Rund 5000 Einwohner leben hier im Großherzogtum Luxemburg, ein kleines Dorf also, charmant gelegen im Dreiländereck Luxemburg, Deutschland und Frankreich: Schengen. Und hätte hier nicht die Internationale Politik Geschichte geschrieben, dann wäre dieses kleine Dorf an der Mosel sicher auch in seinem verträumten Schlaf geblieben.
Der Bildband ›Schengen‹ porträtiert diesen kleinen Ort mit dem großen Namen. Von BARBARA WEGMANN
»Hier in der Mitte Europas, wurde 1985 das erste Schengener Abkommen zur Abschaffung der innereuropäischen Grenzkontrollen von den fünf EU-Mitgliedern Frankreich, Deutschland und den Beneluxstaaten unterzeichnet«. Seither wurde das Abkommen erweitert, modifiziert, es erlangte weltweit Aufmerksamkeit und erntete aber auch viel Kritik, wie in der Flüchtlingskrise 2015. »Schengen«, dieser Ortsname steht aber nach wie vor für ein Europa, für offene Grenzen, für kontrollfreie Grenzübertritte, für Toleranz und Überstaatlichkeit. »Schengen ist klein, der Schengen-Raum groß«. Und er veränderte ganz Europa.
Ruth Stoltenberg wurde 1962 geboren und ist in diesem Dreiländereck aufgewachsen. »Historisch geprägte, verlassene oder im Umbruch befindliche Orte« sind ihr Arbeitsschwerpunkt als Fotografin und dies von Preisen und Büchern her höchst erfolgreich. Schenken kam da wie gerufen. Vieles, so schreibt sie im Vorwort, habe sich in ihrer Heimat verändert. Welchen Einfluss die Grenzöffnung auf diese Region hatte und hat, ob es noch nationale Identitäten gibt, oder ob die Region einen neuen »länderübergreifenden Charme« entwickelt hat, all dem geht die Künstlerin fotografisch nach, eine Spurensuche der besonderen Art. Für mich leider wenig überzeugend.
Menschen kommen in dem 112-seitigen kleinen Bildband selten vor, es sind die Straßen, die Gebäude, die Vorgärten, die alten Reklameschilder aus Vor-Schengen-Zeiten, das alte Wärterhäuschen mit deutscher und französischer Flagge beklebt, das nun als kleine Bücherstube fungiert. Aufnahmen aus Perl im Saarland und dem kleinen französischen Ort Apach vervollständigen die Impressionen rund um Schengen.
Sie stimmen allerdings nicht gerade optimistisch, all diese Bilder, meist ohne Menschen, mit vielen Hauswänden, so kahl, wenig aussagekräftig, bis auf Ausnahmen ist da Leere, Einsamkeit, Leblosigkeit. Alles erscheint verlassen, einsam. Ruth Stoltenberg lässt zudem den Betrachter mit den Bildern allein, kein Kommentar, keine Erklärung, keine Einordnung, keine Geschichten.
Einen Effekt aber hat das Buch, zumindest auf mich: Es zeigt, dass Schengen, selbst in Krisenzeiten, wie der Flüchtlingskrise 2015 oder fünf Jahre später der Covid-19-Pandemie als Symbol für internationale Gemeinschaft steht, für Grenzen überschreitendes politisches, kulturelles, soziales Miteinander. Schengen ist alles andere als ausgestorbene Gassen, einsame Plätze oder runtergekommene Hausfassaden. Schengen ist eigentlich gar kein Ort, es ist ein Gedanke, eine Lebensweise, und es ist stets Zukunft. Es sind die hier fehlenden Menschen, die Schengen und die Idee mit Leben füllen müssen.
Da darf der kleine Ort selbst, dieses beschauliche Örtchen Schengen ruhig weiter bekannt bleiben als Örtchen an der luxemburgischen Weinstraße. Schengen ist schließlich immer einen guten Tropfen wert.
Titelangaben
Ruth Stoltenberg: Schengen
Kehrer Verlag 2018
112 Seiten, 29,90 Euro
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