Ach, Hase

Comic | Mawil: Strand Safari

Noch vor ›Wir können ja Freunde bleiben‹ hat der Berliner Mawil eine lange Comicerzählung geschaffen: ›Strand Safari‹. Sie wird jetzt in seinem Hausverlag neu aufgelegt und ist in den Augen von ANDREAS ALT weit mehr als ein Frühwerk.

strandsafariFast alle größeren Comicwerke von Mawil (das ist der Berliner Markus Witzel, gerade in den Feuilletons mit ›Kinderland‹) sind beim Verlag Reprodukt erschienen – mit einer wichtigen Ausnahme: ›Strand Safari‹, ursprünglich eine Semesterarbeit für die Kunsthochschule Weißensee und wohl sein erster längerer Comic, kam 2002 beim Verlag ›Schwarzer Turm‹ heraus. Den hat ›Reprodukt‹ mit der dritten Auflage nun auch in sein Programm aufgenommen, und mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen. Eigentlich.

Mit der ›Strand Safari‹ hat Mawil gleich alle Register seines erzählerisch-grafischen Talents gezogen, doch es steht zu befürchten, dass das wegen deren Veröffentlichungsgeschichte noch nicht genug Comicfans mitbekommen haben. Beim Schwarzen Turm vermutet man einen solchen Band heute nicht mehr, weil sich der Verlag inzwischen ganz auf Mangas konzentriert. Auf keinen Fall sollte man aber den Fehler machen, ihn als Frühwerk abzustempeln, mit dem man sich nicht unbedingt beschäftigen muss.

30 Seiten ohne Dialog

Grafisch begnügt sich Mawil mit flächigem Schwarz-Weiß und Grau. Sein Stil ist schon völlig ausgereift und folgt der vorzüglichen Illustrations-Tradition der einstigen DDR. Die Geschichte beginnt hochdramatisch mit einem nächtlichen Gewitter, aufgetürmten Meereswellen und einer Gestalt, die an einen unbekannten, einsamen Strand gespült wird. Vielleicht ist das Rügen, letztlich aber ein Niemandsland.

9783956400148_inside01Die Gestalt ist, angelehnt an Mawils alte Fanzine-Funnyfigur Supa Hasi, ein unförmiges Wesen mit Kürbiskopf, Klumpfüßen, Brille, Gebissfehlstellung und im Wind wehenden dünnen Hasenohren. 30 Seiten lang verfolgt der Leser praktisch ohne Dialog, wie dieser … hm, Hase zu sich kommt und unbeholfen und verängstigt nach Schutz und etwas Essbarem sucht. Am nächsten Morgen entdeckt er einen Strandkorb und versteckt sich in einer Badetasche.

Die folgende Begegnung mit drei jungen Badeschönheiten krempelt die Story gründlich um. Die reden gern und viel, finden den kleinen Hasen süüüß, aber haben auch ihren Spaß, indem sie mit ihm ihre Spielchen spielen: »Wolln wir’n bisschen rumknutschen?« – »Was? Ich… äh… also…« – »Das war ein Sche-herz!« – »Tut mir leid, dass ich deine Witze nich‘ immer ver-…« – »Das wird schon, Hase. Das wird schon.« Künstlich macht das Damentrio ein Drama daraus, dass der Winzling ihnen beim Entkleiden zusieht, und eine sagt zur anderen: »Was du immer für Typen anschleppst!«

Die Romanze endet bittersüß

Ganz unmerklich kippt der Spaß, der Hase wird sich seiner Wirkung auf die Mädchen – insbesondere eines von ihnen – bewusst, und am Ende hat er so eine Ahnung, mit dieser Frau könnte sich doch so etwas wie eine richtige Beziehung anbahnen. Wie die aussehen mag, kann sich der Leser kaum vorstellen. Aber sie trägt, wie sich herausstellt, eine Verletzung mit sich herum, die etwas Derartiges für sie unmöglich macht. Mawil-Fans wissen inzwischen schon aus späteren Comics von ihm, wie so etwas bei ihm üblicherweise ausgeht – bittersüß oder: ›Wir können ja Freunde bleiben.‹

Erst im Nachhinein haben wir gemerkt, dass ›Strand Safari‹ einige autobiografische Züge aufweist. Mit seinem Thema, dem schwierigen Verhältnis zu vergötterten Frauen, geht er hier sehr souverän um, weil er es in eine höchst unwahrscheinliche, märchenhafte Geschichte verpacken kann, die mit ihm selbst anscheinend nicht mehr viel zu tun hat. Den Frauen blickt er dabei etwas tiefer ins Herz, als er das später getan hat. Der Leser wird nicht mit unerfreulichen Aspekten der Wirklichkeit belästigt und merkt doch, dass die vergebliche Romanze mehr ist als eine leichte Sommer-, Sonne- und Strandepisode.

| ANDREAS ALT

Titelangaben
Mawil: Strand Safari
Berlin: Reprodukt, Berlin 2014
84 Seiten, 12 Euro

Reinschauen
| Homepage des Zeichners

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Alles tiefgauck eingefärbt im Lande

Nächster Artikel

Feinde im Datastream

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Die Leere einer Welt und das Meer drumherum

Comic | Chabouté: Ganz allein In filmischen Panelfolgen schildert Chabouté eine Geschichte von Einsamkeit und Hoffnung, von Aufbruch und Stillstand. Daneben ist sein Ganz allein eine Ode an die schöpferische Kraft der Phantasie. Von CHRISTIAN NEUBERT

Was vom Bade übrig blieb

Comic | Pierre Oscar Lévy/Frederik Peeters: Sandburg Die Zeit rennt davon, der Raum wird klein: Sandburg seziert das Miteinander unterschiedlicher Menschen in einer mysteriösen Extremsituation. Von CHRISTIAN NEUBERT

Vampir-Klassiker in neuer Aufmachung

Comic | Georges Bess: Dracula

Der französische Comic-Künstler Georges Bess erweckt in seiner Adaption des Vampir-Klassikers »Dracula«, der in deutscher Sprache beim Splitter Verlag erschien, den wohl berühmtesten aller Blutsauger in schaurig-alptraumhaften Bildern zum Leben. Von SARAH SIGLE

Grenzenlose Unfreiheit

Comic | Michael Barck (Text) / TeMeL (Zeichnungen): No Borders Für die Freiheit, gegen das System: ›No Borders‹ ist ein dystopischer Comic in bunten Farben aus deutschen Landen. Er findet leichte Worte für ein schwieriges Thema – und lässt CHRISTIAN NEUBERT etwas zwiespältig zurück.