Comic | Spezial: Krieg im Comic
Mit Werken wie Palästina und Gaza hat Joe Sacco die Comicreportage salonfähig gemacht. Während der Meister mit einem sieben Meter langen Ausklappbild der gigantischen Schlacht an der Somme im Ersten Weltkrieg neue Wege beschreitet, beschäftigen sich andere Comicreportagen auf immer vielfältigere Weise mit kriegerischen Konflikten und beleuchten ihre Wurzeln ebenso wie die individuellen Auswirkungen auf den einzelnen Soldaten. BORIS KUNZ hat ein paar besondere Kriegsreportagen aus dem aktuellen Angebot herausgepickt.
Der Krieg scheint allgegenwärtig. Auf der einen Seite bietet das 100-jähirge »Jubiläum« des Ersten Weltkriegs Anlass zur Rückschau: Neben Joe Saccos Panoramabild wurde auf dem Comicsalon in Erlangen auch das Werk von Jaques Tardi mit einer Ausstellung gewürdigt. Und bei Splitter ist vor kurzem ein dicker Wälzer mit dem Titel ›Mutter Krieg‹ erschienen.
Auf der anderen Seite sind in aktuellen Kriegsherden rund um den Globus jetzt auch deutsche Soldaten direkt involviert, und viele Comicreportagen widmen sich der Entstehung dieser Krisenherde: ›Kriegszeiten‹ von Schraven und Burmeister, ›Wave and Smile‹ von Arne Jysch, ›Der Arabische Frühling‹ von Filiu und Pomes.
Wenn auch die Menschheit in den letzten 100 Jahren nicht wesentlich klüger geworden zu sein scheint, so hat sich doch das Medium Comic glücklicherweise von seiner Funktion als Propagandamedium gelöst. Es möchte hinterfragen, erklären, Hintergründe aufdecken. Dabei loten die Autoren und Zeichner auch die vielfältigen Möglichkeiten des Mediums aus.
Die Anstifter: ›Die Stern-Bande‹
Anfang der 40er Jahre: Während in Deutschland Adolf Hitler einen ganzen Staat auf fanatischem Judenhass aufbaut, sehen die Zionisten in ihrem »gelobten Land« den Feind ihres Volkes an ganz anderer Stelle, nämlich bei der britischen Verwaltungs- und Besatzungsmacht, die das heiß umkämpfte Territorium des künftigen Staates Israel nach wie vor auch der arabischen Bevölkerung zubilligen. So entsteht im Untergrund eine zionistische, paramilitärische Terrororganisation, die sog. »Lechi«, die mit Bombenattentaten, Morden, Entführungen und weiteren Bluttaten versucht, ihre kompromisslosen Gebietsinteressen durchzusetzen. ›Die Stern-Bande‹ erzählt anhand der Hauptfigur Yehoshua Cohen, Deckname Avner, von den aktivsten Mitgliedern dieser Organisation.
Der von italienischen Künstlern gemachte Comic ist also vordergründig die im Stil eines Gangsterfilms nacherzählte Story einer Handvoll mehr oder weniger fanatischer Terroristen. Dabei schildert er die Geschichte der Entstehung des Staates Israel aus der Perspektive von Figuren, die mit der politischen Entwicklung nicht einverstanden waren, denen es aber nie so recht gelungen ist, den Gang der Dinge nach ihren Wünschen zu verändern.
Dieser erzählerische Anspruch führt dazu, dass ›Die Stern-Bande‹ ein sehr dialoglastiger Comic geworden ist. Abgesehen von ein paar szenischen Höhepunkten wie der fragwürdigen »Eroberung« des Dorfes Deir Yassin (in Wirklichkeit eine perfide ethnische Säuberung) verfolgt man auf den Comicseiten hauptsächlich kantige Männer bei politischen Diskussionen. Dabei sitzen sie manchmal in Salons von Villen, manchmal teilen sie sich im Wald einen Kanten Brot, manchmal sitzen sie als Soldaten verkleidet in einem Militärjeep und warten auf ihr nächstes Opfer.
Aufschlussreich ist der Comic vor allem in Luca Enochs nüchternen Schilderungen von politischen Zusammenhängen, die immer wieder wie nebenbei deutlich machen, dass sich nationalistisches Gedankengut und ideologische Verblendung eigentlich nicht unterscheiden, egal ob sie aus Deutschland oder Amerika, von Juden oder von Moslems kommen. Für die Wesenszüge seiner Protagonisten interessiert sich der Comic fast ausschließlich in diesem Zusammenhang, von ihrem Privatleben erfährt man so gut wie gar nichts.
Die Zeichnungen von Claudio Stassi entstammen sichtlich der Tradition des italienischen Verlagshauses Bonelli, das eher für Western, Krimi und Horrorcomics wie Dylan Dog bekannt ist.
Der Ernsthaftigkeit des Themas gemäß sind sie in dünnerem Strich belassen, einen Hauch gröber und expressionistischer als Stassis sonstige Arbeiten, dafür mit zurückgenommenen Gesten, und die Aquarellkolorierung bleibt auf Grauschattierungen reduziert. Doch hinter diesen äußerlichen Stilmitteln scheint der versierte Genrezeichner durch, man fühlt sich gar an John Romita Senior erinnert, an das ›Silver Age‹ der Marvelcomics: Markante, kantige Gesichter, charismatische Figuren, die allerdings im großen Unterschied zu Marvelfiguren viel mehr reden als handeln.
Die Masse: Die Schlacht an der Somme
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas kann man sich zunächst auch einer gewissen Spielfreude nicht erwehren, wenn man das neue Werk des fleißigen Comicreporters Joe Sacco in den Händen hält: Aus einem dicken Schuber rutscht einem zunächst ein Begleitheft mit Vorworten, Anmerkungen und Erläuterungen in die Hände, das einen mit einer Menge spannender Zusatzinformationen versorgt. Und dann, zwischen zwei Buchdeckeln, eine große, einseitig bedruckte, auffaltbare Ziehharmonika, die sich einerseits als Buch durchblättern, andererseits zu einem Panorama von fast unüberschaubarer Länge aufklappen lässt. Wie geht man die Betrachtung dieses Werkes nun an? Seite für Seite durchblättern wäre zwar praktisch, aber langweilig. Es komplett auszuklappen erfordert viel Platz und ein Lesen auf Knien. Nach einigem Herumprobieren wird man sich vermutlich für eine Zwischenlösung auf dem Bett oder einem langen Tisch entscheiden.
Dann beginnt man sich in die Betrachtung des Bildes zu vertiefen, das nur ganz zu Anfang, wenn General Haig als Figur mit historischem Erklärungsbedarf zu sehen ist, einen Bildungsanspruch zu stellen scheint und den Blick in die Anmerkungen nötig macht. Doch hat man sich erst einmal in die Betrachtung der detaillierten, völlig wortlosen Zeichnungen vertieft, gerät man in einen Sog, der einen alle Spielereien mit dem Format vergessen lässt, und einen tief hineinzieht in das ebenso tragische wie beeindruckende Spektakel eines desaströsen Kriegstages.
Massen von Soldaten ziehen fröhlich in die Schlacht, marschieren an Feldküchen, Donnerbalken und aufwendig transportierten Geschützbatterien vorbei in die Schützengräben, stürmen ein völlig verwüstetes »Schlachtfeld« und werden dort vom Artilleriefeuer der Deutschen zerfetzt, die hinter einem Nebel aus Pulverdampf unsichtbar bleiben. Nur noch Verwundete, Tote und Sanitäter werden am Ende von den Schützengräben ausgespuckt und in Lazarette und anonyme Massengräber entlassen.
Saccos klarer, filigraner und von allen Anflügen des Underground-Comics befreiter, schnörkelloser Strich bringt Klarheit und Übersicht in das Chaos, der leicht erhöhte Blickwinkel ermöglicht es dem Betrachter, sich auf die Details zu stürzen, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. So führt einem Sacco weniger das Leid der Soldaten in den Schützengräben als vielmehr den gigantischen und absurden logistischen Aufwand organisierter Massenvernichtung vor Augen.
Damit gelingt ihm ein Statement zum Phänomen des Krieges, das deutlich über seinen bisherigen Ansatz der Berichte aus erster Hand hinausgeht. Zudem hat Sacco damit sehr eindrücklich vorgeführt, was der Comic als Erzählform leisten kann, wenn man versucht, in wenigstens teilweise von den Zwängen des Seitenformates zu befreien.
Die Gebrochenen: ›Die Rückkehrer – wenn der Krieg im Kopf nicht endet‹
Der französische Dokumentarfilmer Olivier Morel hat vor einigen Jahren in den USA einen Film über kriegstraumatisierte Heimkehrer aus dem Irak gedreht. Der Film, der unter dem Titel ›Amerikas verletzte Seelen‹ auf arte zu sehen war (und aktuell auch noch auf YouTube steht), besteht fast ausschließlich aus Interviews. Morel selbst ist in diesem Film kaum sichtbar, bleibt als Interviewpartner im Off. In der Graphic Novel ›Die Rückkehrer‹ dreht er das Prinzip um und macht – eher schon in der Tradition von Guy Delisle als der von Joe Sacco – sich selbst zum Protagonisten und erzählt so vom Zustandekommen seines Dokumentarfilms. Er schildert seinen ganz persönlichen Bezug zum Thema, seine Einbürgerung in die USA, seine Suche nach Interviewpartnern und sein Verhältnis zu ihnen.
Weil über posttraumatische Belastungsstörung und über die persönlichen Geschichten der Soldaten in dem Film sehr ausgiebig gesprochen wird, hält Morel diese Thematik im Comic eher knapp, konzentriert sich weniger auf Erläuterungen und Erklärungen sondern vielmehr auf jene Bilder und Momente, die ihn selbst besonders berührt haben. So ist ›Die Rückkehrer‹ eher Begleitbuch zum Dokumentarfilm, und es lohnt sich tatsächlich, sich diesen vor der Lektüre anzusehen. ›Die Rückkehrer‹ handelt mehr vom Versuch eines Reporters, sich einem Phänomen anzunähern, als von dem Phänomen selbst.
Doch auf einer zweiten Ebene nutzt Morel die Mittel des Comics auch dazu, das darzustellen, was für den Dokumentarfilm nicht darzustellen ist: Erinnerungen an die Grausamkeiten des Krieges, wie sie vor keiner Kamera stattfinden – und deren Gewicht für die Psyche der Soldaten. Dafür hat der erfahrene Zeichner Maël (Mutter Krieg) eine eigene Bildsprache entwickelt, die über Farbcodes funktioniert: Die Gegenwartsebene, die von Morel und seinen Dreharbeiten erzählt, ist grau in grau gehalten, die Erinnerungen der Soldaten an ihre Einsätze sind rostrot, eine Färbung die sowohl an die Eintönigkeit und Hitze der Wüste als auch an das vergossene Blut erinnert. Immer wieder bricht das Rostrot in die graue Alltagswelt der Soldaten ein und überlagert es, so wie deren Alltag für den Rest ihres Lebens von ihren traumatischen Erinnerungen überschattet und bestimmt werden wird.
Die ausdrucksstarken Zeichnungen sind mit den entsprechenden Aquarelltönen schattiert, sodass trotz der beschränkten Farbpalette ein fotorealistischer Eindruck entsteht. Ganz am Ende des Bandes begegnen sich Zeichnung und Fotografie und führen dem Leser noch einmal deutlich vor Augen, dass es sich hier um die Leidensgeschichten real existierender Personen handelt. Während man ›Die Stern-Bande‹ noch immer als informativen Thriller lesen und ›Die Schlacht an der Somme‹ als grafisches Kunstwerk würdigen kann, ist ›Die Rückkehrer‹ ein beklemmende, düstere Lektüre, deren Eindringlichkeit man sich auch ohne das geforderte Hintergrundwissen kaum entziehen kann.
| BORIS KUNZ
Titelangaben
Luca Enoch (Autor), Claudio Stassi (Zeichner): Die Stern-Bande
Banda Stern – aus dem Italienischen von Monja Reichert
Stuttgart, Panini Verlag 2014
124 Seiten, 19,99 Euro
Reinschauen
| Leseprobe
| Über Luca Ennoch
| Blog von Claudio Stassi (italienisch)
Titelangaben
Joe Sacco: Der erste Weltkrieg: Die Schlacht an der Somme
(The Great War: July 1, 1916: The First Day of the Battle of the Somme)
Aus dem Englischen von Christoph Schuler
Zürich: Edition Moderne, 2014
Leporello mit 24 Seiten, 35 Euro
Reinschauen
| Leseprobe
| Joe Sacco in der Edition Moderne
| Joe Sacco bei Wikipedia
Titelangaben
Olivier Morel (Text), Maël (Zeichnungen): Die Rückkehrer – Wenn der Krieg im Kopf nicht endet (Revenants) Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Hamburg: Carlsen Verlag 2014
128 Seiten, 17,90 Euro
Reinschauen
| Über Zeichner Maël
| Der Film von Olivier Morel
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