Jenseits von Gotham City

Comic | B.Azzarello/ M.Casali (Texte); G.Camuncoli/ D.Latorre/ G.Parel/ J.Lee (Zeichnungen): Batman: Europa

Es ist eine Binsenweisheit unter den Lesern von Batman-Comics, dass dieser Superheld zwar willens ist, seine Gegner oder Informanten zu Brei zu schlagen und zu foltern, aber dass er die Grenze beim Töten zieht, und diese Grenze ist freilich moralisch und menschenrechtsphilosophisch noch problematischer, als das ansonsten sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gesetzes agierenden Dunklen Ritters. Von PHILIP J. DINGELDEY

Doch möglicherweise wird jetzt selbst diese Binsenweisheit aus dem DC-Comic-Universum hinterfragt, in der Minireihe ›Batman: Europa‹. Gleich eine ganze Armada an Machern ist für die Serie angetreten, nämlich die Autoren Brian Azzarello und Matteo Casali, der Layouter Giuseppe Camuncoli und die Zeichner Jim Lee, Diego Latorre und Gerald Parel.

Batman EuropaZu Beginn stellt Batman fest, dass er von einem scheinbar unheilbaren Virus namens Colossus befallen ist, der ihn innerhalb einer Woche wahnsinnig machen und schließlich sterben lassen wird. Schnell zeigt sich, dass sein Erzfeind, der Joker, ebenfalls vom Virus betroffen ist. Die Spur des noch unbekannten Täters und die Hoffnung auf ein Heilmittel führen nach Europa. Darum muss sich der Held mit dem Schurken verbünden, und beide müssen ihre Kontakte und Fähigkeiten in Europa nutzen, um dem gemeinsamen Feind zu finden. In vier Kapiteln führt das Werk durch Berlin, Prag, Paris und Rom, zusammen mit ihrer Informantin Nina, die als Hackerin für den Unbekannten tätig war und schließlich von dessen Lakaien entführt wird. Das ungleiche Duo kämpft in diesen vier Städten gegen golemartige Holzroboter, Halluzinationen und dem Superschurken Bane, der einst Batmans Willen und Rückgrat brach, und sukzessive fällt der Held dem Wahnsinn und der Paranoia anheim, sodass sogar der Joker am Ende der rationalere Akteur von beiden ist.

Schon vor einer Dekade war diese Miniserie von DC angekündigt und dann doch mehrmals verschoben. Das verwundert nicht, bricht sie doch gleich mit mehreren Konventionen üblicher Batman-Geschichten: Erstens, agiert der Dunkle Ritter hier nicht hauptsächlich in Gotham City oder im Interesse der Stadt, sondern will sein eigenes Leben retten, und das in Europa. Daher wurden auch italienische Zeichner für dieses Werk engagiert. Das kann auch dazu dienen, die europäischen Fans zu befriedigen, indem der Plot einmal auf ihren Kontinent stattfindet, und die Schauplätze zumindest für den atmosphärischen Hintergrund nicht ganz unwichtig sind, zumal gerade Gotham, das typisch US-amerikanisch im Schachbrettmuster gestaltet ist, einen krassen architektonischen Gegensatz zu den alten europäischen Metropolen darstellt, ein Gegensatz, der zeichnerisch aber jeweils nur kurz angedeutet wird.

Insgesamt ist es schade, dass der actiongeladene Comic eine sehr hohe Geschwindigkeit annimmt und daher nur wenig Platz für die Handlung und die Beschreibung der Städte in Bild und Wort bleibt. Etwa bleiben die Beschreibungen beschränkt auf Hinweise auf Franz Kafkas Werk und den Golem in Prag, auf die Mauer in Berlin oder auch auf die archäologischen Funde in Rom. Dafür werden beispielsweise einige Details über den Joker aufgedeckt, etwa dass er fließend Französisch spricht und in der Pariser Boheme mehrere Anhänger hat.

Die Unterteilung von Gut und Böse zerfällt

Doch nicht nur mit der Konvention des Schauplatzes wird gebrochen. Denn Zweitens, verschwimmt hier auch nach und nach die sonst in Superhelden-Comics sehr simpel und strikt konstruierte Distinktion von Gut und Böse (lässt man einige zwielichtige Protagonisten wie Catwoman einmal außen vor). Denn nicht nur müssen hier zwei Erzfeinde, müssen Gut und Böse gegen ein anderes Böses kooperieren, sondern auch ihre Charakterzüge verschwimmen. Darum inszeniert sich der unbekannte Schurke auch beim ersten Aufeinandertreffen in Paris als eine übermenschliche Mischung der Charaktere – sprich: Batmans Intellekt und Jokers Wahnsinn – und bleibt ergo zunächst unerkannt. Durch den Virus nehmen die Erkrankten auch immer mehr Züge des jeweils anderen an: So wird Batman aggressiver und scheint zunehmend bereit, auch das Leben des Jokers auszulöschen und verbalisiert dies auch auf wahnsinnige Weise, während der eigentliche Bösewicht ihm einmal das Leben rettet.

Ähnlich wie etwa schon in den Comic-Meisterwerken ›Arkham Asylum‹ zeigt sich hier, dass per se Batman gar nicht so verschieden von seinen Gegnern ist – in der Tat hat es sowohl für Batman als auch den Joker einen furchtbaren Tag in ihrem Leben gebraucht, um aus der Gesetzmäßigkeit des sozialen und legalen Raumes herauszutreten. ›Batman: Europa‹ legt nahe, dass Joker und Batman einfach nur zwei Seiten einer Medaille sind, zwei Seiten, die sich bekriegen und doch in einer psychotischen, für Gotham gefährlichen Symbiose agieren. Das vorherige Gleichgewicht wird aber durch den Colossus-Virus erschüttert und die Seiten vermischen sich, ein diabolischer Streit ihres gemeinsamen Feindes.

Etwas unklar ist nur, wo sich dieser Comic chronologisch im Batman-Universum bewegt: Der Joker etwa agiert ohne seine (frühere?) Geliebte Harley Quinn; unklar bleibt aber, ob sie in dieser Version überhaupt schon existiert, zumal er zu Anfang des Comics sehr jugendlich wirkt, bis der Virus ihn sukzessive körperlich verfallen lässt. Auch Bane ist in dieser Version (wieder) süchtig vom Venom-Gift, obgleich er nach der ›Knightfall-Saga‹ einen Entzug davon durchgemacht hat und gar keine Anschlüsse für das Serum mehr an seinen Körper hatte. Und der Schurke Killer Croc wirkt wieder so animalisch, wie zu Zeiten der ›Hush-Saga‹, obgleich es dort am Ende hieß, er erhielte eine medizinische Behandlung, die ihn wieder ein wenig menschlicher mache. Zu Zeiten von ›Batman: Hush‹ war aber Bane schon lange nicht mehr vom Venom abhängig und der Joker hatte seine Freundin schon zuvor gefunden. Es bleibt also unklar, wann genau die Europa-Serie spielt, irgendwo zwischen diesen Sagen oder ganz am Ende, aber warum dann diese Widersprüche?

Jede Episode bekommt ihre eigene zeichnerische Note

Batman Europa LeseprobeDafür sind die Zeichnungen von Camuncoli, Lee, Latorre und Parel ausgesprochen gelungen und vielschichtig. Begonnen wird noch mit dem bunten, realistischen und detaillierten Zeichenstil, der für zeitgenössische Superheldencomics üblich ist, mit Fortschreiten und Ausbreiten des Virus in den Körpern der beiden Protagonisten werden die Zeichnungen und Aquarelle aber zunehmend absurder, verzerrter, chiffrierter – mal surrealistisch, mal expressionistisch – und in ihrem Stil immer düsterer. Vor allem in der zweiten Hälfte scheint es, dass die Macher sich Anleihen nicht nur von der Intention, sondern auch den Zeichnungen Anleihen des Bandes ›Batman. Arkham Asylum‹ von Grant Morrison und Dave McKean genommen haben. Auch dadurch bekommt jede Episode ihre eigene individuelle Note.

Somit ist der Zweiteiler ›Batman: Europa‹ ein schnell zu lesendes Werk, das mit Konventionen bricht, ausgesprochen gute Zeichnungen aufweist und eine, in Relation zu anderen Batman-Comics tiefgreifende Story aufweist, die bis auf ihr zu rasantes Vorgehen und einigen Widersprüche in der zeitlichen Einordnung zu anderen Bänden, das Potential hat, das Batman-Universum zu revolutionieren.

| PHILIP J. DINGELDEY

Titelangaben
Brian Azzarello/ Matteo Casali (Texte), Giuseppe Camuncoli/ Diego Latorre/ Gerald Parel/ Jim Lee (Zeichnungen): Batman: Europa
Stuttgart: Panini 2016
140 S., Softcover, 14,99 Euro
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