/

Geliebtes Almschi

Menschen | Susanne Rode-Breymann: Alma Mahler-Werfel

Alma Mahler-Werfel gilt gemeinhin als exaltierte Persönlichkeit und Muse zahlreicher schöpferischer Männer. In einer neuen Biographie entzaubert Susanne Rode-Breymann manch gängigen Mythos und zeigt ein höchst außergewöhnliches Frauenleben auf. Von INGEBORG JAISER

AlmaMahlerWerfelFür eine Frau ohne formale Erziehung und ohne eigenen Beruf hatte Alma Mahler-Werfel (1879-1964) eine erstaunlich aufregende, faszinierende, oft skandalöse Vita. Als kongeniale Gattin bedeutender Geistesgrößen des letzten Jahrhunderts überlebte sie alle drei ihrer Ehemänner: den Komponisten Gustav Mahler, den Architekten Walter Gropius, den Schriftsteller Franz Werfel. Unterhielt zahlreiche Affären, Liebschaften, Brieffreundschaften. Verdrehte Gustav Klimt und Oskar Kokoschka den Kopf. Gebar vier Kinder von drei Männern und erlitt zahlreiche Fehlgeburten. Aber erfand sich doch immer wieder neu – in wechselnden Wohnsitzen in ihrer Heimatstadt Wien, in mondänen Unterkünften in New York und Venedig, schließlich im Exil.

»Witwe im Wahn«

Zahlreiche Mythen und Legenden ranken sich um ihre Lebensgeschichte. Kein Wunder, dass man in ihr vordergründig den verführerischen Vamp sah, die exaltierte Femme fatale, die gefühllose Rabenmutter, die hysterische ›Witwe im Wahn‹ (so der Titel einer bekannten Biografie). Schon zeitlebens überlagerten sich Realität, Projektion und Interpretation, agierte Alma doch als Muse, Modell und Stimulans für eine Vielzahl künstlerischer Werke. Als obsessive Brief- und Tagebuchschreiberin hinterließ sie zwar eine Flut an Zeitzeugnissen, die von ihr selbst jedoch in großen Teilen nachträglich überarbeitet und überschrieben, redigiert und retuschiert wurden – inklusive ihrer eigenen, reichlich beschönigenden Autobiographie ›Mein Leben‹, an der schon seinerzeit einige Berater und Bearbeiter scheiterten.

Jenseits der Tagebuch-Suiten

In der soeben erschienenen Biographie ›Alma Mahler-Werfel: Muse – Gattin – Witwe‹ revidiert die Musikwissenschaftlerin Susanne Rode-Breymann den bisher üblichen Blick auf dieses höchst außergewöhnliche Frauenleben. Aufgrund eigener langjähriger Forschungsarbeiten, Sichtung neuer aufschlussreicher Quellen und nicht zuletzt der Mitherausgeberschaft an den Mahler-Werfelschen Tagebuch-Suiten 1898-1902 vermag die Autorin ein differenzierteres, ausgeglichenes Bild zu entwerfen. Kenntnisreich demontiert und korrigiert sie gängige Auffassungen und Sichtweisen.

So rückt Rode-Breymann die hinlänglich geltende Vorstellung zurecht, die jugendliche Alma Mahler-Werfel wäre als ungebildetes, naives Dummchen ihrem 19 Jahre älteren Ehemann Gustav Mahler haltlos unterworfen gewesen. Mitnichten! Der frühe Verlust des Vaters, die offensichtliche Promiskuität der eigenen Mutter, ein den Künsten offenes Elternhaus, beachtliche Erlebnisse in Theater, Oper, Musik und Literatur verweisen auf ein hohes soziales und kulturelles Potenzial schon in jungen Jahren. Dass der egozentrische Mahler seine zukünftige Gattin in einem legendär gewordenen vorehelichen Brief (›Mein liebstes Almschi‹) einem Kompositionsverbot unterwirft, gehört zur Geschichtsschreibung. Doch Rode-Breymann relativiert die Entscheidungsgewalt Mahlers und bringt weitere abwägende Faktoren erklärend ins Spiel.

Vielschichtige Identität

Schon früh schien sich Almas außergewöhnliches Selbstbewusstsein abzuzeichnen, das später in großer Handlungsstärke und Durchsetzungskraft mündete, sei es bei den alleine bewältigten Wohnungssuchen und Umzügen, den durchweg risikoreichen Schwangerschaften, dem problematischen Finanzmanagement – und nicht zuletzt den umfangreichen Anstrengungen, ihren schöpferischen Ehemännern Rückzugsorte zu schaffen. Rode-Breymanns facettenreiche Darstellung zeigt: »Dass Alma Mahler-Werfel allerdings heute nach wie vor fast ausschließlich in der Rolle als Muse wahrgenommen wird, wird ihrer tatsächlichen kulturellen Identität nicht gerecht.«

Der Fachverlag C.H. Beck gibt dieser geistreichen und lesenswerten Biographie ein formvollendetes Aussehen mit über zwei Dutzend Fotografien, hellblau changierendem Leineneinband und der großflächig-expressiven Handschrift Almas auf den Vorsatzblättern. Ein Lesegenuss!

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Susanne Rode-Breymann: Alma Mahler-Werfel. Muse – Gattin – Witwe
München: Beck 2014
335 Seiten. 22,95 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der Tod, der ihm das Lächeln zurückgab

Nächster Artikel

Fußball als Kulturgeschichte

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Angst vor dem Versagen

Menschen | Zum 75. Geburtstag von Paul Auster

»Schreiben ist für mich kein Akt des freien Willens, es ist eine Frage des Überlebens«, hatte der amerikanische Schriftsteller Paul Auster vor fünf Jahren in einem Interview bekannt und uns ein gewaltiges, ausladend umfangreiches Erzählwerk mit dem Titel ›4321‹ vorgelegt. Es war ein opulentes biografisches Verwirrspiel, ein höchst ambitioniertes literarisches Rätsel, ein ausschweifendes Zeitpanorama – vor allem aber auch die bilanzierende Selbstbefragung eines verdienstvollen Autors. Von PETER MOHR

Kunstvoll rund wie die Null

Menschen | Alfred van Cleef: Die verborgene Ordnung Die Null ist eine faszinierende Zahl, weil sie keine ist. Sie ist ein willkürlich gesetztes Zeichen für etwas ohne konkreten (Zahlen-) Wert. Was passiert eigentlich, wenn man eine ebenso willkürlich über den Globus gezogene, unsichtbare Linie als Reiseroute wählt? Davon erzählt in seinem neuen Buch Die verborgene Ordnung. Eine Reise entlang des Nullmeridians der niederländische Journalist und Reiseschriftsteller Alfred van Cleef. Von PIEKE BIERMANN

Delving Into the Honley Civic Archives: An Interview With Thomas Ragsdale.

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Thomas Ragsdale is an artist whose work bristles with personality and emotion. As anyone who has been won over by releases such as Bait, Dear Araucaria or Under Dwellers will attest, he is a rare breed of producer who creates music which disregards genres or easy pigeonholing. Atmospheric soundscapes, dub drenched nightmares, delicate melodies and more can be found within his meticulously crafted grooves. By JOHN BITTLES.

Die Laune eines Augenblicks

Menschen | Inteview mit Andrea De Carlo

Mit ›Die Laune eines Augenblicks‹ ist der zehnte Roman von Andrea De Carlo auf Deutsch erschienen. In seinem Heimatland Italien war schon sein erstes Buch ›Creamtrain‹ ein großer Erfolg. Spätere Werke wie ›Zwei von zwei‹ oder ›Wir drei" avancierten zum Bestseller und genießen regelrechten Kultstatus. Seine Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.