Scharfe Lichter auf Novemberliches

Oper | Claude Debussys Pelléas et Mélisande an der Oper Frankfurt

Neuinszenierungen des Meisterwerks Pelléas et Melisande waren in Claude Debussys Jubiläumsjahr (man feiert 2012 seinen 150. Geburtstag) zwar nicht selten, aber die novemberliche in Frankfurt am Main dürfte zu den spannendsten gehören. Von HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Oper Frankfurt - Monika Rittershaus
Oper Frankfurt – Monika Rittershaus
So recht ein Novemberstück mit dem verhangenen, düster symbolistisch schattierten Text von Maurice Maeterlinck, der, gewissermaßen in einem psychologischen Labor, Personen aus vier Generation auf engem Raum (Begünstigte in einer Schloss-Sphäre, umgeben von Hunger und Armut) zeigt, die aufeinander angewiesen und doch einander seltsam fremd sind. Bei aller Subtilität der durchleuchteten Beziehungen bleiben die Charaktere doch auch unbestimmt als vom »Schicksal« geführte Marionetten – unfreiwillig getrieben in Gewaltsamkeiten wie der an die Schmerzlust seiner Eifersucht gekettete Golaud; als entrücktes Schemen von Altersweisheit das ihn umgebende Entsetzen kommentierend wie König Arkel; in unentrinnbarer erotischer Anziehung aufeinander fixiert schließlich das Titelpaar.

Debussys Musik, mit einer kleinen Anzahl prägnanter »Leitmotive« arbeitend, transformiert zwei ganz verschiedene Einflüsse souverän zu einem luziden Personalstil: die ins Diskrete gewendete späte Wagner-Feierlichkeit des Parsifal und den epischen Fluss der musikalischen Erzählweise Mussorgskijs, die er (zeitweise Hauslehrer in Russland) früher kennenlernte als andere Westeuropäer. Boris Godunow wurde in Paris erst sieben Jahre nach der Uraufführung der Debussyoper (sie fand 1902 statt) bekannt.

Unter den aktuellen Opernszenikern hat Claus Guth eine starke, eigenwillige Handschrift, und so war es klar, dass der Frankfurter »Pelléas« besondere Akzente setzte. Maeterlincks Symbolismus und Debussys Dezenz (Forte-Stellen sind in der Partitur rar; dramatische Erhitzungen geschehen meist schnell und lakonisch) waren oft Anlass zu skizzenhaft-vagen Rollendarstellungen vor dunklen Hintergründen. Guth hat es mit der Genauigkeit. Latente, untergründige Spannung wird bei ihm manifest. Dabei kommt es auch zu Übertreibungen. So wird der eigentlich als grundgütig imaginierte greise Arkel (er stanzt laufend Sinnsprüche à la »Wenn ich Gott wäre, ich hätte Mitleid mit den Menschen«) zunächst eher als knurrig-knorrig und mit seinem die Familienangehörigen verweisenden und bedrohenden unvermeidlichen Knotenstock als Wüterich dargestellt (aristokratisch und stimmlich diszipliniert: Alfred Reiter).

In rasch echauffierter Cholerik überzeugender, ungeachtet seiner chevaleresken Eleganz zum sadistischen Monster sich auswachsend: der Golaud von Paul Gay. Der mit der vokalen écriture zwischen Tenor und Bass changierende Pelléas ist eigentlich eine minder interessante, mehr passive Figur. Christian Gerhaher machte ihn in der Sicht Guths zu einer beklemmenden Studie, einem seine Glücksmomente mit Mélisande aus allerlei Verkniffenheiten, Ausweichmanövern, Deviationen schöpfend. Die berühmte Rapunzelszene mit dem Spiel um die aus dem Turmfenster herabhängenden langen Haare Melisandes interpretieren Guth und Gerhaher weniger als ein »romantisches« Bild von noch nicht gewagter körperlicher Erreichbarkeit, mehr als Haar-Fetischismus, dem sich Pelléas mit der an einen Stuhl gefesselten Mélisande in timider Nervosität hingibt.

Gerhahers Diktion ist nuancenreich und immer wieder auch kraftvoll-blühend. Notorisch zigarettenrauchend, exponiert sich Mélisande eindeutig als femme fatale oder, wie es früher hieß, »Frau mit Vergangenheit«, wobei die Vergangenheit im clair obscure bleibt. Die mühelos und geschmeidig ihre Kantilenen verströmende Christiane Karg (Christian und Christiane – welch »schicksalsgegebener«Romanzentitel) war in den zahlreichen amour-fou-Situationen mit Pelléas die Aktive, Fordernde. Sehr schön und »poetisch« der ins Imaginäre entgleitende Opernschluss – nicht mit der Wöchnerin Mélisande auf dem Totenbett, sondern, Mélisande als »Seele« das Gehäuse des Lebens-Unglücks verlassend und sich im undefinierten Raum mit dem (ebenfalls längst toten) Geliebten treffend – und ihn aber doch wieder knapp verfehlend. Geradezu sensationell war die Verkörperung des Kindes Yniold (der Hauptperson in der packenden, aber auch grauenhaften »voyeuristischen« Szene mit Golaud am Schluss des dritten Aktes) mit dem musikalisch märchenhaft sicheren, fast während des ganzen Stückes – natürlich auch mit seiner sonst meist gestrichenen Soloszene im vierten Akt – präsenten Mainzer Domsingknaben David Jakob Schläger.

So plausibel der Opernschluss im Dunkel ist: die allzu abrupte Zweiteilung der szenischen Orte (Bild: Christian Schmidt) wollte nicht ganz einleuchten. Zwischen Interieur und Exterieur gibt es im Stück eigentlich kein Imaginations-Gefälle. Dies aber wurde etwas willkürlich suggeriert durch den Gegensatz einer penibel realistischen häuslichen Inneneinrichtung und einem leeren, schwarzen »Landschafts«-Raum.

Mit Friedemann Layers feinfühligem, aber auch die seltenen Aufbäumungen mit Akkuratesse zum Klingen bringenden Dirigat bestätigte sich der Rang dieser Aufführung. Gewiss nicht das letzte Wort in Sachen geheimnisvoller und tiefgründiger Pelléas et Mélisande-Interpretation. Aber, mit den beherzten Nachdrücklichkeiten der Hauptrollenzeichnungen, nicht zuletzt mit der Eleganz, Rasanz und Perfektion des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, ein scharfes Licht auf das sonst allzu gerne in grauer Verschwommenheit angesiedelte lyrische Drama.

Foto: Christiane Karg (Mélisande) und Christian Gerhaher (Pelléas); Copyright Monika Rittershaus

| HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Messerscharfes Vergnügen

Nächster Artikel

Vor den »Kindern des Olymp«

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Täuschen und Blenden

Bühne | Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

»Mehr Schein als Sein« – dieses geflügelte Wort ist dem ein oder anderen sicherlich bekannt. Auch auf das Wesen eines Hochstaplers trifft das zu, versucht er doch auf charmante Art und Weise anderen falsche Tatsachen vorzuspielen und sie zu manipulieren. ›Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull‹ von Thomas Mann ist ein Beispiel dafür, wie der weitverbreitete Narzissmus in unserer Gesellschaft Menschen zu teils lächerlichen Marionetten werden lässt, die durch Manipulation gesteuert werden und sich am Ende ihre eigenen Lügen selbst nicht mehr glauben. Von JENNIFER WARZECHA

Ein ganz normaler Tag

Bühne | Alltagsmonologe im Theater das Zimmer

Was haben eine deutsch-türkische Haushaltshilfe, Badekugeln und ein Männerwochenende gemeinsam? Den Verwandlungskünstler Dominik Velz. Von MONA KAMPE

Galileo!

Bühne | Theater: Ich bin nicht Mercury

Eine Coverband hat ihre letzte Probe vor der Studioaufnahme. Sie interpretiert Songs von Queen. Man ist sich noch nicht einig, ob man sie neu interpretiert oder doch lieber original singt. Nach und nach entfalten sich die Charaktere auf ihre völlig eigene, allerdings im Kontext Mercurys nicht sonderlich überraschende, Art und Weise. ANNA NOAH taucht erneut in ein Queen-Song-Potpourri ein.

Wissen Sie wirklich ›Alles über Liebe‹?

Bühne | Theater das Zimmer (Hamburg): Alles über Liebe Anna und Carlos stehen vor ihrem eingefahrenen Ehe-Alltag. Eine Therapie soll ihnen helfen, sich wieder anzunähern. Doch es kommt ganz anders als erwartet – denn die (ur)komische Gesprächspartnerin lebt selbst in ihrer verrückten Welt. Von MONA KAMPE

Man(n) ist sprachlos

Bühne | Bodyrule im Hamburger Sprechwerk Übergriffigkeit, Schweigen, Schuld. Die MeToo-Debatte hat viel aufgewirbelt – doch nicht genug. Das weiß man(n), wenn man das neue Stück von Denise Stellmann sieht. Ein persönlicher Eindruck von MONA KAMPE