Ein Mann, eine Frau und ein Hund entfernen sich nach hinten in die öde Landschaft eines Hafens. Es sind Bilder wie dieses, die die Magie einer Filmkunst prägen, die nahezu ausgestorben und fast vergessen ist. Das Primat der Aktion, der aggressiven Bewegung hat, was man Atmosphäre nannte, verdrängt. Von THOMAS ROTHSCHILD
Le quai des brumes (Hafen im Nebel) von 1938 ist eins der zentralen Werke jener Filmrichtung, für die sich der Name »poetischer Realismus« eingebürgert hat, aber auch der französischen Variante des »film noir«.
Als »film noir« darf der Klassiker von Marcel Carné wegen seiner akzentuierten Hell-Dunkel-Kontraste der schwarz-weißen Bilder und wegen seiner düsteren Stimmung gelten. Der tragische Ausgang, das Gegenteil also des »happy end«, ist von der ersten Einstellung her vorausahnbar.
Realistisch ist der Film in der Konzentration auf die Außenseiter, die Verlierer jener Gesellschaft, deren Sonnenseiten zuvor und auch später wieder das Hollywood-Kino bevorzugt hat. Poetisch ist die Art, wie er dieses Milieu zeigt – mit Elementen des Märchens, der Ballade, des Melodrams.
Kein anderer wurde so sehr mit dem Typus des Arbeiters, des wenig beredten, aber empfindsamen Mannes aus der Unterschicht identifiziert wie Jean Gabin. In Hafen im Nebel spielt er einen Deserteur, der das Land verlassen will und sich kurz davor in ein Junges Mädel verliebt.
Dieses Mädel verkörpert die damals tatsächlich noch blutjunge Michèle Morgan, ihren von allen gehassten Vormund, der sich selbst einen Blaubart nennt, Michel Simon und den feigen Bösewicht Lucien Pierre Brasseur. Ein Ensemble von legendären Menschendarstellern jener Epoche.
Der unverschnörkelte, einer inneren Notwendigkeit folgende Handlungsablauf nimmt in gewisser Hinsicht den Existentialismus der vierziger Jahre, seine pessimistische Weltsicht vorweg. Zugleich sind die Liebesszenen in ihrer naiven Direktheit von einer anrührenden Melancholie, die an Franz Molnars Liliom erinnert. Vier Jahre zuvor hatte Fritz Lang dieses Bühnenstück in Frankreich verfilmt.
Nicht unerwähnt sollte man jene Namen lassen, die ebenfalls Filmgeschichte geschrieben haben, gemeinhin aber hinter den Namen der Schauspieler und Regisseure verschwinden: Das Bühnenbild für Hafen in Nebel schuf Alexander Trauner, der auch an anderen Filmen Carnés einen nicht zu unterschätzenden Anteil hatte, die Kamera führte der aus Deutschland emigrierte Eugen Schüfftan.
In der Reihe Arthaus Retrospektive ist eine vorzüglich restaurierte Fassung als DVD erschienen. Ein besonderes Weihnachtsgeschenk für jeden, der die Geschichte des Kinos nicht weniger liebt als seine Gegenwart.
Titelangaben
Hafen im Nebel
Arthaus
Darsteller: Jean Gabin, Michel Simon Michèle Morgan