Auf den Stapel!

Thema | Blätter für deutsche und internationale Politik, Dezember 2014

Zeitschriften? Was sind Zeitschriften? Was für eine Frage! Es sind Schriften zur Zeit bzw. sie enthalten Äußerungen zum Zeitgeschehen. Die ›Bunte‹ etwa schenkt uns »alle News und Storys aus der Welt der Stars und Promis«. Deren eigene Worte. Echt jetzt. Ausgeprägt lyrischer Duktus. Und ›Bunte‹ informiert uns »über die aktuellen Trends ob Mode, Beauty oder Lifestyle«. Was soll man tun? Von WOLF SENFF

BlaetterPolitikIst das nun Zeitgeschehen? Oder ›Stern‹, in ›Stern‹ lesen wir »aktuelle Nachrichten, spannende News und Hintergründe sowie bildstarke Reportagen aus allen Bereichen« – danke, ›Stern‹. Zeitschrift ist jedenfalls nicht Tageszeitung, die den Anspruch hat, lediglich Tagesgeschehen wiederzugeben. Auch da gibt’s viel Bandbreite, doch Zeitschrift ist mehr, Zeitschrift hat die Hektik des Tagesgeschehens abgestreift, sie nimmt die Dinge nüchtern und meistens frei von Alarmismus wahr, das ist doch schön.

Thomas Piketty komprimiert

Nein, ich möchte auf Folgendes hinaus. Es gibt Monatszeitschriften, auch vierteljährlich erscheinende, die sind so nüchtern, die umsäuseln uns noch nicht einmal mit bunten Bilderchen, das kann ein großer Vorteil sein. Ach, bunte Bilder. Disney. Auch so jemand, der unsere Staaten kalt lächelnd um die Steuern betrügt. Man hätt’s ahnen müssen, Dagobert.

Nein, nur schwarze Buchstaben zum Lesen und drüber Nachdenken, und über eine monatlich erscheinende Zeitschrift möchte ich ein paar Worte verlieren. Lange Einleitung? Umständlich? Die ›Blätter für deutsche und internationale Politik‹ dokumentieren eine Veranstaltung mit Thomas Piketty; dessen Vortrag ›Das Ende des Kapitalismus im 21. Jahrhundert?‹ ist lesenswert deshalb, weil er hier seine Thesen knapp zusammenfasst und von Europa »mehr Demokratie und Transparenz« verlangt. Gegenwärtig befinde sich der europäische Süden »in der Zinsknechtschaft«, und England sei ein »trauriges Exempel«. Auch die sich anschließenden Diskussionsbeiträge, u. a. von Joseph Vogl, sind dokumentiert.

Über den Tellerrand

Und weil außerdem so häufig davon die Rede ist, dass man »in diesem unserem Land« vorzugsweise im eigenen Saft schmort, sei auch der Beitrag der in London lehrenden Chilenin Chantal Mouffe erwähnt, die, wenn man so will, die Staatsdebatte neu eröffnet oder, vielleicht besser: Auf den Punkt bringt und sich entschieden dagegen ausspricht, die »Idee der Repräsentation« infrage zu stellen. Die »Dämonisierung des Staates« sei ein »Kernelement des neoliberalen Zeitgeistes«, sie warnt davor.

Empfehlenswert außerdem die Ausführungen der Kanadierin Maude Barlow darüber, »wie Nestlé & Co. uns das Wasser abgraben« und ein Aufsatz von Jörg Goldberg unter dem Titel ›Vom Süden lernen‹ über »Kapitalismus in der Peripherie«. Es gibt sie, die Nischen abseits vom Brainwashing des Mainstream. Nutzen wir sie!

… zum Christfest

›Blätter für deutsche und internationale Politik‹ bieten ferner einen einleitenden Teil, der Ereignisse des vergangenen Monats kommentiert (u. a. Friedrich Schorlemmer über ›Thüringen und das Recht zur Demokratie‹) und sie empfehlen ein »Buch des Monats«.

Gut vorstellbar wäre, ein Abonnement der ›Blätter‹ auf den Geschenkstapel unter den Christbaum zu legen und zwischen den Jahren sich viel Zeit für Lektüre zu geben.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Blätter für deutsche und internationale Politik
Berlin: Blätter Verlagsgesellschaft mbH
128 Seiten, 10 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Hey love, let´s go!

Nächster Artikel

Auschwitz als romanzo-verità

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Ein Konstrukt

Gesellschaft | Ulf Kadritzke: Mythos »Mitte« oder: Die Entsorgung der Klassenfrage Diese vergleichsweise kurze Arbeit greift ein Thema auf, das noch im vergangenen Jahrhundert stets wieder diskutiert und stets wieder unter den Teppich gekehrt wurde. Die neueste Version, diesmal von gänzlich unerwarteter Seite, schuf der Milliardär Soros mit seinem Bonmot vom »Klassenkampf von oben«. Von WOLF SENFF

Dienstboten und IBM-Boys

Gesellschaft | Rainer Barbey: Recht auf Arbeitslosigkeit? Recht auf Arbeitslosigkeit? kommt als Anthologie mit Texten von Ökonomen und Philosophen aus der Zeit seit 1800 daher, herausgegeben von Rainer Barbey. THOMAS ROTHSCHILD hat hineingeschaut.

Bildgewaltiges Glanzstück

Gesellschaft | Katherine Boo: Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben In Annawadi, einem Slum in Mumbai, leben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und die Angst vor dem endgültigen existenziellen Ruin dicht beinander. Neid, Korruption und ethnische Konflikte bestimmen den Alltag. In Ihrer bewegenden Reportage Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben schildert Katherine Boo eingängig die Lebensumstände in einem indischen Elendsviertel. Von MARC STROTMANN

Zündeln am europäischen Haus

Gesellschaft | Ernst Wolff: Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzugs Richtig. Wir müssen die Vergangenheit neu sortieren, von Grund auf neu, zumindest was Europa betrifft. Seitens des Hegemons USA existierte von Anfang an ein unmissverständliches Konzept, und nie herrschten Zweifel daran, was zu tun sei. Von WOLF SENFF

Vorsicht vor Frauen und Schnaps

Gesellschaft | Leitfaden für britische Soldaten 1944 Spätestens seit die US-Regierung auf den 9/11-Terror mit Bombeneinfällen im Irak reagierte, kennt man auch im friedensverträumten Deutschland das Wort »Exit-Strategie«. Man sollte, besagt es, nicht irgendwo einfallen, wenn man nicht weiß, wie man wieder rauskommt. Das leuchtet selbst Zivilisten ein, ist aber nur der zweite Schritt. Der erste – für den zweiten unabdingbare – scheint in neuen »asymmetrischen« Kriegen fatalerweise wegtechnologisiert zu sein: Man sollte das Land, in das man einfällt, sehr gut kennen. Nicht nur die Geo- und Topographie samt Klima, sondern die Menschen und deren Geschichte, Kultur, Lebensart, Mentalität. Mit