Kinderbuch | Meike Haberstock: Anton hat Zeit
Anton hat etwas, was den meisten Menschen – vor allem den Erwachsenen – fehlt: Zeit. Eigentlich ist das toll – andererseits führt genau das immer wieder zu Konflikten mit seiner Mutter, die keine Zeit hat. ANDREA WANNER nahm sich die Zeit für ein besonderes Kinderbuch.
Zeit ist schwierig zu verstehen. Anton hat Zeit – aber er weiß nicht warum. Sie ist einfach da, steht ihm zur Verfügung wann immer und für was auch immer er sie braucht. Er nimmt sie sich für die Dinge, die ihm wichtig sind und für die, von denen seine Mama behauptet, sie seien wichtig. So braucht er gelegentlich eine Menge Zeit. Morgens zum Beispiel, wenn er sich ordentlich waschen soll und anschließend sein Brot frühstücken soll.
Warum es Ärger gibt, wenn er dabei das Brot in Hasenform knabbert, versteht er nicht so recht. Und wenn seine Mutter fragt »Himmel, wo ist nur schon wieder die Zeit geblieben?« versteht er das auch nicht. Und eigentlich ist er der Meinung, seine Mama müsste nur besser auf ihre Zeit aufpassen, dann wüsste sie auch, wo sie ist.
Meike Haberstock schildert eine alltagsnahe Mutter-Sohn-Geschichte. Eine alleinerziehende Mutter hetzt durch den Tag, versucht alles zu organisieren und tut permanent zig Dinge gleichzeitig. Und ein verträumter, liebenswerter Erstklässler hat seinen ganz eigenen Zeitbegriff, will eigentlich alles recht machen und muss doch ständig feststellen, dass die beiden Zeitvorstellungen schwer unter einen Hut zu bekommen sind. Immer öfter gibt es Ärger. Dabei glaubt Anton, die Lösung zu kennen: wer die Uhr lesen kann, hat keine Zeit mehr. Also weigert er sich.
Erzählt ist das mit viel Witz und Sympathie für beide, Mutter und Sohn. Nicht nur mit Worten, sondern auch mit vielen Illustrationen, die immer wieder neu überraschen: mal als doppelseitige Szenen mit nur wenig Platz für Text, wenn Anton als Überraschung den Feiertagsfrühstückstisch deckt mit Möhren, Milch, Ketchup, kalten Nudeln, Toast, Schokostreuseln, gehackten Mandeln, Apfelmus und Leberwurst. Mal als Abfolge von Skizzen, wie z.B. der Busfahrer Herr Kemper seine Gesichtsfarbe verändert (wenn alles zu lange dauert natürlich) von Rosa über Mittelrosa zu Rot und schließlich Dunkelrot (und Anton gespannt darauf wartet, ob er auch andere Farben – Grün oder blau-weiß-gestreift – draufhat). Mal als Blick in Antons Schulheft, wo der wichtige Fragen zurzeit schreibmalt, die er seinem Opa stellen will. Oder am Kapitelanfang als vignettenähnliche Einleitung …
Seite um Seite entdeckt man Neues. Und Seite um Seite kann man sich Fragen zurzeit stellen. Das beginnt schon am Anfang eines jeden Kapitels mit dem Hinweis auf die Wortzahl und einem Vergleich, was man in dieser Zeit statt zu lesen auch tun könnte. Das erste Kapitel beispielsweise hat 468 Wörter. »Diese zu lesen, dauert so lange, wie eine Tube Zahnpasta in einer langen Linie auf dem Badezimmerboden auszudrücken.« Oder das Kapitel mit der Eichhörnchenbeerdigung – für die sich manche Menschen auch nicht die notwendige Zeit nehmen – , das 939 Wörter hat. »Diese zu lesen dauert so lange, wie du sonst brauchst, um eine mittelgroße Pfütze leerzuhüpfen.«
Die physikalische Größenart Zeit wird auf kindgerechte Art unter die Lupe genommen. Dass dabei das Erwachsenenzeitverständnis nicht immer besser wegkommt, gehört zu der liebenswürdigen Klugheit der Geschichte. Am Ende ist Zeit vergangen, Anton ist nicht mehr sechs, sondern sieben Jahre alt. Auf seinem Geburtstagstisch liegen zwei längliche Päckchen und welche Überraschung sich dahinter verbirgt, wird nicht verraten. Nur so viel: Anton hat auch mit sieben Jahren noch Zeit für alles Wichtige im Leben. Gut so.
Titelangaben
Meike Haberstock: Anton hat Zeit: Aber keine Ahnung warum
Hamburg: Oetinger 2015
108 Seiten. 12,99 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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