Das Trauma von Abu Ghraib

Comic | J. Hill, J. Ciaramella, V. Malhotra: Thumbprint

»Mein Name ist Private First Class Mallory Grennan und dies ist mein Geständnis.« ›Thumbprint‹ ist die Comicadaption einer Kurzgeschichte von Joe Hill, in der versucht wird, in die seelischen Abgründe jener braven Soldaten zu blicken, die in Abu Ghraib für ihr Land gefoltert haben. BORIS KUNZ hat sich mit dem Album beschäftigt.

Joe Hill ThumbprintDass amerikanische Soldaten längst nicht mehr als strahlende Sieger, sondern als gebrochene Menschen aus ihren Kriegen zurückkehren, ist seit der Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg auch in der Popkultur keine Neuigkeit mehr. Trotzdem ist so etwas wie PTSD (posttraumatic stress disorder) noch immer ein heikles, trotz aller Aktualität wenig bearbeitetes Thema (siehe auch die Rezension zu ›Die Rückkehrer‹). Stephen Kings Sohn Joe Hill (Locke & Key) geht noch einen Schritt weiter und stellt in seiner Kurzgeschichte ›Thumbprint‹ die Frage, ob nicht nur der Kampfeinsatz, sondern auch der Dienst als moderner Folterknecht an einem Ort wie Abu Ghraib einen Menschen traumatisieren kann.

Das Böse kommt auf leisen Sohlen…

Es waren Bilder, die um die Welt gingen und das ohnehin schon brüchige Image des anständigen amerikanischen GIs, der in einer feindseligen Welt für Moral und Ordnung sorgt, nachhaltig erschüttert haben: Die Bilder aus dem irakischen Gefängnis in Abu Ghraib, in dem US-Soldaten einheimische Gefangene auf übelste Weise degradiert und misshandelt haben – scheinbar nicht mehr im Dienste des Friedens und einer besseren Welt, sondern einzig und allein zu ihrem Privatvergnügen.

Die fiktive Mallory Grennan gehörte zu diesen Soldaten, und hätte ihr Kamerad die Kamera nur ein wenig anderes gehalten, dann wäre auch sie auf den Fotos zu sehen gewesen und würde nicht jetzt nach ihrer Rückkehr aus dem Irak unbehelligt und unscheinbar als Barfrau in einer Kleinstadt arbeiten. Mallory hat kein PTSD, sie kann ohne Angstzustände aus dem Haus gehen und ist in der Lage, ein normales Leben zu führen. Trotzdem liegt die geladene Feuerwaffe neben dem Feldstecher unter der Schlafzimmerkommode griffbereit, und den Avancen ihres Kollegen John Petty erwehrt sie sich mit etwas drastischeren Methoden, als es der Situation vielleicht angemessen ist. Es ist klar: Ohne Spuren ist die Zeit in Abu Ghraib nicht an Mal vorbeigegangen.

Doch ihre Vergangenheit holt sie nicht in Albträumen heim, sondern nimmt wesentlich konkretere Formen an: Plötzlich tauchen ihn ihrem Briefkasten, auf ihrer Veranda, unter dem Scheibenwischer ihres Wagens Zettel mit Daumenabdrücken auf. Es sind keine Kopien, sondern echte Abdrücke verschiedenster Daumen, und Mal wird schnell klar, dass sie nur von jemandem stammen können, der Details aus ihrer Dienstzeit kennt, denn der Daumenabdruck spielt auf einen Vorfall an, bei dem ein Häftling durch die brutale Behandlung einen Daumen verloren hat – und dadurch in der Lage war, aus seinen Handschellen zu entkommen. Die anonymen Briefe lösen Erinnerungen und Paranoia bei Mal aus. In ein paar ausgewählten Rückblenden werden Episoden aus ihrer Zeit in Abu Ghraib erzählt, die natürlich den Schlüssel dafür beinhalten, wer hinter diesen Daumenabdrücken stecken könnte und was sie bedeuten.

Diese Thrillerhandlung ist natürlich nur Vorwand, um die Psyche eines Menschen zu erkunden, dem jahrelang beigebracht worden ist, dass hinter jedem harmlosen Mitmenschen ein Bombenleger stecken kann, und dass allein dieser Generalverdacht schon ausreicht, ihn so hart ranzunehmen, dass die Wahrheit zutage tritt. Kann jemand, der mit so einer Selbstverständlichkeit immer das Schlechteste von seinem Gegenüber annimmt, in unserer Gesellschaft überhaupt noch funktionieren? Auf diese Frage findet ›Thumbprint‹ am Ende eine spannende und konsequente Antwort und gehört damit zu den wenigen Thrillern, deren Auflösung stärker ist als die zuvor aufgebaute Spannung.

Viel Schrecken, wenig Suspense

Das Suspense-Potential wird von den Autoren kaum bedient: Ein Portrait von Mals Persönlichkeit (die natürlich immer ein wenig rätselhaft bleibt und nicht bis zum allerletzten entschlüsselt werden kann) ist Joe Hill und Comic-Autor Jason Ciaramella wichtiger als ein dynamischer Thriller. Die Hauptfigur unternimmt kaum einen Versuch, den Absender der Daumenabdrücke zu finden, noch gerät sie im Lauf der Geschichte durch die anonymen Briefe äußerlich unter Druck. Die Auflösung des Rätsels passiert am Ende dann auch wie von selbst. Für einen Thriller ist das etwas dürftig, hier spürt man doch, dass ›Thumbprint‹ eine auf dreimal 22 Seiten gebrachte Adaption einer Kurzgeschichte ist.

Zeichner Vic Malhotra hat die Story souverän und mit einem auf den ersten Blick recht einfachen und groben Strich umgesetzt, der in Kombination mit gedeckten Herbstfarben sehr viel Stimmung erzeugt, dabei allerdings nur so weit ins Detail geht, wie nötig – nicht unpassend für die Weltsicht der Protagonistin: Obwohl einem die Welt hinlänglich vertraut vorkommt, kann doch in all den dunklen Schatten überall das Böse lauern. Da ist es dann kein Wunder, wenn einem die Umwelt und die Gesichter seiner Mitmenschen irgendwann wie mit sehr groben Strichen gezeichnet vorkommen.

Nachdem die Story mit ihren knapp 70 eher großformatig erzählten Seiten noch nicht ganz für einen abendfüllenden Comicband ausreicht, ist auch die originale Kurzgeschichte von Joe Hill in dem Band mit abgedruckt. Die erzählt nichts grundsätzlich Anderes, sondern erlaubt dem Leser eher eine Reflexion darüber, warum und wieso Ciaramella wohl an manchen Punkten vom Original abgewichen ist, denn diese Abweichungen sind symptomatisch für Literaturadaptionen: So hat Ciaramella die Hauptfigur ein wenig entschärft und dem Leser zugänglicher gemacht (in der Vorlage ist es Mallory selbst und nicht etwa ihr Kollege, der einem besoffenen Kriegsveteranen ohne besonderen Grund den Ehering klaut) und dafür den Showdown etwas aufgepeppt, der in der Kurzgeschichte weitaus offener gehalten war.

Neben Titelbildern und Charakterstudien von Malhotra ist als weiterer Bonus die kleine Horrorstory ›Kodiak‹ enthalten, vom gleichen Autorenteam, aber einem anderen Zeichner. Die spielt zwar im Mittelalter, beackert aber auf eine gewisse Weise das gleiche Feld: Auch hier muss sich ein diesmal sichtbar versehrter Protagonist mit der Herkunft seiner Narben auseinandersetzen.

Dieses zusätzliche, ausführliche Bonusmaterial mag es attraktiver machen, den Band bei Panini zu erwerben. Lohnenswert ist die Lektüre des Comics allerdings vor allem wegen ihres konsequenten und klug gedachten Endes – ein Ende, das ausreichend gestreckt und gedehnt vielleicht auch für einen ganzen Hollywood-Thriller herhalten könnte, in der Form einer Kurzgeschichte oder einer entsprechenden Comicadaption aber durchaus schon seine volle Wirkung entfalten kann.

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Joe Hill, Jason Ciaramella (Autoren), Vic Malhotra (Zeichner): Thumbprint
(Thumbprint 1 – 3) Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Stuttgart: Panini Comics 2014
132 Seiten, 16,99 Euro

Reinschauen
| Neuigkeiten über Joe Hills Schaffen
| Blog von Jason Ciaramella
| Homepage von Vic Malhotra

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Blut ist dicker

Nächster Artikel

Wie die Liebe an zu tiefem Leiden scheitert

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Paranoia mit Stil

Comic | Thierry Smolderen, Alexandre Clérisse: Das Imperium des Atoms Thierry Smolderen (Autor von ›Ghost Money‹, ›Gipsy‹, ›Convoi‹ u.v.a.) hat sich von einem psychiatrischen Fallbericht und von alten Science-Fiction Romanen zu einer originellen Story inspirieren lassen, die gleichzeitig Paranoia-Thriller und Sci-Fi-Hommage ist: ›Das Imperium des Atoms‹. Der hierzulande noch kaum bekannte Alexandre Clérisse hat die großformatige Grahpic Novel als Verbeugung vor Stil und Eleganz der 50er Jahre in Szene gesetzt. BORIS KUNZ hat das Werk gelesen.

Kafka im Comic

Comic | Der Process nach Franz Kafka/Das Schloss nach Franz Kafka Ob ein klassischer, längst verstorbener Dichter in der Popkultur angekommen ist, lässt sich auch daran ablesen, ob er im Comic rezipiert wurde. Wer sich dort einer zunehmenden Beliebtheit erfreut, ist der jüdisch-böhmische Schriftsteller Franz Kafka. Schon seit einiger Zeit veröffentlichen Texter und Zeichner im Knesebeck Verlag Comics über Kafka oder machen aus seinen Werken Comics. So gab es in den letzten Jahren etwa Comics zu den Erzählungen ›In der Strafkolonie‹ und ›Die Verwandlung‹. Doch vor Kurzem machten sich auch Künstler an zwei seiner Romane: ›Der Process‹ und ›Das Schloss‹

Ein Bilderbuch für Erwachsene

Comic | David Schraven / Vincent Burmeister: Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland Am 27. März 1980 versank die norwegische Bohrinsel Alexander Kielland in der Nordsee. Das Unglück forderte damals 123 Todesopfer. Spätere Untersuchungen schlossen auf »Materialermüdung«. Aber wie das bei Katastrophen nicht selten der Fall ist, kennen nur Comic-Autoren die wahren Hintergründe. Über diese wird auch BORIS KUNZ Schweigen bewahren. Aber über den Comic selbst gibt es ein paar Sachen zu sagen.

They’re crazy, those Belgians!

Comic | Spirou und Fantasio Spezial: Spirou in Amerika Kaum jemand hat in der Neunten Kunst den Wilden Westen bei uns so populär gemacht wie Lucky Luke, der Cowboy, der schneller zieht als sein Schatten. Sein Schöpfer, der Belgier Maurice de Bevere (amerikanophoner Künstlername: Morris) hat in seiner Jugend eine lange Reise nach Amerika unternommen, die zu den wenigen glanzvollen Legenden gehört, die hinter den Kulissen über das Comic-Schaffen erzählt werden.

Western von gestern, heute gesehen

Comic | Paolo Eleuteri Serpieri: Tex – Der Held und die Legende Der langlebige Comic-Westernheld Tex bekommt regelmäßig Sonderbände von renommierten Künstlern verpasst. In ›Tex – Der Held und die Legende‹ hat sich Comic-Altmeister Paolo Eleuteri Serpieri dem Recken angenommen. Und ist damit zu den Ursprüngen seiner Comic-Karriere zurückgekehrt. Von CHRISTIAN NEUBERT