//

Ausweglos

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ausweglos

Walfang ist unsere tägliche Routine.

Wie meinst du das, Thimbleman?

Wir sind Teil einer Produktionskette, verstehst du, Ausguck, wir liefern die Energie, die erforderlich ist, um die Abläufe in der Stadt zu sichern – Licht  in den Straßen, Schmierfett für Achsen, etc. Ohne uns sähe es schlecht aus.

So reden sie alle.

Du nicht?

Wer ist dieser Termoth?

Der Navajo? Er kommandiert die ›Marin‹ und hat die Aufsicht über das Flensen.

Ich weiß, Thimbleman. Es heißt, er genießt in der Stadt hohes Ansehen?

Besonders unter den Goldgräbern, ja, das ist äußerst ungewöhnlich. Er erzählt gelegentlich in den Spelunken der ›Barbary Row‹ und findet dort jedesmal ein wohlgesonnenes Publikum.

Was weiß man sonst von ihm?

Du bist neugierig, Ausguck. Er gilt als ein Heiler, ein Schamane, und man sagt, er werde zu seinem Volk zurückkehren, sobald dieses wieder in den alten Stammesgebieten siedle. Er warte darauf, daß die Dinge ihre ursprüngliche Ordnung annehmen.

Da wird er viel Geduld aufbringen müssen.

Man könne der Natur Gewalt antun, sagt er, doch wer der Natur Schaden zufüge, werde darunter zu leiden haben. Der Weiße Mann, sagt Termoth, sei aggressiv und betreibe Raubbau am Planeten.

Und bezieht das auf die Goldgräber und auch auf den Walfang?

Er bezieht das auch auf den Walfang, ja, selbstverständlich. Die Zeiten und Rhythmen der Natur unterschieden sich von denen des Menschen, sagt er, und der Weiße Mann respektiere das nicht, er sei ein Draufgänger, falle mit der Tür ins Haus und wundere sich nicht einmal darüber, daß die Natur sich abwende, er merke das offensichtlich nicht, ihm fehle jegliches Mitgefühl.

Die Vergangenheit hole den Menschen ein?

So sagt er es, Ausguck, und nennt das den Fluch der bösen Tat, der den Weißen Mann heimsuche, denn er überlege nicht, bevor er handle, seine Pläne seien nicht ausgereift.

Er handle aus dem Bauch?

So könne man sagen, Ausguck.

Und wundere sich, wenn er sich mit den Konsequenzen konfrontiert sehe.

So sagt es Termoth.

Das hört sich gescheit an, oder?

Wir haben einige kluge Männer auf der ›Boston‹.

Termoth redet auch über die Zukunft?

Über die Moderne sagt er wie Gramner, sie sei eine Epoche destruktiver Technologien und beginne mit der Dampfschiffahrt und dem kalifornischen Goldrausch.

Also jetzt.

Thimbleman lachte bitter. Und wir können sagen, wir seien dabei gewesen, als alles anfing, jedoch fällt kein Ruhmesblatt für uns ab, ganz im Gegenteil. Im Hochgefühl unverhofften Reichtums verliere der Mensch die Bodenhaftung, so sagt Termoth, ignoriere die warnenden Stimmen und setze die natürlichen Grundlagen der eigenen Existenz aufs Spiel.

Die sogenannte Moderne als allerletzte Frist?

Wir werden sie nicht erleben, Ausguck, und haben keinen Einfluß auf die Entwicklung.

Aber wenn wir auf unsere Erzähler hören?

Wir haben keine Chance, Ausguck, da sei ein Stein ins Rollen gebracht, der innerhalb weniger Jahrhunderte zu einer Lawine heranwachse, sagt Termoth, die Lage sei ausweglos.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Außerdienst-Stellung eines Oberhemds

Nächster Artikel

Lass uns Freunde bleiben

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Leben und Mythos

Kurzprosa | Kenzaburô Ôe: Licht scheint auf mein Dach »Ich muss zugeben, dass wir manchmal, besonders ich, die Wut über unseren behinderten Sohn nicht unterdrücken konnten«, heißt es im schonungslos offenen, autobiografischen Band ›Das Licht scheint auf mein Dach‹ (2014) aus der Feder des Literatur-Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe. Er beschreibt darin, wie die Geburt seines Sohnes Hikari sein Leben veränderte, wie er gemeinsam mit seiner Frau vor der schwierigen Frage stand, einer komplizierten Kopfoperation zuzustimmen. Heute ist Hikari Oe über 50 Jahre alt und in Japan ein angesehener Komponist klassischer Musik. Zum 80. Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe am 31. Januar

Ultimativ

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ultimativ

Auch dieser Konflikt hat seine Regeln, Farb.

Tilman schenkte Tee ein und nahm einen Keks.

Einer ist der Schurke, die anderen sind gut?

Mag sein, Farb, aber das spielt keine Rolle.

Ich denke, doch, Tilman.

Von Rügen nach Rom

Kurzprosa | Hartmut Lange: An der Prorer Wiek und anderswo »In der Unheimlichkeit steht das Dasein ursprünglich mit sich selbst zusammen.« Dieser Heidegger-Satz, den Hartmut Lange 1994 seinen Erzählungen ›Schnitzlers Würgeengel‹ vorangestellt hatte, könnte auch als Leitmotiv für den neuen, zehn Novellen umfassenden Band des Berliner Autors fungieren. Von PETER MOHR

Stimmungen und Empfindungen

Kurzprosa | Patrick Modiano: Schlafende Erinnerungen »Es geht in meinen Büchern überhaupt nicht um mein eigenes Leben. Ich benutze nur Empfindungen, die ich gehabt habe, und Stimmungen, in denen ich gelebt habe«, bekannte Patrick Modiano, Nobelpreisträger des Jahres 2014, in einem seiner wenigen Interviews. Und doch schreibt der inzwischen 73-jährige französische Autor, für dessen umfangreiches Werk Paris mindestens ebenso wichtig ist, wie es Köln einst für Heinrich Böll war, stets sanft an seinem eigenen (Er)-Leben entlang. Von PETER MOHR

Entscheidung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Entscheidung

Ob es nicht an der Zeit wäre, fragte der Ausguck, wieder auf Walfang zu gehen.

Die anderen nickten.

Höchste Zeit, bekräftigte London.

Wie lange hatten sie ausgesetzt, überlegte Harmat, sechs Tage?

Die Tage würden ihm lang, die Untätigkeit setze ihm zu, erklärte Bildoon.

Ob die Blessuren vom ersten Fangtag denn ausgeheilt seien, fragte Pirelli.

Alles kuriert bis auf Eldins Schulter, sagte Crockeye.

Eldin schwieg.