//

Die Regie drückt ein Auge zu

Film | Im TV: ›TATORT‹ Das Haus am Ende der Straße (HR), 22. Februar

Durch einen Querschläger wird ein kleines Mädchen tödlich verletzt. Vor Gericht wird der Täter allerdings freigesprochen, weil der Anwalt die Aussage von Kommissar Steier, der in der Nacht vor dem Einsatz ausgiebig gezecht hatte, infrage stellt. Steier ist außer sich. Er quittiert den Dienst und verfolgt Nico Sauer, der die tödlichen Schüsse abgegeben hatte. Von WOLF SENFF

Foto: ARD / HR / Degeto / Bettina Müller
Foto: ARD / HR / Degeto / Bettina Müller
Nun überschlagen sich die Ereignisse. Eindrucksvolle Bilder aus der Junkie- und C-Kriminellen-Szene. Nico plant mit seinem Bruder Robin und dessen Freundin Lisa einen Einbruch, dessen Ausführung jedoch verunglückt, zum Schluss ist eine Leiche zu entsorgen, das Geschehen ist stark abschüssig und steuert auf den ultimativen Abgrund zu.

Handlung wird psycho

›Das Haus am Ende der Straße‹ war bereits Schauplatz der Eröffnungsszene. Der Film balanciert einen düsteren Realismus, die Figuren bewegen sich jenseits zivilisierter Gepflogenheiten, dieser ›TATORT‹ bedient die klassische Tradition des ›film noir‹, auch die Aufklärung hat längst die gesetzeskonformen Bahnen verlassen.

Steier will »Held in meinem eigenen Film« sein. Klar, dass der Tod des Mädchens nicht ungesühnt bleiben darf! Steier wird zum privaten Ermittler, das Geschehen hat sich inzwischen in das Haus des Nachbarn (Nachbar des Einbruchobjekts) verlagert, das Geschehen wird psycho gefärbt.

Ein suizidaffiner Nachbar

Der Ablauf ist so furchtbar unprofessionell, so zufallsgesteuert, die Dinge werden so dilettantisch gehandhabt, dass das beteiligte Personal sich nur tiefer ins Elend verstrickt, nein, hier ist niemand Held im eigenen Film, davon kann keine Rede sein.

Der Nachbar, bereits im Vorspann in einigen Bildern vorgestellt, steckt ebenfalls im tiefen Sumpf des Lebens, suizidaffin, aber versagt auch dort im praktischen Vollzug. Einige Szenen sind drastisch, auch erschütternd, und dennoch gibt es Momente, in denen man sich fragt, ob man denn lachen oder weinen soll.

Sackgasse II

So etwa während der Einblendung des neuen Chefs Schwarzenbacher, privat ganz auf der Höhe der Zeit in Schwulenehe lebend, gutbürgerlich, zwei Söhne, der sich um einen Abschiedsempfang für Steier sorgt. Es ist hohe Kunst, das Geschehen so in der Schwebe zu halten, dass wir uns fragen, wie ernsthaft diese Bilder gezeichnet werden und ob sich nicht – es sei denn dass Geld in Reichweite läge – doch eine Atmosphäre der Gleichgültigkeit, der Ziellosigkeit wie Mehltau über alles ausbreitet.

Denn auch die Eroberung des nachbarschaftlichen Terrains führt das Einbrechertrio nicht ins Freie, sondern lediglich in eine neue Sackgasse, in ein neues Gefängnis. Wie gesagt, das Geschehen wird psycho, spätestens als Steier eingreift, nach einem runden Drittel des Films. Und nein, es kann gar kein gutes Ende geben, zumal sogar der Wunsch, »ich könnte alles wiedergutmachen«, folgenloses Gestammel bleibt.

Steier gespiegelt

›Das Haus am Ende der Straße‹ ist kein Film, der uns in Partylaune versetzen würde. Aber er ist ein gelungener Film, der uns zeigt, wie brüchig der Zusammenhalt ist und wie gestört das Leben in manchen Bereichen.

Der Nachbar übrigens, selbst einst Polizist gewesen, ist köstlich, aber eine tragische Figur. »War’n Sie gern Polizist?« – »Bin ich gerne Mensch? Manche Sachen«, sagt er, »die wird man einfach, die sucht man sich ja nicht aus«. Er wird zu einer Parallelfigur für Steier, zu einem Spiegel. »Ich hab versucht mein Leben in den Griff zu kriegen, hat nicht geklappt. Hat nicht geklappt.«

Die Messlatte liegt weit oben

Exakt in dieser Lage ist Steier, nur dass er das Ergebnis nicht kennt, doch wir werden es kennenlernen. Was den Schluss angeht, also die Festnahme der Schuldigen, hält sich das Drehbuch einen Ausweg offen, die Regie drückt ein Auge zu, und vermutlich ist das ein gangbarer Weg, Störungen auszuräumen, Verwerfungen zu überbrücken.

›Das Haus am Ende der Straße‹ ist ein unbedingt sehenswerter Film. Aber leider steht Joachim Król als Ermittler nicht länger zur Verfügung, und man darf neugierig sein, ob das Nachfolge-Team den hohen Standard halten wird.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Das Haus am Ende der Straße (HR)
Ermittler: Joachim Król
Regie: Sebastian Marka
Sonntag, 22. Februar, 20:15 Uhr, ARD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Raus!

Nächster Artikel

Ghost Culture and the art of imperfection

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

»Suchen Sie was, oder erinnern Sie sich gerade?«

Film | Im TV: ›TATORT‹ – 905 Der Fall Reinhardt (WDR), 23. März und Die Fahnderin (WDR/NDR), 26. März Ungewöhnlich. Aber so kann man fragen, ja, und in diesem Fall passt es sogar. Es geht um eine retrograde Amnesie, die sich nach und nach aufhellt, die Erinnerung kehrt zurück und eine zutiefst verzweifelte Situation stellt sich ein, drei Schritt schon überm Abgrund, wie weit kann man ins Verderben laufen, aber schlussendlich gibt’s Pillen und wirst sediert. Das wär’s fast schon. Von WOLF SENFF

Die Mitschuld tragen alle

Film │Im Kino: ›Spotlight‹ Gradlinig und doch verworren, weder Helden noch greifbare Feindbilder, aufwühlend und zugleich distanziert: ›Spotlight‹ ist ein Film, der nicht gesehen werden möchte. Aber der gesehen werden muss. Weil das Drehbuch auf wahren und immer noch aktuellen Begebenheiten beruht und weil Tom McCarthy diese Ereignisse brillant aneinanderreiht. Von der Academy of Motion Picture Arts und Sciences wurde der Mut, eine Geschichte zu verfilmen, die nicht das große Geld an den Kinokassen verspricht, aber in den gesellschaftlichen Diskursen der Kirche, des Journalismus und der individuellen Verantwortung notwendig erscheint, mit dem Academy Award, dem Oscar, ausgezeichnet. Zu Recht findet

Für Rührseligkeit bleibt keine Zeit

Film | TV: TATORT – Auf ewig Dein (WDR), 2. Februar Da schickt sie, schwanger, den Papa in spe nach Hause, und als er die Tür hinter sich schließt, bricht sie heulend zusammen. Schnitt, nächster Tag: Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske) sitzen nebeneinander im Dienstwagen. Hat jemand behauptet, dass TATORTe Krimis seien? Man darf das nicht missverstehen. Wenn sie gut sind, führen sie uns in künstlerischer Dichte vor, wie die Dinge sich abspielen im Leben, im Alltag. Fünfundvierzig Filmminuten später die Versöhnungsszene – es pendelt hin und zurück, für Rührseligkeit wird keine Zeit verplempert. Von WOLF

Oktoberzeit war Leidenszeit

Film | Im TV: Polizeiruf 110 – Eine mörderische Idee Wir werden das Rad neu erfinden! Vorbei. Nach den experimentellen Probebohrungen der ersten Oktoberhälfte nun wieder Sonntagabendkrimi der feineren Art. Konservativ gefilmt, zügige Wechsel, weder Rückblenden noch überlappende Dialoge, paar ineinander verschachtelte Szenen fallen kaum auf, das Geschehen läuft eins nach dem anderen, irrlichternde Ermittler sind nicht vorgesehen. Ein Film, der statt von dramaturgischem Dekor und ausufernder Originalität von nüchterner Handlung lebt. Geht also noch. Von WOLF SENFF

Das Geld wird knapp, man sieht’s mit Bedauern

Film | Im TV: Tatort 900 – Zirkuskind (SWR), 16. Februar »Phönizische Kunst, ungefähr fünftes bis drittes Jahrhundert vor Christi. Wenn die Funde aus dieser Epoche stammen und so gut erhalten sind, reden wir wohl über mehrere Hunderttausend Euro.« Weshalb werden eigentlich für steinalte, halb zerdepperte Gegenstände dermaßen hohe Beträge hingeblättert? Bestimmt hat jemand, weil Denken oft hilft, mal darüber nachgedacht. Von WOLF SENFF