/

Ein Schauspieler ohne Zuschauer

Roman | Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit

»Man muss sie lieben, die Bedeutungslosigkeit, man muss lernen, sie zu lieben«, verkündet Ramon, eine der Hauptfiguren in Milan Kunderas neuem Roman ›Das Fest der Bedeutungslosigkeit‹ – das erste größere Erzählwerk des 1929 in Brünn geborenen und seit den 1970er Jahren in Frankreich lebenden Autors seit 2001. Damals hatte sich Kundera in ›Die Unwissenheit‹ noch mit seinem eigenen Schwellendasein zwischen den Kulturen beschäftigt, hatte seine Figuren Irena und Josef mehr aus Neugierde denn aus echtem Heimweg nach langer Zeit von Frankreich nach Prag zurückgeschickt. Von Peter Mohr

Kundera_24763.inddKundera selbst hat sich schon früh aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, seit fast dreißig Jahren gibt er nur noch schriftliche Interviews, weil er sich oft falsch zitiert fühlte. Der große Künstler hat den Weg in eine Art »innere Emigration« gewählt, aus der er sich nun mit einem verspielten, rätselhaft inszenierten Erzählwerk noch einmal zu Wort meldet.

Eine Gruppe älterer Herren trifft sich auf einer Party. Es sind seltsame Figuren, die Kundera aufeinander treffen und miteinander schwadronieren lässt: Ramon, ein emeritierter Professor, der sich eine Chagall-Ausstellung ansehen will und stattdessen über die »Dämmerung der Scherze« referiert; Charles, der Anekdoten über Stalin und dessen fragwürdigen Humor verbreitet; Gastgeber Alain philosophiert über weibliche Reize und Modetrends, über Busen und Oberschenkel, Hintern und Nabel; Caliban, ein arbeitsloser Schauspieler, fungiert als Alains Adlatus und bedient die anderen Gäste; Quaquelique ist ein in Ehren ergrauter Frauenschwarm, D’Ardelo gibt sich als todkranker Krebspatient aus, und drum herum drapiert Kundera ein halbes Dutzend mehr oder weniger scharf konturierte Frauenfiguren. Die Senioren tun das, was sie auch als junge Männer auf Partys bevorzugt taten: die hübschen Frau taxieren – allerdings nun unter anderen Vorzeichen.

Das Erinnern, das rückwärtsgewandte Denken, das anekdotenhafte Verbiegen der Vergangenheit dominiert in dieser skurrilen Runde. Viele philosophische Apercus werden mit schwarzem Humor vermischt. Da ist von Michail Iwanowitsch Kalinin (1875-1946) die Rede, der formell als sowjetisches Staatsoberhaupt fungierte, aber realpolitisch überhaupt keine Rolle spielte. Er hielt keine langen Reden, weil er unter Inkontinenz litt, und die aus seinem körperlichen Manko resultierenden Pausen soll er mit Musik und tanzenden jungen Mädchen überbrückt haben.

Und vielleicht verbirgt sich hinter dieser teilweise humorvoll-komischen Auseinandersetzung mit der Geschichte und politischen Unrechtssystemen auch eine Form der Abarbeitung einer persönlichen Schuld. Im Jahr 2008 war Kundera, Autor des Weltbestsellers ›Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins‹ (1984),  verdächtigt worden, als 20-Jähriger einen antikommunistischen Aktivisten bei der Polizei denunziert zu haben. Zumindest liegt die Vermutung nahe, dass mehr autobiografische Substanz im Buch steckt, als man beim ersten flüchtigen Lesen vermutet. »Schweigen erregt Aufmerksamkeit. Es kann beeindrucken. Dich rätselhaft erscheinen lassen. Oder verdächtig«, heißt es im Text.

›Das Fest der Bedeutungslosigkeit‹ ist ein spielerisches Buch der großen Gegensätze – von Liebe und Hass, von Tragik und Komik, von Wahrheit und Lüge, von Aufrichtigkeit und Selbsttäuschungen. Trotz der philosophischen Gedankenschwere kommt Milan Kunderas neuer Roman seltsam leicht und bisweilen sogar humorvoll daher. Vermutlich liegt es einzig daran, dass der gealterte, gelassener gewordene Romancier Kundera aus dem übermächtigen Schatten des jungen, bisweilen überintellektuellen Autors Kundera heraustreten wollte und ihn mit den Waffen der Selbstironie zu besiegen versuchte. Im Alter arrangiert sich man sich augenscheinlich immer stärker mit der Bedeutungslosigkeit des eigenen Handelns. »Er war ein Schauspieler ohne Zuschauer geworden«, heißt es über den larmoyanten Caliban, der in der Runde vorgab, kein Wort zu verstehen und eine eigene, geheimnisvolle Sprache zu sprechen. Er scheint in diesem Buch der geheimnisvolle Seelenverwandte des in die Jahre gekommenen Milan Kunderas zu sein.

| PETER MOHR

Titelangaben
Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit
Aus dem Französischen von Uli Aumüller
München: Carl Hanser Verlag 2015
140 Seiten. 16,90 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

5 vor 12

Nächster Artikel

Anmerkungen zu Michel Houellebecq

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Sut mahnt

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sut mahnt

Leichen zu zergliedern, ein ungewöhnliches Thema, ob es mit Organspenden zu tun habe, das habe den Menschen immer schon beschäftigt, weshalb, man möchte darüber gar nicht nachdenken, sagte Sut, die Tatsachen seien abgründig, bewegten sich in erschreckend anderen Welten, stellt euch vor, man versetzte uns in ein anatomisches Theater, wie es einst üblich gewesen sei, ein Aufreger, Anatomie als ein Erkenntnisvorgang, die Zergliederung einer menschlichen Leiche als schauriges Event inszeniert, wohlige Gänsehaut, andere Zeiten, andere Sitten, ein kollektives Todesspektakel.

Sanctus konnte keine Sekunde länger zuhören.

Sogar Crockeye wandte sich ab.

Ekelhaft, sagte LaBelle.

Alle Jahre wieder

Kurzprosa | Literaturkalender 2025

Für die einen sind sie Zeitplaner und Taktgeber, für die anderen farbenprächtiger Wandschmuck oder tägliche Quelle der Inspiration und der (Wieder-)Entdeckungen: Literaturkalender. Wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken, wärmt ein poetischer Ausblick Geist und Herz. Nicht nur INGEBORG JAISER freut sich auf das kommende Jahr.

Gefühl

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gefühl

Das Rauschen des Ozeans klang wie von ferne zur Ojo de Liebre herüber.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Keine Ahnung, sagte Gramner, der Mensch der Moderne habe keine Ahnung, null, er stehe sprachlos vor einem Abgrund, man finde kaum eine andere Epoche, während der der Mensch dermaßen blind gewesen sei.

Der Ausguck stand auf, tat einige Schritte, löste sich in die Dunkelheit auf und schlug einen Salto.

Umbrüche

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Umbrüche

Nein, sagte Farb, man verstehe diese Welt nicht mehr, sie sei so rapide verändert worden, und es sei gar nicht sicher, daß der Mensch dem standhalte.

Er tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman gähnte.

Es sei gut, sagte er, daß der Mensch an seinen Gewohnheiten festhalte, unbeirrbar festhalte.

Annika lächelte. Niemand in der Stadt, sagte sie und warf einen liebevollen Blick auf Farb, backe besseren Pflaumenkuchen.

Sonne

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sonne

Unerklärlich, sagte Farb, aus welchen Gründen eine unscheinbare Begegnung tief im Gedächtnis haften bleibt.

Tilman rückte näher an den Couchtisch und suchte eine entspannende Sitzhaltung.

Anne schenkte Tee ein.

Ein alter Mann am Strand von En Bokek, sagte Farb, ein Greis, hoch in den Siebzigern, die Schwefelquellen südlich von En Gedi seien, hatte der Mann erklärt, so hochprozentig wie sonst nirgends auf dem Planeten, er suche sie zweimal wöchentlich auf, sagte er, er habe viele andere Orte kennengelernt, kein Vergleich, sagte er, nicht daß er lange Reden hielt, er wirkte wortkarg, seine Sätze blieben kurz, die Stimme leise, unaufdringlich, und zusätzlich, sagte er, arbeite das besondere Klima, er kenne keinen Ort, der dem auch nur annähernd gleichkomme, der Mann redete nachdenklich, besonnen, und nein, das würde kein Gespräch, nein.