Sobald er sich hinlegt, lang auf dem Sofa ausgestreckt, fällt ihm erst auf, wie müde er ist, nicht ermattet mit einer Sehnsucht nach tiefem Schlaf, nein, auch nicht jene Art Müdigkeit, daß ihm die Augen zufallen würden und er übergangslos einschliefe, traumlos, nein, es sei eine empfundene Müdigkeit, und verwundert nehme er wahr, daß sie sich über seinen Körper ausbreite, anfangs im Brustkorb, dann greife sie nach dem Kopf, schließlich über Schultern und Hüfte bis zu Händen und Füßen.
Was das sei, fragt er, Müdigkeit? Ach, es würden zur Zeit so immens viele Leute an der Sprache herumbasteln, sie sollten einmal darüber nachdenken, Worte für die diversen Zustände von Müdigkeit zu prägen.
Wer kenne nicht jene Art Müdigkeit, die der Trägheit nahekomme, man schleppe sie tagsüber mit sich herum, ohne sie loszuwerden, man spüre einen unüberwindlichen Widerwillen gegen disziplinierte Abläufe, und selbst wenn man sich in ein Café zurückziehe, hafte diese Empfindung wie eine Klette im Gemüt, oft sei sie ein Reflex der Witterung und heitere sich auf, sobald die Nebel wichen, es handle sich, wie er es verstehe, zum geringeren Teil um Müdigkeit, folglich hätte man gern ein eigenes Wort dafür, denn es sei offensichtlich, daß es sich nicht um die eingangs beschriebene empfundene Müdigkeit handle.
Ferner wäre jene Müdigkeit zu erwähnen, die dem Schlaf nachhänge und die wir beim Erwachen spüren würden, quasi als einen ausgeprägten Widerwillen, den Schlaf zu verlassen, ein trotziges Sträuben, verbunden mit dem Verlangen, einen süßen Traum fortzusetzen, ihn bis zum Ende zu träumen, man sei von einem Geräusch aus dem Schlaf gerissen worden, niemand habe das gern, man schalte das Mobiltelefon aus oder stelle den Wecker ab, drehe sich auf die Seite, suche erneut in den Schlaf einzutreten, jedoch der Schlaf verweigere sich, und es bleibe zumeist bei einem Zustand des Dahindämmerns, der als Halbschlaf bekannt sei und der noch die ersten Stunden des Tages als eine träge Müdigkeit begleite.
Auch kenne er jene Müdigkeit, die uns unvermittelt am hellichten Tag überfalle, grundlos, vielleicht daß man eine Tasse Kaffee zu viel trank, letztlich wisse man es nicht und sei ihr uversehens ausgeliefert, schlimmstenfalls stürze der Blutdruck ab, man suche nach Halt, da wäre es wichtig, Ruhe zu bewahren, sich zurück in den vertrauten Rhythmus des Atems zu begeben, es handle sich letztlich weniger um Müdigkeit denn um eine Begleiterscheinung unserer zuvilisierten Welt, einen, wenn man so möchte, Kollateralschaden, und auch dafür sollten unsere eifrigen Sprachbastler ein eigenes Wort zurechtlegen, denn diese besondere Müdigkeit sei durchaus alltäglich, und eine Sprache, fordern die Sprachbastler, die zeitgemäß bleiben wolle, müsse das Geschehen des Alltags präzise erfassen, eins zu eins, man lebe in einer Informationsgesellschaft, die Sprache müsse angepaßt werden.
Ein schwieriges Unterfangen, höchst anspruchsvoll, eine Herausforderung, das, was sonst naturwüchsig und weitgehend unbemerkt geschehen sei, nun in Menschenhand zu übertragen, man möge den Sprachbastlern den Rang von Ingenieuren zuerkennen, sie seien höchst umtriebig und hätten weitreichende Pläne, Sprachbasteln ist hip.
Lebensmüde, das sei doch wohl eher ein Stadium der Verzweiflung und habe mit Müdigkeit nur wenig gemeinsam, oder irre er sich, die Dinge seien stachelig und steckten voller Widrigkeiten.
Doch zurück – wie sei es möglich, fragt er, daß seine Müdigkeit, je länger er sie wahrnehme, an Wohlbefinden grenze, es fühle sich an, als genieße sein Körper sie als Entspannung, und rein gar nichts störe, er atme ruhig und balanciert, keine flüchtigen Gedanken drängten sich auf, nichts lenke ab, Stille breite sich aus.
Auch das also, resumiert er, sei strenggenommen keine Müdigkeit und werfe neue Fragen auf, nein, das erleichtere die überaus ambitionierte Arbeit unserer Sprachbastler keineswegs, die Präzision der Sprache, sagen sie, lasse zu wünschen übrig, absolut.