Musik | alt-J: This Is All Yours
Ganz so schmackhaft und leicht bekömmlich wie ihr Debüt klingen die britischen Alternative-Popper alt-J auf ihrem neuen Album nicht. Schade, findet MARTIN SPIESS.
»Devour me if you really think that you can stomach me«, singt alt-J-Sänger Joe Newman in ›Every other freckle‹, dem vierten Song des Albums, und man ist versucht ihm zu entgegnen, dass man zwar zum Verschlingen angetreten ist, man aber erst noch Rücksprache mit der Verdauung halten muss.
Denn wo das Debüt ›An Awesome Wave‹ noch durchgehend poppig und eingängig war, ist ›This Is All Yours‹ sperriger, weniger leicht zugänglich. alt-J schlagen allzu verschwurbelte Haken und das kommt nicht besonders gut. Die perfekte Mischung zwischen frickelig und Ohrwurm erreichen die drei Briten hier nicht mehr.
Ausgefeilter, großflächiger, verspielter
Die Arrangements sind noch ausgefeilter geworden, noch frickeliger. Es kommen neue Klänge und Instrumente hinzu. So erinnert die angezerrte Konzertgitarre, die hin und wieder auftaucht, stark an José González und dessen Band Junip. Auch Minimalismus findet sich: ›Pusher‹ etwa kommt nur mit einer akustischen Gitarre daher. Allgemein aber brummen die Synthies lauter, die Strings sind großflächiger, die Beats noch etwas verspielter. Und was alt-J schon auf dem Debüt (in ›Interlude II‹) verwendeten, kehrt auch hier wieder, nur sehr viel öfter: O-Töne. Fliegensummen am Ende von ›Arrival in Nara‹, Vogelgezwitscher in ›Garden of England‹ und Windgeheul in ›Choice Kingdom‹.
Die kanadische Pop-Punk-Band Sum41 nannte ihr erstes Album ›All Filler, No Killer‹ – ein Titel, den man getrost auch auf ›An Awesome Wave‹ anwenden kann. Wo da noch jeder Song saß, gilt das allerdings für ›This Is All Yours‹ nicht mehr.
Leider mehr Filler als Killer
Davon vermag selbst das Mehr an Arrangement, an breiteren und aufwendiger gewebten Klangteppichen und verschwurbelten Spielereien nicht abzulenken. Erst ›Every other freckle‹, Track vier des Albums, wartet mit der Eingängigkeit von ›Tesselate‹ oder ›Breezeblocks‹ auf. Und am Ende bietet ›This is all yours‹ leider mehr Filler als Killer.
Man möge das nicht als das zu Tode vorgebetete Argument der Ewiggestrigen verstehen, die keine Veränderungen wollen und eigentlich den ganzen Tag ihr Lieblingsdebütalbum auf Repeat hören würden. Wenn sich Sound oder Songwriting verändern, ist das nichts Schlechtes.
Keine kontinuierliche Großartigkeit
Aber ›This is all yours‹ lässt die kontinuierliche Großartigkeit von ›An Awesome Wave‹ vermissen. Richtig starke Songs gibt es natürlich auch hier: ›Every other freckle‹, ›Left hand free‹, ›The Gospel of John Hurt‹ und ›Bloodflood Pt. II‹. Wenn man böswillig argumentieren wollte, könnte man sagen: Klar gibt es die, immerhin hatten alt-J noch Material von Album eins – wer weiß, ob das nicht gerade diese Songs waren.
Keyboarder Gus Unger-Hamilton sagte kürzlich: »Von den Reaktionen auf das erste Album haben wir gelernt, dass wir musikalisch mit allem davonkommen, was wir wollen.«
Es wird sich zeigen, ob dem wirklich so ist.
Titelangaben
alt-J: This Is All Yours