurde. Das Genie, der Erfolg ist der der Gemeinschaft. Insofern haftet jenseits aller Taktik, aller Berechnung und Auswertung dem Fußballspiel eine große Romantik an und die Hoffnung: Beim nächsten Spiel wird alles besser!
Axel Hacke hat die Hausaufgaben gemacht: Er hat sich informiert, was Sozial- und Kulturwissenschaftler so zum Thema Fußball beizutragen haben. Er hat das in Beziehung gesetzt zu seinen eigenen Erfahrungen, zu seinen Erinnerungen und zu seinem beachtlichen Fußballwissen. Er hat das alles zusammengeschrieben zu einem immer kurzweiligen, oft lehrreichen und manchmal berührenden Buch, das nicht alle Fragen ans Phänomen Fußball beantwortet aber doch in jedem Fall zum in sich hinein horchen anregt.
Schließlich erfahren wir vom Autor auch, wie der geneigte Fußballfan eigentlich die letzten Wochen verbracht hat: Er unterteilt das Jahr in »Fußballzeit« und »Nicht-Fußballzeit«, befindet sich während Zweiterer in einer Art »Stand-by-Modus«. Der Fan ruht sich aus und sammelt seine Kräfte für die Herausforderungen der Saison. Nun denn: guten Morgen, liebe Fußballfreunde! Viel Kraft und Glück für 2014/15!
Titelangaben
Axel Hacke: Fußballgefühle
München: Verlag Antje Kunstmann 2014
176 Seiten, 16 Euro
Der Klassiker
Nick Hornby: Fever Pitch
London: Victor Gollancz 1992 (Erstausgabe)
Der heimliche Klassiker
Ror Wolf: Das nächste Spiel ist immer das schwerste
Königstein im Taunus: Athenäum 1982 (Erstausgabe)
Jetzt neu: Das Magazin ›11 Freunde‹ als TV-Sendung
(wird nicht so gut gefunden von Jan Freitag)
Lesungen
22.09.14, 20:00 Uhr
Lustspielhaus
Occamstr. 8
80802 München
23.09.14, 20:00 Uhr
Aula am Aasee
Scharnhornstr. 100
48151 Münster
24.09.14, 20:00 Uhr
Haus der Jugend
Große Gildewart 6-9
49074 Osnabrück
25.09.14, 20:00 Uhr
Detmolder Sommertheater
Neustadt 24
32756 Detmold
06.10.14, 20:00 Uhr
Lustspielhaus München
E.T.A.-Hoffmann-Platz 1
96047 Bamberg