Spaniens Unglück

Roman | Almudena Grandes: Inés und die Freude

Almudena Grandes ist eine der wichtigsten Stimmen der spanischen Gegenwartsliteratur. Seit einigen Jahren arbeitet sich die 54-jährige Autorin in ihren Romanen aus alternierenden Perspektiven an ihrem großen Lebensthema ab: dem Spanischen Bürgerkrieg mit all seinen blutigen Facetten. Ihr ebenso ambitioniertes wie gewagtes Projekt ist ein sechsbändiges Opus Magnum über dieses dunkle Kapitel der spanischen Geschichte. Zuletzt hatte sie einen neunjährigen Jungen namens Nino ins Zentrum ihres Romans ›Der Feind meines Vaters‹ (dt. 2013) gerückt. Jetzt ist ihr neuer Roman ›Inés und die Freude‹ bei Hanser erschienen. Von PETER MOHR

Inés-Grandes
Als Roman »über Spaniens Unglück« hat Almudena Grandes ihr neues opulentes Erzählwerk bezeichnet. Wir befinden uns im Oktober 1944, mit der Landung der alliierten Truppen in der Normandie scheint sich ein Ende des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus in Europa abzuzeichnen. 4000 mutige Kommunisten dringen durch die Pyrenäen nach Nordspanien ein und wollen von dort den Kampf gegen das Franco-Regime initiieren. So weit der historische Kontext, in den Almudena Grandes ihre »fiktive Geschichte vor realem Hintergrund« eingebettet hat.

Im Zentrum steht die aus gutbürgerlicher, dem Franco-Regime zugeneigter Madrider Familie stammende Inés, die sich ausgerechnet in Galán, den Rebellen-Anführer, verliebt. Das führt zu heftigen familiären Turbulenzen. Inés’ Bruder ist ein überzeugter Falangist, dem offensichtlich jedes Mittel recht ist, um seine mutige und selbstbewusste Schwester zur Umkehr zu bewegen. Er holt sie aus dem Gefängnis und sperrt sie zwischenzeitlich in einem Dorfhaus in den Bergen ein. Die politischen Wirren verursachen tiefe Risse, die Familien und Dorfgemeinschaften vollends entzweien, Geschwister und Nachbarn zu gnadenlosen Feinden werden lassen.

»Zuerst beseitigen sie alle in ihrer Umgebung, die talentiert genug sind, um ihnen gefährlich zu werden, und anschließend vermissen sie deren Glanz«, heißt es stark simplifizierend über Francos Methoden. Almudena Grandes, deren Sympathien für die Republikaner unübersehbar sind, neigt in diesem allzu stark ausufernden Roman ohnehin etwas zur plakativen Schwarz-Weiß-Malerei. Die Inés-Figur kommt wie eine moderne Ikone daher. Warum sie sich letztendlich den Republikanern angeschlossen hat, erschließt sich nicht wirklich. War es tatsächlich politische Überzeugung, oder wollte sie nur anders sein als ihr konservativer Familienclan?
Es ist aber – angesichts weiterer in der Handlung auftretender unkonventioneller Liebespaare – nicht einmal ausgeschlossen, dass sich die Rebellin Inés stärker von Galáns erotischen Reizen als von den politischen Zielen der Republikaner angezogen fühlte. Für eine so schillernd ausgemalte und extrem tugendhaft inszenierte Figur wäre es in diesem historischen Kontext fraglos ein nicht restlos überzeugendes Handlungsmotiv, das haarscharf an der Kitsch-Grenze vorbei geht.

Inés und die Freude liefert uns blutigen Bürgerkrieg, große Gefühle und schlimmen Verrat, verletzte Eitelkeiten und wie Seifenblasen zerplatzte revolutionäre Träume. Reichlich Stoff für große Romane, doch diesmal hat Almudena Grandes nicht die nötige Balance gefunden und sich in den vielen Handlungsnebensträngen verirrt. Herausgekommen ist dabei diesmal leider nicht vielmehr als üppig-wuchernde, fast 700 Seiten füllende erzählerische politische Folklore.

| PETER MOHR

Titelangaben
Almudena Grandes: Inés und die Freude
Aus dem Spanischen von Roberto de Hollanda
München: Hanser 2014
672 Seiten. 18,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ins Lot bringen

Nächster Artikel

Eine Liebeserklärung an die Ewige Stadt

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Konterfei der Scheinheiligkeit

Roman | Alois Brandstetter: Aluigis Abbild Inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Krieges bittet eine Witwe einen berühmten Maler um ein Porträt ihres seliggesprochenen Sohnes. Alois Brandstetters Briefverkehr zwischen Rubens und der Donna Marta Tana di Santena liest sich wie ein leicht ironisierendes Sittengemälde aus dem Barock, ein Wirrwarr aus Carpe Diem und Memento Mori. Doch so wie Aluigis Abbild nicht fertiggestellt wird, verliert sich auch der amüsierte Plauderton in barocken Nichtigkeiten. VIOLA STOCKER wird Zeugin einer Zerstreuung.

Der alte Herr Updike lässt grüßen

Roman | Michael Kleeberg: Vaterjahre Da ist er wieder, der bieder-selbstzufriedene Langweiler Charly (Karlmann) Renn aus Michael Kleebergs Roman Karlmann  (2007). Den »Karlmann« aus den 1980er Jahren, auf diesen altfränkischen Vornamen hatte ihn sein hanseatischer Vater einst taufen lassen, hat Renn längst hinter sich gelassen. Er ist älter geworden, hat das von seinem Vater geerbte Autohaus versilbert, ist in zweiter Ehe mit einer fürsorglichen Ärztin verheiratet und inzwischen Vater von zwei Kindern. Nun legt Michael Kleeberg den neuen Roman ›Vaterjahre‹ vor. Von PETER MOHR

Was ist ein Leben in Reichtum wirklich wert?

Roman | Elena Chizhova: Die Terrakottafrau Was macht ein gutes Leben aus: Es ist nur das Geld? Oder spielen Freundschaft, Familie und ein reines Gewissen eine größere Rolle? Und wie wichtig ist Freiheit? Elena Chizhova stellt in ihrem Roman ›Die Terrakottafrau‹ die ganz großen Fragen. Es ist ein tiefgründiges Werk über Gewissen und Moral und über die Entscheidung, wen man sehen möchte, wenn man in den Spiegel blickt. Es geht um die Kraft der Literatur, um Familie und Freundschaft und die Vermischung von beidem, und es geht um Geld. Beziehungsweise um die Frage, welche Opfer man dafür zu bringen bereit

Im Auftrag der »Abteilung«

Roman | Andreas Pflüger: Endgültig Andreas Pflüger kennt man vor allem als Drehbuchautor. Mehr als zwanzig ARD-Tatorten haben seine Ideen zur Bildschirmpräsenz verholfen. Auch Theaterstücke und Hörspiele stammen aus der Feder des 58-Jährigen. Romane freilich gibt es von ihm bisher nur zwei: Operation Rubikon von 2004 und nun, in diesem Jahr, Endgültig. Das soll sich freilich ändern. Denn die Geschichte um die blinde Ermittlerin Jenny Aaron sei noch lange nicht zu Ende erzählt, bekundet ihr Erfinder im Nachwort zu seinem Roman. Von DIETMAR JACOBSEN

Schreiben, um zu verstehen

Roman | Javier Cercas: Die Erpressung

Auf den ersten Blick kommt der neue Roman des 60-jährigen Spaniers Javier Cercas wie ein Kriminalroman daher. Je tiefer man allerdings in die Handlung eindringt, öffnen sich brisante hochpolitische Türen. Von PETER MOHR