Kino & TV | Side Effects – von Steven Soderbergh
Wie bereits in seinem Klassiker Traffic (2000) verbindet Steven Soderbergh auch in seinem neuen Thriller Side Effects (2013) eine spannende Geschichte mit einer aktuellen gesellschaftskritischen Thematik. Beide Filme behandeln das Thema Drogen. In Traffic war es der Kokainkonsum, der in den USA bereits alle Gesellschaftsschichten erfasst und zum Aufblühen der lateinamerikanischen Drogenkartelle geführt hat. Side Effects behandelt den massiven Konsum ganz legaler Drogen, den Antidepressiva. Deren Verbreitung wird dem Film zufolge von einer skrupellosen Psychopharmaka-Industrie vorangetrieben, die selbst Therapeuten für ihre Zwecke kauft. Von GREGOR TORINUS
Tatsächlich sind Antidepressiva in den USA mittlerweile die am häufigsten verschriebene Medikamentenart. Ihr Konsum hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Inzwischen bekommen 10 % der US-Bürger mindestens einmal im Jahr die Stimmungsaufheller verordnet. Interessanterweise wird nur die Hälfte der Pillen tatsächlich als Mittel gegen Depressionen eingesetzt. Auch ist zugleich die Anzahl der Patienten rückläufig, die zusätzlich zu der Einnahme der Glückspillen eine Psychotherapie machen. All das deutet auf eine Verwendung dieser Medikamente als neue Lifestyledroge hin. Antidepressiva sollen die Menschen demzufolge oft nicht vorrangig von psychischen Beschwerden befreien, sondern sie möglichst schnell und unkompliziert für die Leistungsgesellschaft fit machen.
Auch die seit einigen Jahren in New York lebende Emily (Rooney Mara) bekommt nach einem mutmaßlichen Selbstmordversuch von dem renommierten Psychologen Dr. Jonathan Banks (Jude Law) Antidepressiva verschrieben. Bis vor vier Jahren lebte Emily zusammen mit dem Trader Martin Taylor (Channing Tatum) ein Leben in Luxus. Als Martin jedoch aufgrund von Insidergeschäften ins Gefängnis wandert, muss Emily sich an einen vergleichsweise bescheidenen Lebensstandard gewöhnen. Auch als Martin aus der Haft entlassen wird, verbleibt sie in einem depressiven Zustand der Hoffnungslosigkeit. Die verschriebenen Antidepressiva verträgt Emily allesamt nicht. Als sie von dem neuen Antidepressivum »Ablixa« erfährt, überzeugt sie ihren Arzt, ihr dieses vermeintliche Wundermittel zu verschreiben. Und tatsächlich schlägt die Droge sofort an: Emily verspürt erneut Lebensfreude, ist voller Energie und hat auch wieder Spaß am Sex. Doch das Medikament erzeugt Nebenwirkungen – wie Schlafwandeln: Eines Nachts überrascht Martin Emily, wie diese im Schlaf Gemüse schneidet …
Unschön überrumpelt
Side Effects startet als Psychodrama; in dessen Mittelpunkt die psychisch labile Emily steht. Der von Soderbergh geführten Kamera gelingt es, ihre wechselnde Gemütszustände in adäquate Bilder zu übersetzen. Emilys düster-apathische Grundverfassung findet ihren Niederschlag in einer analogen Farbarmut der Bilder. Als Emily im Verlauf des Films auf einer Party die Fassung verliert, erscheint ihr Abbild im Barspiegel in einer seltsam, verzerrten Verdopplung, die im wahrsten Sinne des Wortes ihre innere Zerrüttung spiegelt. Unter dem Einfluss von Ablixa erscheint das ansonsten sehr kalt gezeichnete New York für sie wie eine sonnendurchflutete Traumstadt. Trotz der starken Stilisierung bewahren die Bilder zumeist einen Eindruck von Natürlichkeit und wirken nur äußerst selten maniriert.
Ab einem bestimmten Punkt verwandelt sich Side Effects in einen Film Noir und das bisher Gezeigte erscheint auf einmal in einem ganz anderen Licht. Soderbergh hebt hierbei das Prinzip des unzuverlässigen Erzählers auf eine ganz neue Ebene. Doch ohne zu viel verraten zu wollen: Die angewandte Methode wirkt im Rückblick äußerst inkonsistent und somit unschlüssig. In Folge fühlt man sich als Zuschauer ähnlich unschön überrumpelt, wie die Kinobesucher, die 1950 Alfred Hitchcocks Stage Fright sahen. Bei Hitchcock bestand das Problem neben der allgemeinen Neuerung eines unzulässigen Erzählers in der mangelhaft angelegten doppelten Lesbarkeit. Sieht man sich einen Film z.B. Die üblichen Verdächtigen (1995) ein zweites Mal an, kann man mit dem aus der ersten Sichtung gewonnenen Wissen, viele Hinweise auf die spätere Auflösung finden. Bei Hitchcock finden sich jedoch keine versteckten Hinweise auf die spätere Auflösung, wodurch diese rein willkürlich erscheint. Hitchcock gab in seinem Gespräch mit Truffaut selbst zu, an dieser Stelle einen Fehler gemacht zu haben.
Stage Fright führte somit nicht nur den unzuverlässigen Erzähler in den Hollywoodfilm ein, sondern zeigte zugleich, dass ein schlecht ausgearbeiteter unzuverlässiger Erzähler am Ende zugleich ein unzulässiger Erzähler ist. Bei Side Effects stört jedoch nicht nur, dass der entscheidende Twist auch im Nachhinein nicht als bereits heimlich angekündigt zu erkennen ist. Soderbergh zeigt in seinem Film keine zweifelhafte subjektive Sicht der Dinge. Es ist es der auktoriale Erzähler, also eine vermeintlich objektive Sicht von außen, die fehlerhaft ist. Der Regisseur baut offenbar auf die Annahme, dem Publikum entgehe es, es auf eine unzulässige Art hinters Licht geführt worden zu sein. Hierdurch wird die von Soderbergh angewandte Taktik bei all ihrer technischen Virtuosität zu einem billigen Taschenspielertrick, der völlig zu Recht einen schalen Beigeschmack zurücklässt.
Auch der vermeintlich gesellschaftskritische Überbau entpuppt sich in Side Effects schnell als prätentiöse Heißluft. Dennoch wirft der Film letzten Endes doch einen sehr entwaffnenden Blick auf die amerikanische Gesellschaft der Gegenwart. Die frappierende Unreflektiertheit, mit der alle Protagonisten bis in die letzte Nebenrolle hinein, das gleiche hohle Weltbild vertreten, gibt doch zu denken. So erklärt Dr. Banks Emily, eine Depression sei die Unfähigkeit, eine Zukunft für sich zu sehen. »Eine Zukunft für sich zu sehen« bedeutet für diese Menschen jedoch nicht ein Leben der persönlichen Selbstentfaltung und der befriedigenden zwischenmenschlichen Beziehungen. Stattdessen gieren alle nur nach Geld und nach Ansehen. Partnerschaften stehen und fallen mit der Höhe des eigenen Einkommens, damit »was man jemanden zu bieten hat«.
So äußerst sich der Drehbuchautor Scott Z. Burns im offizielle Pressematerial zu dem Film folgendermaßen zu der Entwicklung der Beziehung von Emily und Martin: »Als sie einen reichen Mann von der Wall Street kennen lernt, ergreift sie diese Chance. Sie liebt Martin, keine Frage, aber mit ihrem biografischen Hintergrund, mit ihrer Unsicherheit und ihrer Angst, wird Liebe auf viele unterschiedliche Arten erlebt. Martin bietet ihr finanzielle Sicherheit und Geborgenheit. Davon wird sie genauso verführt wie Martin von ihrer Rätselhaftigkeit.« Solche Aussagen erwecken den starken Verdacht, die Macher des Films seien selbst ähnlich oberflächlich, wie ihre Filmcharaktere. Insofern gelingt es Side Effects dann doch, wenn auch unbeabsichtigt, zu einem gesellschaftskritischen Film zu werden. Aber dies ist nur ein Nebeneffekt. Von den aufgezeigten Misstönen abgesehen ist Side Effects trotz allem ein solider Neo-Noir, der jedoch noch wesentlich besser wäre, wenn man hier nicht zu viele Dinge auf einmal zu erreichen versucht hätte.
| GREGOR TORINUS
Titelangaben
Side Effects
USA, 2013.
Regie: Steven Soderbergh
Schauspieler:
Jude Law
Rooney Mara
Catherine Zeta-Jones
Channing Tatum
Abbildungen/Video: © Open Road Films