Gesellschaft| Wilhelm Schmid: Selbstfreundschaft
Wie kann der Mensch selbstbewusst auftreten und zu sich stehen, ohne in Narzissmus zu verfallen? Zehn Schritte zur Selbstfreundschaft und auf diese Weise »das schönste Leben zu führen«. Von MONA KAMPE
Wer sich selbst liebt, ist klar im Vorteil: Er tritt selbstbewusst auf, vermag den Raum für sich einzunehmen, zu überzeugen. Doch übertriebene Selbstliebe kann oft in Narzissmus ausarten.
Ständig hinterfragen wir uns und unsere Gesellschaft, Moralvorstellungen und Ideale – wie also eine gangbare Ich-Lösung finden, die uns individuell glücklich macht?
»Liebe und Freundschaft sind schon bei den Beziehungen zwischen Zweien nicht dasselbe, so auch in der Beziehung zu sich selbst. Die Selbstfreundschaft neigt weniger zu leidenschaftlichen Übertreibungen und erlaubt mehr Distanz zu sich selbst. Mit der Selbstfreundschaft wählt ein Ich sich selbst zum Ansatzpunkt für das Bemühen um eine erträglichere Welt, die sich durch mehr ›humanen Charme‹ und weniger Narzissmus auszeichnet.«
Sich lieben oder mit sich befreundet sein?
Der Selbstfreund ist demnach für Andere weit offen, während der Selbstliebende das Interesse an Anderen eher an das eigene knüpft. Auch neigt er aufgrund der distanzierten Nähe nicht zu Idealisierungen, sondern zu realistischen Einschätzungen. »In einer ernsten Lebenskrise geht er Arm in Arm mit sich, um sich ganz pragmatisch zu stützen.« Der Selbstfreund verlässt sich auf sich und schöpft daraus viel Kraft.
Der Selbstliebende ist an äußere Einflüsse gebunden und auf die Bewunderung Anderer angewiesen, er strebt nach Vollkommenheit und gibt der Umwelt die Schuld an seinen Unzulänglichkeiten. So lebt er in ständiger Gefahr, enttäuscht zu werden. Sein Streben nach Perfektion entspricht unserem religiös geprägten Kulturbild – dem Traum nach Allwissenheit und Unendlichkeit.
Doch lassen sich unsere modernen Gesellschaftsideale auch mit Selbstfreundschaft erfüllen?
Ja, denn »der Selbstfreund will das Beste in sich fördern, zielt aber mit seiner Selbstzuwendung darauf, leichter auf Andere zuzugehen und für sie da sein zu können. Das Leben wird um vieles leichter dadurch, dass er es Anderen nicht so schwer macht, mit ihm umzugehen. Kooperation und viele schöne Dinge werden dadurch möglich. Die Grundlage dafür ist jedoch die immer wieder neue Befassung mit sich selbst.«
Humane Freude für ein erfülltes Leben?
Auch der Selbstfreund ist natürlich vor Eitelkeit oder Unsicherheiten nicht gefeilt, aber er hält diese in »erträglichen Grenzen«. Er fängt bei sich selbst an und sieht, wie sich mit einem »veränderten Selbstverhältnis« seine Lebenswelt verbessern lässt. Er kann schließlich mit Anderen gemeinsam an sozialen Veränderungen arbeiten, aus dem Ich wird ein Wir – das Selbst leistet seinen Beitrag zu einem größeren Ganzen.
»Offenkundig ist jedoch die Aufgabe, Möglichkeiten zu entdecken und zu testen, mit einem planvollen, überlegten Vorgehen allein nicht zu erfüllen«, der Drang nach Widerstand, Eigensinn und Spontaneität ist unwiderstehlich. Erfüllung ist gleichbedeutend mit Selbstvergessenheit, die über jedes Ich und seine Endlichkeit hinausragt. Bestes Beispiel bildet die Liebe.
In seinem Bestseller ›Selbstfreundschaft‹ legt Philosoph und Dozent Wilhelm Schmid Lesern zehn Schritte ans Herz, mit denen sie zu einem schöneren Leben gelangen. Zahlreiche Beobachtungen, Begegnungen und Erfahrungen bilden Anregungen zur »Sorge für sich selbst«, die Ausgebrannte ermutigen, Introvertierte stärken und Pflichterfüllende befreien kann. Mit gezielter Präzision, anhand von historischen sowie kulturellen Ich-Entwicklungen und Fragestellungen zeigt er Wege für das individuelle Glück in der modernen Gesellschaft jenseits von Konventionen und Idealen wie übertriebenem Narzissmus auf.
Seine Alternative für ein leichteres Leben erinnert uns an essenzielle Werte wie Humanität, Gemeinschaft und Zusammenhalt, aus denen der Einzelne Kraft schöpfen und weitergeben kann, wenn er sich dieser bewusst ist.
Titelangaben
Wilhelm Schmid: Selbstfreundschaft
Wie das Leben leichter wird
Berlin: Insel Verlag 2018
2. Auflage, 126 Seiten, 10 Euro
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