Menschen | Zum Tode des Kritikers und Schriftstellers Hellmuth Karasek
»Manchmal fürchtete ich schon, ich schreib mich in eine Depression hinein«, bekannte Hellmuth Karasek über die Arbeit an seinem 2006 erschienenen Band ›Süßer Vogel Jugend‹. Der kulturelle Tausendsassa mit der stark ausgeprägten Affinität zur Selbstironie sprühte auch in fortgeschrittenem Alter noch vor Tatendrang und hatte 2013 unter dem Titel ›Frauen sind auch nur Männer‹ noch einen Sammelband mit 83 Glossen aus jüngerer Vergangenheit vorgelegt. Sogar prophetische Züge offenbarte Karasek darin, sagte er doch den Niedergang der FDP zwei Jahre vor der Bundestagswahl 2013 schon voraus. Ein Rückblick von PETER MOHR
Karasek, Mann der ersten Stunde beim 2001 eingestellten ›Literarischen Quartett‹ des ZDF und mehr als ein Jahrzehnt lang in dieser Rolle TV-Kronprinz der deutschen Literaturkritik, hat stets viel Mut bewiesen und oft genau das getan, wovor ihn viele wohlmeinende Kollegen gewarnt hatten: Der Theaterkritiker Karasek hat (unter dem Pseudonym Daniel Doppler) selbst Theaterstücke geschrieben, und der eloquente Literaturkritiker scheute sich auch nicht, zwei Romane (›Das Magazin‹ und ›Betrug‹) vorzulegen.
Karaseks Bühnenarbeiten ›Hitchcock, eine Komödie‹ (1988 in Konstanz uraufgeführt) und ›Innere Sicherheit‹ (1990 in Osnabrück) fielen bei den Kritikerkollegen gnadenlos durch, und sein mutiges, aber die elitären Theaterkreise provozierendes Bekenntnis (»Ich habe Stücke geschrieben, weil ich im Theater auch mal wieder lachen wollte«) löste Verständnislosigkeit aus.
So verwundert es kaum, dass der ›Madame Bovary‹-Liebhaber Karasek seine Romane auf Lesungen selbst in die Rubrik anspruchsvolle Unterhaltungsliteratur einordnet – ein Genre, dem im deutschen Literaturbetrieb immer noch ein Makel anhaftet.
Hellmuth Karasek, der am 4. Januar 1934 in Brünn geboren wurde, fand in den 1960er Jahren nach einem kurzen beruflichen Intermezzo als Chefdramaturg in Stuttgart den Weg zum Kulturjournalismus. Über die Etappen ›Stuttgarter Zeitung‹, ›Deutsche Zeitung‹ und ›Die Zeit‹ kam er 1974 zum ›Spiegel‹, dessen Kulturressort er viele Jahre leitete.
Über die bewegten und bewegenden zwei Jahrzehnte beim Hamburger Nachrichtenmagazin hat Karasek den Roman ›Das Magazin‹ (1998) geschrieben. Kein Enthüllungsbuch, sondern ein anekdotenreicher Schmöker, in dem die ›Spiegel‹-Redaktion wie ein Jahrmarkt der Eitelkeiten vorgeführt wird.
Neben Literatur und Theater (er verfasste den umfangreichen Teil über das Nachkriegstheater in ›Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart‹) gehört Karaseks »Liebe« auch dem Film – vor allem den Werken Billy Wilders, dem er 1992 ein umfangreiches Buch widmete.
Nach dem Ausscheiden beim ›Spiegel‹ zeichnete er zunächst als Herausgeber des Berliner ›Tagesspiegel‹ verantwortlich und wechselte dann 2004 als Autor zum Springer Verlag. Mit Kolumnen und Kritiken ist Karasek noch im journalistischen Tagesgeschäft präsent – zumeist für die ›Berliner Morgenpost‹ und fürs ›Hamburger Abendblatt‹, wo seine zweite Ehefrau Armgard Seegers seit vielen Jahren als Feuilleton-Redakteurin tätig ist.
Kunst und Unterhaltung waren für Karasek – James-Bond-Fan und Berlinale Jury-Mitglied in einer Person – nicht zwangsläufig Gegensätze. Vielleicht war Karasek auch deswegen ein so gern gesehener, unterhaltsamer Gast in diversen Talkshows. Neben ›Madame Bovary‹ und Billy Wilder gab es in seinem umtriebigen Leben auch noch Platz für die Rolle des Paten in der ›5 Millionen SKL-Show‹ bei RTL. Wer Hellmuth Karasak einmal live erlebt hat, der weiß, dass sich Bildung und Unterhaltung, Eloquenz und Kalauer, Goethe-Rezitationen und zotige Witzchen nicht zwangsläufig ausschließen mussten.
Er war ein neugieriger Traditionalist, dem die Zeitungslektüre heilig war und der dennoch ein Ipad besaß: »Weil meine Frau zu mir gesagt hat, das sei idiotensicher. Jetzt kann ich damit am Wochenende die Fußballergebnisse anschauen oder die ägyptische Revolution in entscheidenden Phasen verfolgen«, hatte Karasek erklärt. Am Dienstag ist Hellmuth Karasek, eine der schillerndsten Figuren des deutschen Kulturbetriebs der letzten vierzig Jahre, in Hamburg im Alter von 81 Jahren gestorben.
| PETER MOHR
| Titelfoto: C. Grube