//

Wiedersehen und Wiederhören in Erlangen

Lyrik | Ulla Hahn am 34. Erlanger Poetenfest

Im Rahmen des 34. Erlanger Poetenfests wurde die Dichterin Ulla Hahn mit einem Autorenporträt Herz über Kopf im Spiel der Zeit am vergangenen Freitag Abend im Markgrafentheater der Stadt gefeiert. Der Journalist und Literaturkritiker Dirk Kruse moderierte das Gespräch mit der Autorin, die aus ihrem lyrischen Werk und ihren autobiografischen Romanen las. Anmerkungen von HUBERT HOLZMANN

Poetenfest-2014Mit dem Erscheinen ihres ersten Lyrikbandes Herz über Kopf (1981) avancierte Ulla Hahn, Jahrgang 1946, zum Shootingstar der neuen deutschen Lyrik, nicht zuletzt befördert durch Marcel Reich-Ranickis hymnische Kritik in der FAZ. Seitdem ist ihr Werk um neun weitere Gedichtbände und um einige Romane, darunter auch autobiografische wie Das verborgene Wort (2001) und Aufbruch (2009) angewachsen. Nicht zuletzt seit der Herausgabe ihrer Gesammelten Gedichte (2013) darf sie zu den Klassiker(inne)n der deutschen Lyrik gerechnet werden.

Dirk Kruse traf in seiner Anmoderation dieser »beliebten, geehrten, respektierten und erfolgreichen Dichterin« sogleich den passenden Tonfall, um auf die Stationen des Lebens von Ulla Hahn zurückzublicken. Anlass lieferte, wie mag es anders sein, natürlich ihr erster autobiografischer Roman (oder auch »Lebensbericht«, wie ihn Reich-Ranicki nannte) Das verlorene Wort, hinter deren Hauptfigur Hilla Palm das Alter Ego der Schriftstellerin zu sehen ist.

Interessant für das Publikum war es, von den Anfängen dieser literarisch sehr bedeutsamen Frau zu erfahren: von ihrer Arbeit als Literaturredakteurin bei Radio Bremen, von der ersten Begegnung mit ihrem Mentor Reich-Ranicki, von ihren literarischen Vorbildern wie Karl-Krolow, Else Lasker-Schüler, Hilde Domin. Dazu von Ulla Hahn gelesen eine Auswahl von Gedichte aus ihrem ersten Band: »Anständiges Sonett«, »So«, »Ars poetica« – Gedichte, die mittlerweile zum »klassischen« Lyrik-Kanon zählen. Spannend auch Ulla Hahns Anmerkungen zu ihrem Verständnis von Ironie, die, verborgen hinter tradierten Formen und Rhythmen, nie offensichtlich wirken soll, sondern zum Beispiel erst im lauten, fast singenden Rezitieren der Dichterin spürbar wird.

Auch ihr Verhältnis zur erotischen Gedichten wurde von Kruse als ein Besonderes hervorgehoben. Geradezu Bewunderung zollte er Ulla Hahn für ihren »Mut«, derartige Bildersprache als Frau zu finden. Kruse mag hier vielleicht doch die 3000-jährige Tradition erotischer Lyrik aus den Augen verloren haben, da natürlich diesen »Mut« bereits viele andere Dichterinnen wie Sappho, Friederike Brun, Annette von Droste-Hülshoff bewiesen haben dürften.

Der Moderator Dirk Kruse darf als Bayreuth-Experte des Bayerischen Rundfunks natürlich auch auf Ulla Hahns Verhältnis zur Musik Richard Wagners verweisen und dabei durchaus didaktisch werden, wenn er etwa die Korrespondenz von Wagners Tannhäuser mit Ulla Hahns Gedicht »Schwanengesang« (in: Wiederworte, 2011) hervorhebt. Für das Interesse am Boulevard vermag der Journalist Kruse jedoch auch auf eher »harmlose« Nachbarschaftsverhältnisse hinzuweisen. Für das Erlanger Publikum blickt er noch einmal zurück auf den Bayreuther Hügel, genauer zum Seitenportal vor dem diesjährigen Siegfried der Festspiele: als Ulla Hahn Arm in Arm mit Frau Merkel in die heiligen Hallen einzieht. – Dirk Kruses vergnügliche Seitenblicke auf unsere heimischen Celebs. Toll!

Nicht erst ab diesem Moment hat man als Zuhörer den Eindruck, dass es sich bei Ulla Hahn um eine ganz wichtige Person des bundesrepublikanischen Lebens handeln muss. Dass natürlich auch ihr Gatte Klaus von Dohnanyi aus dem fernen Hamburg mit nach Erlangen angereist ist, mag dies vielleicht noch betonen. Vor allem aber fällt doch auf, wie in dieser Veranstaltung des Poetenfests ab und an doch der Nimbus des Bedeutsamen gestrickt wird, etwa durch die Anekdote, dass in Dohnanyis Arbeitszimmer eine Erstausgabe von Ulla Hahns Gedichten neben denen von Novalis, Platen oder Benn stand.

Der Verweis auf die literarische Spannweite Hahns ist dabei natürlich auf jeden Fall angebracht. Dirk Kruses Madeleine-Zitat als »Odeur der Erinnerungen«, das er in Bezug zu Hahns Erinnerungsprinzip in ihren autobiografischen Romanen setzt, setzt diese Reihe des etablierten Bildungswissens bzw. Bildungsbeflissenen, der sogar Proust kennt (Wer hat denn nicht wenigstens die ersten Seiten der recherche gelesen?), fort und taucht damit das etwas in die Jahre gekommene Teegebäck in die lauwarme Brühe der biedermeierlichen Kaffeestunde ein. Das hat Ulla Hahn nicht verdient. Bezaubern doch vor allem ihre Gedichte durch eine wunderbare Musikalität, durch eine rhythmische Kraft und literarisches Spiel.

Allerdings steht den Prosatexten von Ulla Hahn eine gewisse Art von Provinzialität nicht ganz fern. So ist zum einen die rheinische Provinz der Ort, an dem ihre Romantrilogie spielt. Die rheinische Mundart ist stilprägend, ebenfalls geben burleske Szenen wie etwa die Frauenrunde um den Wäschekatalog von Quelle Einblicke in das kleinbürgerliche Leben der 50er Jahre.

Auch im dritten Band Spiel der Zeit, der Ende September in der Deutschen Verlagsanstalt erscheinen wird, kommt dieses Provinzielle zum Vorschein. Der Roman spielt in der Zeit der Studentenrevolte, die Ulla Hahn als Kölner Studentin hautnah miterlebt hat, wenngleich sie, wie sie selbst sagt, nicht politisiert war und sich eher als eine Beobachterin dieser Zeit sieht, was sie auch mit ihrer Herkunft aus einer Arbeiterfamilie begründet.

Mit diesem Beobachterstatus, vom dem aus sie das Zeitgeschehen erinnert, es »sichtet und sichtbar macht« (Marcel Reich-Ranicki), entsteht eine nicht nur reine erzählerische bzw. ironische Distanz, was man etwa an der Passage des Sternmarsches auf Bonn lesen kann. Es ist zugleich die Distanz, die entsteht, wenn der Autor recherchiert, konstruiert und Faktisches etwa aus dem politisch-gesellschaftlichen Leben einmontiert. Was entsteht, ist die Fortschreibung einer Geschichtsstunde, deren Wert auf persönlicher Nacherzählung und dem Untermauern des Status quo liegt. Also doch wieder nur Literatur des Establishments? Zumindest mag auch dem neuesten Roman Spiel der Zeit der Unterhaltungswert nicht abgesprochen werden können.

Am Ende mag noch ein Vergleich angemerkt sein: Vom Besuch des jungen Heinrich Heine in Weimar ist uns nichts Genaues überliefert, nur dass das Gespräch für den 48 Jahre jüngeren aufstrebenden Dichter wenig ergiebig war, ging doch die Konversation mit dem Geheimrat anscheinend über die Pflaumen, die am Wegrand zwischen Jena und Weimar wuchsen, nicht hinaus. Auch beinahe 200 Jahre später wäre der linksrheinisch geborene Dichter wieder sehr erstaunt. Als einer der wenigen, hätte er sich zwischen dem zahlreich erschienen und bereits leicht ergrautem Publikum doch sehr über die Bayreuther Merkel-Exkurse, manche Wäschetrogkrämerei und Ulla Hahns La Bamba-Gesänge durchaus gewundert. – Ein staatstragender Abend mit einer durchaus staatstragenden Lady.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben
Ulla Hahn: Gesammelte Gedichte
München: Deutsche Verlagsanstalt 2013
880 Seiten. 26,99 Euro

Ulla Hahn: Das verborgene Wort
München: Deutsche Verlagsanstalt 2001
608 Seiten. 24,95 Euro

Reinschauen
| Ingeborg Jaiser über Ulla Hahn in Titel kulturmagazin

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Mit dem Schwarzgeld aus dem Paradies

Nächster Artikel

Verliebt in einen Vampir

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Das Meer in uns

Lyrik | René Steininger: In Margine Die Tier- und Pflanzenwelt steckt voller verborgener Bezüge, Erinnerungen und Schwingungen. Seltsame Allianzen ergeben sich da, von denen der Mensch, wenn er nicht Biologe ist oder affizionierter Fan von Grenzen normaler Sichtbarkeit und Hemdsärmelnähe überschreitenden Naturdokus, noch nie gehört hat. – Betrachtungen zu René Steiningers neuestem Lyrikband In Margine. Von ROBERT SCHWARZ

Gedichte

Textfeld | Wolfgang Denkel: Gedichte

Ohne jeden Klang

Ein Heben des Kopfes
ein Blick zum Feld
damit die Weite mich
entstöre. Friedlich
durchrauschen mich
die Unvereinbarkeiten

Die Würde des Dichtens

Menschen | 100. Geburtstag von H.C. Artmann

»Kein Dichter in diesem mit ihm zu Ende gehenden Jahrhundert hat so bedingungslos wie H. C. Artmann die Existenz und die Würde des Dichtens noch einmal vorgelebt. In keinem Dichter des Jahrhunderts kamen wie bei ihm noch einmal die Möglichkeiten des Dichtens in einer über tausendjährigen Tradition zusammen und zeigten sich wie gerade erst erschaffen, herrlich wie am ersten Tag«, hatte Klaus Reichert auf der Beerdigung des Georg-Büchner-Preisträgers des Jahres 1997 erklärt. Von PETER MOHR

Außerdienst-Stellung eines Oberhemds

Lyrik | Peter Engel: Außerdienststellung eines Oberhemds

Jahrelang hast du mich ertragen,
während ich deinen schönen Stoff trug,
deine Baumwolle war nachhaltig
und hat mich temperiert,
mit dir fühlte ich mich besser
als mit anderen deiner Art.

Konstanten (3)

Lyrik | Vierzeiler der Woche – von Michael Ebmeyer  Woher wohin woraus worüber wie viel wie weit wie blöd wieso?