Eine Liebesgeschichte? Ein Einblick in therapeutische Verstrickungen? Einfach nur eine Lektüre, die man schnell hinter sich bringt? Es ist von allem etwas, dennoch bleibt am Ende ein etwas enttäuschendes Gefühl, man hatte einfach mehr erwartet, so jedenfalls ging es BARBARA WEGMANN bei der Lektüre von Debra Jo Immerguts neuem Roman Die Gefangenen.
Ach, was gab es an Vorschuslorbeeren: »Bester Spannungsroman«, »Spannung bis zur letzten Seite« oder »atemlos spannend«. – Nein, das alles kann ich nicht teilen.
Es stimmt: Debra Jo Immergut schreibt sehr flüssig, lebendig, angenehm lesbar und vor allem: Sie kennt sich aus im Metier. Seit vielen Jahren unterrichtet die Journalistin kreatives Schreiben in Strafanstalten und genau da spielt ihr erster Roman.
Miranda Greene, eine junge Frau Anfang 30, wurde zu 52 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. »Ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung«. Ihr Therapeut, Gefängnispsychologe Frank Lundquist, erkennt sie in der ersten Sprechstunde sofort wieder. Miranda ist seine große Liebe, aber das liegt lange zurück, sie erkennt ihn nicht. Dennoch überwältigen ihn seine Gefühle, und das führt zu höchst irrealen Geschehnissen.
»Jahre sind vergangen, und Sie denken an irgendeinen schlaksigen Teenager in der Schule, und doch kann das Bild dieses Teenagers vor Ihrem inneren Auge noch immer Ihre Hirnrinde stimulieren, Ihre Atmung beschleunigen.« Für einen Therapeuten, dessen vornehmliche Pflicht die Distanz zum Patienten ist keine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie, wenn die »Hirnrinde« nicht mehr Abstand hält – »Worauf habe ich mich da eingelassen?«
Die Geschichte, die sicherlich manch spannende Einblicke in den Alltag der Anstalt bietet, die von Drogen, Gewalt, Seilschaften hinter Gefängnismauern erzählt, sie zerfranst sich aber auch. Miranda, kurz nur noch »M« genannt im Roman, und Frank erzählen jeweils aus ihrer Perspektive abwechselnd. Dazu Rückblicke, viele Nebenschauplätze, das Aufblättern schwieriger Kindheitstage, Familiengeschichten und das Einbinden von Freunden und Feinden, oft überflüssig und den Pfad der eigentlichen Geschichte viel zu lange verlassend.
Viele Klischees, eine höchst unrealistische Therapeutenarbeit und letztlich die Geschehnisse selbst nagen im Laufe der 300 Seiten an Spannung und Stimmigkeit. Zu viele Ausflüge in Nebenschauplätze, die unnötig und langweilig sind, stoppen Leselust und Erwartung auf den angekündigten fesselnden psychologischen Roman. Die Figuren überzeugen nicht, ihr interaktives Miteinander ist stellenweise unglaubwürdig. Der arme Held der Geschichte, vielleicht ist er es, den man letztlich etwas mitleidsvoll in Erinnerung behält. Immerhin ist er der, der eigentlich eine Therapie gebraucht hätte.
»›Ich möchte Ihnen wirklich helfen. Und wir haben sozusagen eine Vorgeschichte. Nicht wahr?‹ Sie sagte nichts, Ich stammelte weiter. ›sie waren…sie sind…eine wichtige Schlüsselperson für mich.‹« Und weil das so ist, nimmt der Roman eine fast absurde Kurve: »›Flucht, sagte ich. ›Wir holen sie hier raus, sagte ich. ›Sie fliehen‹, sagte ich. ›Von hier.‹«
Titelangaben
Debra Jo Immergut: Die Gefangenen
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
München: Penguin 2020
304 Seiten, 20.- Euro
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