Irrungen und Wirrungen

Menschen | Hermann Kant zum 90. Geburtstag

Der Schriftsteller Hermann Kant feiert heute, am 14. Juni, seinen 90. Geburtstag. PETER MOHR gratuliert.

Hermann KantWar es eine Satire auf die bornierten Stasi-Methoden, ein autobiografisch fundierter Versuch der Rechtfertigungsprosa? Oder doch lediglich ein hoffnungslos verunglückter Roman? Diese Fragen warfen sich nach der Lektüre von Hermann Kants letztem Roman Kennung (2010) auf, in dem er die Figur des Literaten Linus Cord durch die hartnäckige Stasi-Anwerbemaschinerie schickte. Das war der bisher letzte gewagte Kantsche Spagat zwischen Literatur und Politik.

Als Schriftsteller und Verbandsfunktionär wandelte Hermann Kant viele Jahre auf einem ganz schmalen Grat zwischen Kunst und Politik und ist dabei gefährlich zwischen die Mühlsteine der Machthaber geraten. Unter seiner Ägide wurde der DDR-Schriftstellerverband rigide von »staatsfeindlichen« Mitgliedern »gesäubert«.

Als »Staatsknecht« und »Scharfrichter« wurde das spätere ZK-Mitglied der SED nach der von ihm mitgetragenen Biermann-Ausbürgerung und der darauf folgenden Verbands-Ausschlussverfahren gegen renommierte Kollegen (u.a. Stefan Heym, Adolf Endler und Klaus Schlesinger) bezeichnet. Einsicht oder gar Reue ist nicht Hermann Kants Sache. Im Gegenteil: Der Gescholtene verteilte in seiner 1991 erschienenen Autobiographie Abspann noch einmal kräftige verbale Hiebe und versuchte die in der DDR verfolgten Autoren aus der Opfer- in die Täterrolle zu drängen: »Mitschuld trug, wer uns so in die Ecke drängte, dass wir nur noch wütend um uns schlagen konnten.« Absolute Loyalität war stets die prägende Lebensmaxime des Honecker-Vertrauten, der seinen Einfluss keineswegs beschwichtigt hat: »Ich mache meinen Anteil nicht klein. Wenn ich gesagt hätte, bei diesem Ausschluss mache ich nicht mit, wäre er nicht passiert.«

Hermann Kant, der heute* (am 14. Juni) vor 90 Jahren in Hamburg als Sohn eines Gärtners geboren wurde, erklomm nach einer Elektrikerlehre und polnischer Kriegsgefangenschaft auf geradezu paradigmatische Weise die sozialistische Karriereleiter. Dem Studium an der Arbeiter- und Bauernfakultät in Greifswald folgten ein Germanistikstudium bei Alfred Kantorowicz in Ost-Berlin und einige Jahre als wissenschaftlicher Assistent, 1969 wurde er in die Akademie der Künste gewählt (oder berufen) und später mit allen wichtigen Auszeichnungen der DDR und 1986 mit dem Orden der Völkerfreundschaft des Obersten Sowjet der UdSSR geehrt.

Sein literarisches Debüt gab der talentierte Vollbluterzähler Kant, dessen Werke in zwanzig Sprachen übersetzt wurden, 1962 mit dem Prosaband Ein bißchen Südsee. Drei Jahre später folgte das wohl heute noch wichtigste literarische Werk, der Roman Die Aula (1965). Aus der Perspektive des Protagonisten Robert Iswall, der deutlich autobiographische Züge trägt, bilanziert Kant (nicht unkritisch) die Gründerjahre der DDR und appellierte offen für ein waches Geschichtsbewusstsein.

Auch die späteren Romane Das Impressum (1972) und Der Aufenthalt (1977), in dem Kant (angelehnt an seine eigene Vita) die Geschichte eines jungen Soldaten im Zweiten Weltkrieg erzählt, erreichten in Ost und West gleichermaßen viele Leser – weit mehr als seine in den 90er Jahren erschienenen Werke Kormoran (1994) und Escape (1996). Weitgehend unbemerkt blieb, dass der Autor Hermann Kant über ein beachtliches humoristisch-satirisches Potenzial verfügt, das er im Erzählungsband Bronzezeit, in den Romanen Die Summe und Kino (2005) sowie auch in seinem 2011 erschienenen Erzählband Lebenslauf, zweiter Absatz unter Beweis stellte. Darin präsentiert Kant einen durchaus repräsentativen Querschnitt an Erzählungen aus fast einem halben Jahrhundert literarischer Arbeit. Eine kurze autobiografische, aber literarisch eher bedeutungslose Erzählung (»Ein strenges Spiel«) über sein Herzleiden war im letzten Jahr im kleinen Kulturmaschinen Verlag erschienen.

Hermann Kant, der seit vielen Jahren zurückgezogen in Prälank bei Neustrelitz lebt, gehört – seinen politischen Irrungen und Wirrungen zum Trotz – dennoch zu den wichtigen Stimmen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.

| PETER MOHR

Titelangaben
Irmtraut Gutschke: Hermann Kant
Berlin: Aufbau Verlag 2011
256 Seiten. 9,95 Euro

Reinschauen
| Mehr von Hermann Kant in TITEL kulturmagazin

 

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Trauma

Nächster Artikel

Mogelpackung

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Genialer Meister oder einsamer Teufel?

Comic | Beethoven: Unsterbliches Genie / Goldjunge

2020 feiern wir den 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven. In diesem Beethoven-Jahr sind nicht nur zahlreiche Sondersendungen zu dem Ausnahmekomponisten über den Äther gegangen, sondern auch einige Graphic Novels erschienen, die sich mit seiner Person befassen. FLORIAN BIRNMEYER stellt ›Beethoven: Unsterbliches Genie‹ (Carlsen) von Peer Meter und Rem Broo und ›Goldjunge: Beethovens Jugendjahre‹ (avant-verlag) von Mikael Ross vor.

Heftige Gefühle entwickeln

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Filmregisseurs Joseph Vilsmaier »Das Filmen ist nicht nur mein Beruf, es ist auch mein Hobby, seit ich 14 bin. Da kommt also alles zusammen. Das versuche ich so gut wie möglich zu machen«, hat Joseph Vilsmaier vor knapp zwei Jahren rückblickend in einem Interview bekannt. Ein Porträt von PETER MOHR

Metamorphose eines Dichters

Menschen | Neue Bücher zum 75. Geburtstag von Botho Strauß Botho Strauß hat über viele Jahre als konservativer Querdenker, als polemisch-provozierender Intellektueller auch abseits von Literatur und Theater für Furore gesorgt. Vor fünfzehn Jahren hatte er noch »verführen, amüsieren, provozieren und beleben« als wichtigste Aufgaben des Autors bezeichnet und diese Attitüde auch noch in seinem letzten Essayband ›Der Fortführer‹ (2018) mit großem Furor gepflegt. Von PETER MOHR

Allzeit unzeitgemäß

Menschen | ›Das Schattengetuschel‹ – der neue Band zum 80. Geburtstag von Botho Strauß am 2. Dezember

»Für mich wäre es das Schlimmste, aufs Schlimmste nicht gefasst zu sein«, schreibt Botho Strauß in seinem neuen, ohne Genrebezeichnung veröffentlichten Band ›Schattengetuschel‹. Das Buch besteht aus drei mehr oder weniger zusammenhanglosen Teilen. Zu Beginn begegnen wir kunstvoll arrangierten Prosa-Miniaturen, der essayistisch geprägte Mittelteil kreist um poetische Fragen und das Selbstverständnis als Dichter, den Abschluss bilden brillant pointierte, messerscharfe Aphorismen. Von PETER MOHR

Bücher sind zum Lesen da

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Hansjörg Schneider Er liest gern Chandler, Simenon und Dürrenmatt und gehört selbst zu den meistgelesenen deutschsprachigen Kriminalschriftstellern. Die Rede ist vom Schweizer Hansjörg Schneider, der mit dem Aargauer und dem Basler Literaturpreis, später mit einem Preis der Schweizer Schillerstiftung für sein Gesamtwerk und 2005 mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman ausgezeichnet wurde. Ein Porträt von PETER MOHR