Film | Im TV: TATORT – 903 Kopfgeld (NDR), 9. März
Na toll. Wir kennen keine Kompromisse. »Du hast drei meiner Leute getötet. Und meinen Bruder zum Krüppel geschossen.« – »Hinsetzen. Klappe halten … Schnauze. [Kommissar stößt den Kopf des Vorredners mehrfach brutal auf die Tischplatte.] Ich wollte das nur klarstellen … Ist nichts passiert, er ist nur hingefallen.« Das ist der allerneueste O-Ton beim TATORT, kein Erbarmen mit nix, Steinzeit relaunched. Von WOLF SENFF
»Ja, ja, du bist wütend. Du führst Krieg.« Sagt zum Kommissar die Staatsanwältin, die sich paar Minuten zuvor hingebungsvoll auf seiner Matratze abstrampelte. Zur Begrüßung zeigt er uns sein entblößtes Hinterteil. Ähnlich nachbarschaftliche Gesten kennt man von Justin Bieber, der ist allerdings jung. Soll das schon das Beste gewesen sein, was unser Kommissar in Kopfgeld zeigt? Nein, er hat auch die Haare schön. Ach, überhaupt, vergessen wir die langweilige Ermittlungsroutine, das sind eh alles Spießer außer wir in Hamburg, und alles sonst so lax, so lau, oder was.Echte Kerle, knallharte Macker
Der Zuschauer weiß auch nach zehn Minuten nicht, um was es geht. Zunächst mal herrscht vor allem Alarm [ein PKW fliegt in die Luft, der Kommissar, klar, hat alles unter Kontrolle] plus Action und Typen zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. »Wir haben sie zu lange glauben lassen, der Kiez gehört ihnen«, wahlweise auch: »Wir waren zu geduldig, zu korrekt, zu deutsch.« Die harte Hand regiert, die Frontlinien sind gezogen, Gefechtsordnung ist aufgestellt, das Kriegsgeschehen darf eröffnet werden.
Es begann mit einem Besuch im Knast, der Kommissar will die Bandenkriminalität trockenlegen, die Bande will den Kommissar ins Jenseits befördern, das lässt keine Fragen offen. Außerdem gibt’s eine konkurrierende Bande. Der Krieg zwischen Bürsüm/Türken und Arstan/Kurden kulminiert, wie auch anders, in einer wilden Schießerei im Lokal aufm Kiez, das ist alles vorhersagbar.
Die Zuckerpuppe Staatsanwältin wird überfallen und liegt seitdem von der Maske hübsch übel zugerichtet auf Intensiv, ein Mann sieht rot, überhaupt sind wir, wir wissen es seit der Eröffnung, unter knallharten Mackern, es geht hoch her und ist so stupide, so überschaubar, so deprimierend. Man sehnt sich nach dem A-Team, das die eisernen Fäuste, die Steinzeit-Toreros so unnachahmlich durch den Kakao zog.
Prinzip Fast Food
So ging’s lange nicht beim TATORT zu. Ermittlungstätigkeit wird drastisch zurückgeschraubt, stattdessen alle naselang neue Information eingespeist, folglich geschieht was, oder es setzt etwas Überraschendes ein, damit’s weiterläuft. Neue Gegenspieler tauchen auf, hardcore und zu allem bereit, ein kleiner Junge rührt die Herzen, und alle paar Sequenzen ist ein derber Spruch eingestreut. Sinnlos der Hinweis darauf, dass Humor anderen Regeln folgt.
Das Geschehen ist grob gefügt, als wär’s Kasperle jagt Räuber Hotzenplotz für Ü20. Die Figuren handeln aus inneren Motiven, aus einem Charakter heraus? Nein, diesmal herrscht das Prinzip »Rache ist Blutwurst«. Kopfgeld quält, seine Figuren bleiben flach, und Buch/Regie setzt eine Menge Figuren ein, auf dass das Geschehen flüssig weiterlaufe. Prinzip Fast Food ohne Ende, das Geschehen wird gar unfreiwillig komisch; nach diesem wirren Rezept backt niemand irgendwem etwas Bekömmliches.
| WOLF SENFF
Titelangaben
TATORT: Kopfgeld (Norddeutscher Rundfunk)
Regie: Christian Alvart
Ermittler: Til Schweiger, Fahri Yardim
So., 9.03.12, ARD, 20:15 Uhr
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Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
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