Kulturbuch | Mueller-Haagen / Simonsen / Többen: Die DNA der Stadt
»Sie werden alle Städte, die Sie von nun an besuchen, besser verstehen«, heißt es in dem Vorwort der Verleger. Ein Versprechen, das die Architekten Inga Mueller-Haagen, Jörn Simonsen und Lothar Többen einhalten. Sie zeigen Städte, wie sie nur selten zu sehen sind, im Schwarzplan, ihrer ehrlichsten Form. Von STEFFEN FRIESE
Wer nicht zufällig auch Architekt ist oder sich beruflich mit Stadtgrundrissen auseinandersetzt, wird wahrscheinlich von einem Schwarzplan noch nie etwas gehört haben. Stadtplaner setzen ihn häufig ein, um städtische Strukturen zu analysieren, zeigt er doch in einfachster Form – schwarz auf weiß – die tatsächlichen Umrisse der vorhandenen Gebäude. Auf alle übrigen (überflüssigen) Details verzichtet der Schwarzplan in seiner Darstellung, sodass Freiflächen wie Flüsse, Straßen und Berge weiß bleiben.
100 deutsche Städte hat das Lübecker Trio auf diese Weise im einheitlichen Maßstab von 1:20000 analysiert, immer mit dem Ziel, deren Entstehung auf den Grund zu gehen, gewissermaßen ihre DNA zu entschlüsseln. Der Schwarzplan zeigt nämlich nicht nur das einzigartige Muster der Bebauung jeder Stadt, sondern lässt auch Rückschlüsse auf deren Geschichte und die Entwicklung zu.
Die größte und die kleinste Stadt
So lernen interessierte Spurensucher die Städte zu lesen, deren Ursprung zu finden und bestimmte Grundrisse zu erkennen. Allein gelassen werden sie dabei nie. Die wichtigsten Merkmale und Auffälligkeiten eines Plans stellen die Autoren jeweils vor und geben Anregungen, wonach zu suchen es sich lohnt. Markante Muster bilden beispielsweise die Blockstruktur im Prenzlauer Berg in Berlin, das Französische Viertel in Tübingen oder die orthogonalen Raster Friedrichstadts.
In ihre Auswahl haben Mueller-Haagen, Simonsen und Többen nicht nur die bekannten Metropolen, sondern auch kleinere Städte mit nicht minder interessanten Grundrissen aufgenommen. So ist auch der Schwarzplan von Arnis in Schleswig-Holstein, das im Prinzip aus nur einer Straße besteht, zu bestaunen. Mit nur rund 320 Einwohnern ist Arnis die kleinste Stadt der Republik.
Viele potentielle Reiseziele
Den Autoren gelingt es, den Blick auf die Stadt zu ändern, sie mit anderen Augen zu sehen. Selbst in den Plänen von Orten, die einem bekannt zu sein scheinen, lassen sich neue Strukturen entdecken. Das Rüstzeug, das dem Leser in puncto Stadtbaugeschichte und Stadtbausteinen auf den ersten Seiten des Buchs an die Hand gegeben wird, ist wie die Anmerkungen zu den einzelnen Plänen in ansprechendem Stil verfasst und runden zusammen mit der hochwertigen Gestaltung den gelungenen Band ab. Bleibt also nur noch die Frage, welche Stadt als nächstes bereist werden soll?
| STEFFEN FRIESE
Titelangaben
Inga Mueller-Haagen, Jörn Simonsen, Lothar Többen: Die DNA der Stadt
Ein Atlas urbaner Strukturen in Deutschland
Mainz: Verlag Hermann Schmidt, 2014
264 Seiten, 68 Euro