Roman | Paul Mendelson: Die Straße ins Dunkel
Südafrikanische Thriller sind im Laufe des letzten Jahrzehnts in den Fokus auch der deutschen Leser gerückt. Autoren wie Deon Meyer, Mike Nicol, Malla Nunn, Andrew Brown oder Roger Smith erzählen mit ihren Büchern Geschichten aus einem Land im Umbruch.Von DIETMAR JACOBSEN
Gerade die enge Verbindung zwischen klassischen Thrillerplots und einem ungeschönten Blick auf die Verhältnisse am Kap seit dem Ende der Apartheid macht ihre Bücher so interessant und lesenswert. Nun ist mit dem in London geborenen Paul Mendelson (Jahrgang 1965) ein weiterer Autor zu dieser Phalanx hinzugestoßen. ›Die Straße ins Dunkel‹ ist der zweite von bisher drei Romanen um das ungleiche Ermittlerpärchen Vaughn de Vries und Don February vom South African Police Service (SAPS). Deutlicher noch als sein Vorgänger thematisiert er zentrale Probleme der gesellschaftspolitischen Entwicklung im heutigen Südafrika.
Colonel Vaughn de Vries hat es nicht leicht. Für viele verkörpert der Mann die Last der Vergangenheit, die der ›SAPS‹ (South African Police Service) noch mit sich herumschleppt. Aus dem Polizeiapparat des Apartheid-Regimes übernommen, schaut man ihm genau auf die Finger und scheint nur auf den richtigen Anlass zu warten, ihn endlich loszuwerden.
Andererseits werden Männer mit seiner Erfahrung im neuen Südafrika natürlich auch gebraucht. Denn von heute auf morgen ist der Wandel in den staatlichen Strukturen nicht zu schaffen – und das Verbrechen schläft nicht. Also muss man sich wohl oder übel vorerst noch mit dem unbequemen Querkopf abfinden, seine Sturheit und Intoleranz ertragen und über sein chaotisches Privatleben hinwegsehen.
Schatten der Vergangenheit
Die Straße ins Dunkel, der zweite Roman um den Kapstädter Ermittler und seinen ihm als Korrektiv beigegebenen schwarzen Kollegen Don February, setzt ein mit einem Prolog, der in das Jahr 1994 zurückblendet. Als unfreiwilliger Zeuge war der junge Polizist de Vries dabei, als ein Bombenanschlag auf ein Kapstädter Restaurant von den Sicherheitskräften mit einem brutalen Massaker an den Mitgliedern einer schwarzen Familie beantwortet wurde.
Zwanzig Jahre später tötet ein Überlebender jener Nacht nach und nach alle damals auf der Polizeiseite Beteiligten. Und de Vries ahnt: Auch wenn er nur Augenzeuge war, ist er doch durch sein späteres Schweigen über die Ereignisse mitschuldig geworden und muss damit rechnen, dass der methodisch vorgehende und offensichtlich nicht aufzuhaltende Rächer eines Tages auch bei ihm auftauchen wird.
In der Gegenwart beschäftigt ihn und seine Kollegen allerdings ein anderes Verbrechen. Eine weiße Milliardärin und bekannte Kunstmäzenin, Erbin des gewaltigen Vermögens ihres verstorbenen Vaters, eines bekannten südafrikanischen Industriellen, ist brutal ermordet worden. Offensichtlich hat sich der Täter von einem Bild der Fotokünstlerin Dazuluka Cele inspirieren lassen, deren Ausstellung über Gewalt gegen Frauen die unkonventionell lebende reiche Frau gerade gesponsert hat. Stammt der Mörder aus dem Kreis jener Protestanten, die, angeführt von einer Frauengruppe und dem fanatischen Priester einer nahe gelegenen Kirche, für die Schließung jener Anstoß erregenden Ausstellung demonstriert hatten? Oder ist der schwarze Geliebte der Ermordeten der Täter?
Hautfarbe allein ist nicht böse
Die zweite Spur führt de Vries und February zu Bheka Bhekifa, einem der herausragenden Repräsentanten des neuen Südafrika. Er ist der Vater des verdächtigen jungen Liebhabers der Toten. Und obwohl er das Verhalten seines Sohnes nicht zu tolerieren scheint, nutzt er doch seinen gewaltigen politischen Einfluss, um die Ermittlungen von seiner Familie fernzuhalten. Dass er noch ganz andere Gründe hat, um die Arbeit der Polizei zu torpedieren, kommt erst nach und nach ans Tageslicht. Am Ende aber steht für die ermittelnden Beamten die deprimierende Erkenntnis: Die heute in Südafrika die Macht Ausübenden haben zwar in der Mehrheit eine andere Hautfarbe – doch wenn es gilt, oben zu bleiben und die einmal errungenen Privilegien zu verteidigen, unterscheiden sich ihre Methoden gar nicht so sehr von denen ihrer weißen Vorgänger.
In ›Die Straße ins Dunkel‹ kritisiert Paul Mendelson noch deutlicher als in seinem ersten Thriller, ›Das Gute stirbt, das Böse lebt‹ (Rowohlt Polaris, 2014), den Weg, den Südafrika nach dem Ende der Apartheid eingeschlagen hat. Waren die neuen Herrscher einst angetreten, um in einer nicht rassistischen Gesellschaft, in der jedem Menschen seine Chance versprochen wurde, Freiheit und Demokratie durchzusetzen, geht es zwei Jahrzehnte später nur noch um Einfluss und Pfründe. Korruption und Vetternwirtschaft blühen. Und statt, wie viele gehofft hatten, ins Licht, führt der eingeschlagene Weg mehr und mehr in die Dunkelheit zurück.
Mendelson gehört mit zu jenen Autoren, die ihre Kritik an den aktuellen Zuständen am Kap in spannende und gesellschaftlich relevante Thriller umsetzen. Und damit ein Genre, das nur allzu oft ein bisschen zu leicht genommen wird, literarisch aufwerten.
Titelangaben
Paul Mendelson: Die Straße ins Dunkel
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2017
397 Seiten. 16,99 Euro
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