//

Verführen, amüsieren, provozieren

Zwei neue Bücher zum 70. Geburtstag von Georg-Büchner-Preisträger Botho Strauß am 2. Dezember*

Der exzentrische Nonkonformist Botho Strauß, der zur Melancholie neigende erzählerische Philosoph und vehemente Zeitgeistkritiker, ist deutlich ruhiger geworden und schlägt neuerdings bisher bei ihm noch nicht erlebte versöhnliche Töne an. Von PETER MOHR

Strauss_978-3-446-24676-8_MR1.inddVor sieben Jahren hatte Strauß in seinem Band ›Die Unbeholfenen‹ noch mit Vehemenz das Leben in der modernen Gesellschaft abgelehnt und über »durchtrainierte Angeber, Blender, Vorteilsritter, Gesinnungsgewinnler und Gemeinplatzbewacher« geklagt und zwei Jahre später das Internet als ein »Logbuch einer weltweiten Mitteilungsinkontinenz« bezeichnet. Und nun legt Strauß einen gedanklichen Rückwärtssalto hin, schlägt einen um Harmonie bemühten Tonfall an und blickt geradezu melancholisch auf seine Kindheit in Bad Ems zurück.

Das schmale autobiografische Bändchen ›Herkunft‹ liest sich wie ein verspätetes Liebesbekenntnis zu seinen Eltern. Er versöhnt sich mit seinem autoritären Vater, der einst schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt war. Als Kind hat Strauß ihn im Gefängnis besucht, wo er wegen angeblicher Schmuggelvergehen in der damaligen SBZ einsaß. Offensichtlich – so deutet es der Sohn heute – war dies nur ein Vorwand um eine Arzneimittelfabrik, deren Mitinhaber der Vater war, zu verstaatlichen.

Obwohl Eduard Strauß seinem Sohn später als Schriftsteller wenig zugetraut hatte, klingen diese Annäherungen an die Eltern wie eine Suche nach Verständnis, nach Eintracht und Zustimmung. Selbst in Momenten, in denen er eine gewisse Entfremdung oder zumindest eine gehörige Portion Distanz verspürt, ringt er um versöhnliche, beinahe schon kitschige Formulierungen: »Tiefer verwundert mich nichts: dass meine schöne Mama vierzig Jahre die Emser Römerstraße auf und ab ging und darunter zu einem alten Mütterchen wurde. Dieser Wandel verschluckt das meiste, was sonst noch Zeit bedeuten mag. Zuletzt saß sie, das adrette Spittelweib, neben den Schwestern, den Diakonissen, in der Morgenandacht.«

Strauss_Allein_MR.inddKaum zu glauben, dass solche Sätze aus der Feder von Botho Strauß stammen und dass er Kindheits-Badeerlebnisse in der Lahn einmal zum literarischen Sujet machen würde. Wer nach wie vor den tiefsinnig-grüblerischen Skeptiker, den Bewahrer konservativer Lebensformen bevorzugt, dem sei der ebenfalls jetzt erschienene Essayband ›Allein mit allen‹ ans Herz gelegt.

Bekannt geworden ist Botho Strauß, der heute* vor 70 Jahren in Naumburg an der Saale geboren wurde, in jungen Jahren zunächst als Dramatiker, nachdem er nach seinem abgebrochenen Studium zuvor drei Jahre als Journalist für die Zeitschrift ›Theater heute‹ gearbeitet hatte.

Seine beiden ersten Theaterstücke ›Die Hypochonder‹ (1972) und ›Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle‹ (1974) wurden bereits von der Kritik heftig gerühmt. 1975 gab er seinen Job als Dramaturg an der Berliner Schaubühne auf und widmete sich ausschließlich seiner schriftstellerischen Arbeit. Bis heute ist er einer der meist gespielten zeitgenössischen Bühnenautoren.

›Paare, Passanten‹ (1981), ›Der junge Mann‹ (1984), ›Das Partikular‹ (2000) und ›Mikado‹ (2006) sind einige der wichtigsten Prosaveröffentlichungen aus der Feder des Georg-Büchner-Preisträgers von 1989.

Den Leser »verführen, amüsieren, provozieren und beleben« sind die von Strauß im Prosaband ›Der Untenstehende auf Zehenspitzen‹ (2004) explizit benannten Aufgaben eines Schriftstellers. In diesem Sinne hat der in Berlin und in der Uckermark lebende Botho Strauß seinen Job seit mehr als 40 Jahren erfolgreich gemacht.

| PETER MOHR

Titelangaben
Botho Strauß: Herkunft
München: Carl Hanser Verlag 2014
96 Seiten, 14,90 Euro
| Leseprobe

Botho Strauß: Allein mit allen. Gedankenbuch
München: Carl Hanser Verlag 2014
358 Seiten, 21,90 Euro
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Hilla in der großen bösen Welt

Nächster Artikel

Nicht nur Kraut und Rüben

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Erzähler und Versöhner

Menschen | Zum Tode des SChriftstellers Ludwig Harig »Kein Zweifel, er ist unter den Lebenden nicht nur der bekannteste, sondern auch der beste saarländische Schriftsteller. Wer dies behauptet, setzt keinen anderen herab«, hatte Ludwig Harigs saarländischer Landsmann Oskar Lafontaine schon vor 25 Jahren völlig zutreffend in der ›Zeit‹ geschrieben. In den letzten Jahren war es – dem Alter geschuldet – etwas ruhiger geworden um den literarischen Tausendsassa aus dem Saarland. Ein Nachruf von PETER MOHR

1989 – ein Jahr in Bildern

Menschen | Chris Niedenthal 1989: The year of hope Chris Niedenthal war der erste und lange Zeit einzige akkreditierte Fotojournalist, der in der ehemaligen Sowjetunion für westliche Medien arbeitete. Niemand sonst erlebte die letzten Monate vor dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Fall der Mauer so nah wie er. Nun hat der britisch-polnische Fotograf einen Bildband veröffentlicht, in dem er die wichtigsten Fotos aus dem Wendejahr zusammenfasst. Von FLORIAN STURM

Kino der Poesie

Menschen | Film | Abbas Kiarostami Ich erinnere mich noch genau daran, als uns das Kino von Abbas Kiarostami zum ersten Mal vor Augen kam. Es war Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre, als Ayatollah Chomeini, die Fatwa gegen Salman Rushdie und sein Buch ›Die satanischen Verse‹ aussprach und weltweit jeder bedroht wurde, der Rushdie lobte, verteidigte oder ihm Unterschlupf gewährte. Es schien, als sei das europäische Mittelalter mit Bannbulle und dem von jedermann tötbaren »Vogelfreien« in die globale Moderne eingebrochen. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Korn zwischen den Mühlsteinen

Menschen | Zum 100. Geburtstag von Alexander Solschenizyn Vor 100 Jahren am (11. Dezember) wurde Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn geboren. Ein Porträt von PETER MOHR

Ein singulärer Aufbruch in die Moderne

Sachbuch | Uwe M. Schneede: Paula Modersohn-Becker

Sie war eine der solitären Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit, eine Wegbereiterin der Moderne und die erste Künstlerin, nach der ein Museum benannt wurde. Seit 1927 erinnert das Paula Modersohn-Becker-Museum in Bremen an sie. Als sie mit 31 Jahren starb, hatte sie mit ihrem Werk die »kurze Epoche zwischen dem Alten und dem Neuen, dem 19. Und dem 20. Jahrhundert künstlerisch wesentlich geprägt«, vor allem in Deutschland. »Erst nach ihr begannen die Avantgarden wie ›Die Brücke‹ und der ›Blaue Reiter‹ die weiterreichende Erneuerungsarbeit«, schreibt der renommierte Kunsthistoriker Uwe M. Schneede zu Beginn seiner brillanten und umfassenden Monographie »Paula Modersohn-Becker – Die Malerin, die in die Moderne aufbrach«. Von DIETER KALTWASSER