Keine Liebe ist es nicht gewesen

Briefe: Albert Camus, Maria Casarès: Schreib ohne Furcht und viel

Der Briefwechsel zwischen Albert Camus und Maria Casarès liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. DIETER KALTWASSER hat ihn gelesen.

Camus BriefeAuf die Frage nach seinen zehn bevorzugten Wörtern antwortete Albert Camus im Sommer 1951 einmal: »Die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer, das Meer.« Nach der Lektüre des nun auch in deutscher Übersetzung vorliegenden Briefwechsels zwischen dem Schriftsteller und Philosophen mit seiner langjährigen Geliebten, der gefeierten Schauspielerin Maria Casarès, wird man getrost darauf verweisen dürfen, dass ein elftes Wort fehlt: die Liebe.

In diesem Briefwechsel, der unter dem Titel ›Schreib ohne Furcht und viel – Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959‹ herausgegeben wurde, ist so verschwenderisch und so voller Leidenschaft von ihr die Rede, dass man kaum glauben möchte, es hätte im Leben der beiden noch Raum für andere und anderes gegeben.

Uwe Timm schreibt in seinem Vorwort, dass der inflationäre Gebrauch des Wortes Liebe zunächst irritiere. Die Briefe läsen sich wie von einem jungen Mann verfasst, der nie ›Der Fremde‹ gelesen habe. Der Roman ist ein Schlüsselwerk des Existenzialismus und ein Lob des Gleichmuts, an dessen Ende sein Protagonist – der zum Tode verurteilte und auf seine Hinrichtung wartende Meursault – sich »angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum ersten Mal der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt« öffnet.

Das zunächst Floskelhafte der Briefe werde, heißt es bei Timm, aufgeladen »durch die Offenheit, mit der Camus über sich spricht, über seine tiefe Verunsicherung, ja Verzagtheit.« In seinen vielen Briefen an Maria Casarès wird die Liebe als Glück gefeiert: »Ich liebe Dich auf viele Arten, vor allem aber so – mit dem Gesicht des Glücks und jenem Strahlen des Lebens, das mich immer zutiefst aufwühlt.«

Am 7. November 1943 wurde Camus 30 Jahre alt. Zum Jahreswechsel 43/44 inmitten der Pariser Bohème führte er im von der Wehrmacht besetzten Paris ein mondänes Literatenleben als Angestellter eines mit den Besatzern kollaborierenden Verlagshauses. Er hatte Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kennengelernt, man traf sich in der Wohnung des Schriftstellers und Ethnologen Michel Leiris oder im Zimmer von de Beauvoir. Maria Casarès und Albert Camus lernten sich dann am 19. März 1944 bei einer von Camus inszenierten Lesung des von Pablo Picasso verfassten Stücks ›Wie man Wünsche beim Schwanz packt‹ bei Michel Leiris kennen. Die Akteure der Lesung waren Camus, Sartre, de Beauvoir und Raymond Queneau. In Paris herrschte Ausgangssperre, niemand durfte vor dem Morgen die Wohnung verlassen, während die Gäste in der Wohnung die Kunst und das Leben feierten.

Die junge Schauspielerin Casarès hatte ein Engagement am »Théâtre des Mathurins« bekommen, nachdem sie das Pariser Konservatorium erfolgreich absolviert hatte. Camus bot ihr die Rolle der Martha in seinem Stück ›Das Missverständnis‹ an. Die Proben begannen, und Camus war von der Schauspielerin verzaubert. In der spanischen Hafenstadt La Coruña geboren, war sie als Vierzehnjährige 1936 nach Paris gekommen: Ihr Vater, einst Ministerpräsident der zweiten spanischen Republik, hatte ins Exil gehen müssen, als der Bürgerkrieg begann. Viel später wird die gefeierte Schauspielerin sagen, sie sei »im November 1944 im Théâtre des Mathurins geboren«.

In der Nacht zum 6. Juni 1944, am Tag der Landung der alliierten Truppen in der Normandie, wurden Albert Camus und Maria Casarès ein Paar. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie gehen ein Verhältnis ein, das Stadtgespräch werden sollte; ein Glamour-Liebespaar, das zu den Stars der Pariser Nachtclub-Szene zählte. Camus lebt seit Oktober 1942 allein in Paris, seine Ehefrau Francine ist in der Küstenstadt Oran im fernen Algerien.

Camus versucht, die Begegnung in Worte zu fassen und schreibt in einem Brief an seine Geliebte: »Es gab einen Blitz, etwas, das durch uns hindurch gegangen ist, ein Blick …« Er spricht am 17. Juli 1944 von einer Leidenschaftsstärke, die er auf einen einzigen Menschen konzentriert habe wie nie zuvor – aber auch von einer »monströsen Liebe«, die vielleicht dabei sei, seine Geliebte, von ihm schlicht »L‘Unique« genannt, zu überfordern. Es werden über 800 Briefe, die sie sich in den nächsten 15 Jahren schreiben werden, nur unterbrochen von einer vierjährigen Pause.

Im Herbst 1944 kehrte Camus‘ Frau, die Mathematikerin und Pianistin Francine Faure, aus Algerien nach Paris zurück; Camus und Casarès beschlossen, ihre Beziehung zu beenden. Danach übernahm Camus die Chefredaktion des Combat, der Untergrundzeitung der Résistance, und seine Frau brachte Zwillinge zur Welt, Catherine und Jean. In der Zwischenzeit avancierte Casarès zu einer gefragten Schauspielerin, die große Rollen besetzte.

Im Juni 1948 begegnen sich die beiden zufällig auf dem Pariser Boulevard Saint Germain, und ihre Leidenschaft beginnt erneut. Casarès verlässt ihren Partner; sie und Camus, der seit dem Erscheinen seines Romans ›Die Pest‹ zu den bekanntesten Literaten der Pariser Szene zählt, beginnen eine dauerhafte Liebesbeziehung, die der verheiratete Camus ebenso wie die beiden Liebschaften mit der Schauspielerin Catherine Sellers und der dänischen Malerin Mi »diskret« zu führen bemüht ist.

Der Briefwechsel setzt sich unterdessen in den kommenden zwölf Jahren fort. Casarès zeigt sich in ihren Briefen an Camus als äußerst reflektierte, aber auch gewitzte und hoch empathische Briefschreiberin, wenn sie aus ihrem Theater- und Filmleben berichtet und politische Ereignisse kommentiert.

Der letzte Brief von Albert Camus an Maria Casarès ist datiert vom 30. Dezember 1959. Er kündigt seine Rückkehr nach Paris vom Weihnachtsfest mit der Familie in Lourmarin an. Er schließt mit den Worten: »Ich habe also keinen Grund mehr, Deinem Lachen zu entsagen und unseren Abenden und meiner Heimat. Ich küsse Dich, ich drücke Dich an mich bis Dienstag, wenn ich von vorn anfange.« Fünf Tage später, am 4. Januar 1960, kommt Albert Camus auf der Fahrt nach Paris bei einem Autounfall ums Leben.

Wenige Jahre vor ihrem Tod willigte Casarès ein, den Briefwechsel, der vollständig in ihrem Besitz war, an Camus’ Tochter Catherine zu übergeben. Maria Casarès starb einen Tag nach ihrem vierundsiebzigsten Geburtstag, am 22. November 1996, in ihrem Landhaus in Frankreich.

Zum Schluss sei noch auf eine überaus lesenswerte Bildbiographie von Catherine Camus über ihren Vater hingewiesen. Das Buch erschien bereits im Jahr 2012 anlässlich des 100. Geburtstags von Camus in deutscher Übersetzung und besticht durch seine gelungene Gestaltung und Zusammenstellung von Fotos und Dokumenten aus dem Leben des Schriftstellers und den Orten, in denen er lebte. Catherine Camus hat diesen bibliophilen Band herausgegeben, um uns zu zeigen, »dass Albert Camus nichts anderes war als ein Mensch unter Menschen, der sich vor allem darum bemühte, ein wirklicher Mensch zu sein.«

| DIETER KALTWASSER

Titelangaben
Albert Camus, Maria Casarès: »Schreib ohne Furcht und viel«
Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959
Aus dem Französischen übersetzt von: Claudia Steinitz, Andrea Spingler, Tobias Scheffel
Hamburg: Rowohlt Verlag 2021
1568 Seiten, 50 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Catherine Camus (Hg.): Albert Camus. Sein Leben in Bildern und Dokumenten.
Übersetzung aus dem Französischen von Alwin Letzkus.
Oetwil am See: Edition Olms 2013
225 Seiten, 49,95 Euro
ISBN: 9783283011512  

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Bericht von der Wiedergeburt

Nächster Artikel

Im Überfluss

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Er wollte noch fliegen lernen

Menschen | Zum Tod des provozierenden Multitalents Herbert Achternbusch

»Mein Vater war sehr leger und trank gern, er war ein Spaßvogel. Kaum auf der Welt, suchten mich Schulen, Krankenhäuser und alles Mögliche heim. Ich leistete meine Zeit ab und bestand auf meiner Freizeit. Ich schrieb Bücher, bis mich das Sitzen schmerzte. Dann machte ich Filme, weil ich mich bewegen wollte. Die Kinder, die ich habe, fangen wieder von vorne an. Grüß Gott!« Mit diesen typischen, schelmisch-provokanten Sätzen hat Herbert Achternbusch vor einigen Jahren sein eigenes Leben beschrieben. Zugespitzt, drastisch, gegen den Strom – so wie sein gesamtes künstlerisches Werk. Von PETER MOHR

Am Ende gibt es nur den Sturz

Menschen | zum 90. Geburtstag des Schriftstellers Martin Walser am 24. März »Es gibt keine Stelle, wo Jungsein an Altsein rührt oder in Altsein übergeht. Es gibt nur den Sturz.« Diese aphoristisch zugespitzte, ernüchternde Lebensbilanz zog Martin Walser in seinem 2016 erschienenen Roman ›Ein sterbender Mann‹, der ebenso wie sein im Januar erschienenes Werk ›Statt etwas oder Der letzte Rank‹ als künstlerische Gratwanderung zwischen Erzählung, Philosophie, Autobiografie und selbstironischem literarischen Verwirrspiel daher kommt. Dem traditionellen Erzählen hat Walser den Rücken gekehrt. Seine Sprache ist seitdem noch klarer und präziser geworden. Von PETER MOHR

Ein Dichterinnen-Leben in Bildern

Comic | O.Matiychuk,O.Staranchuk,O. Gryshchenko: Rose Ausländers Leben im Wort

Eine kleine, aber feine Graphic Novel von Oxana Matiychuk aus dem unabhängigen Verlag danube books aus Ulm beschäftigt sich mit dem Leben der Poetin Rose Ausländer. Illustriert von den Künstlern Olena Staranchuk und Oleg Gryshchenko behandelt der Band in rot-grün-grau-schwarzen gedeckten Farben das Leben und Werk der jüdisch-deutschen Dichterin. Von FLORIAN BIRNMEYER

Prosa des subtilen Mitgefühls

Menschen | Camilo José Cela zum 100. Geburtstag Als Camilo José Cela 1989 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, zeigten sich die internationale Fachwelt und auch der ausgezeichnete Autor überrascht von der Entscheidung der Stockholmer Akademie, in deren Begründung es hieß: »Mit der Auszeichnung wird die reichhaltige und intensive Prosa Celas gewürdigt, die in ihrem subtilen Mitgefühl ein eindrucksvolles Bild von der Verletzlichkeit des Menschen zeichnet. Mit Cela wird die führende Kraft der literarischen Erneuerung Spaniens während der Nachkriegszeit ausgezeichnet.« PETER MOHR gratuliert Literatur-Nobelpreisträger Camilo José Cela, der am 11. Mai vor 100 Jahren geboren wurde.

Einsam, ruhelos und getrieben

Menschen | ›Georg‹: Zum 70. Geburtstag von Barbara Honigmann »Ein sechzigjähriger Mann in einem möblierten Zimmer!« Dieser Satz auf der dritten Seite des neuen Buches von Barbara Honigmann schrillt wie ein Aufschrei durch den Handlungsbeginn. Es klingt nach Verzweiflung, nach Mitleid und Klage aus der Feder, der seit vielen Jahren in Straßburg lebenden Autorin, die am 12. Februar ihren 70. Geburtstag feiert. Von PETER MOHR