Kulturbuch | Arno Gruen: Wider den Terrorismus
In seinem Essay über die Ursachen terroristischer Aktivitäten mahnt uns Arno Gruen, unsere Sensibilität nicht mit Schwäche zu verwechseln, im Gegenteil, es handle sich um eine zutiefst menschliche Regung. Ganz im Gegensatz dazu verberge sich hinter der Aufwallung von Omnipotenz die Lust am Untergang. »Es schmerzt uns, was in der Welt geschieht.« Von WOLF SENFF
Ideologien, als Heilsversprechen ausgegeben, würden als Grund für terroristische Aktivitäten dienen; aber auch die Politik, der »nur das Töten als Lösung« einfalle, trete hilflos auf. In beidem sieht Arno Gruen eine beschränkte Menschlichkeit, der »wahres Mitgefühl für das Lebendige« fehle. Prototyp dafür sei der machohaft männliche Charakter, geprägt von einer verwöhnenden Mutter und einem dominanten, autokratischen Vater.
Politiker als Handlanger
Das ist nicht eben neu, ebenso wenig die an den männlichen Charakter geknüpfte Projektion von Größe, Besitz, Erfolg als höchsten Zielen – und damit verbunden sei das Gefühl, Opfer zu sein, was wiederum als Hass gegen einen vermeintlich äußeren Feind umgemünzt werden könne. Diese diffizilen Zusammenhänge würden nur allzu gern für entsprechende politische Propaganda nutzbar gemacht.
Das Gefühl, nur Opfer politischer Entwicklungen zu sein, habe im Zuge der Globalisierung beträchtlich zugenommen, zumal Politiker sich generell lediglich als Handlanger der ökonomischen Globalisierung verstünden.
Zwei Strategien
Das gegenwärtig massiv anwachsende Elend kümmere die Politik wenig. Gewalttätige Veränderung durch Rebellion berge jedoch stets die Gefahr, nicht wirkliche Freiheit anzustreben, sondern lediglich neue autoritäre Strukturen, sie bringe lediglich »angestaute Wut zum Ausbruch«, womöglich von vornherein verbunden mit dem Wunsch nach Rache und, schlimmstenfalls, der Sehnsucht nach einem Führer. Gruen sieht hier einen Teufelskreis von sich ständig erneuernder Macht und Herrschaft, ihm geht es um gänzlich anderes, um die Befreiung des Selbst und um Autonomie der Persönlichkeit.
Er hält zwei Wege für unverzichtbar. Erstens müsse sich Politik um die materielle Not kümmern, anstatt ein weiteres Anwachsen von Not und Elend billigend in Kauf zu nehmen. Der zweite Weg ist am Individuum orientiert, und Arno Gruen kommt wieder auf seine Kategorie des Machohaft-Männlichen zurück, für die – »Leitmotiv unserer Weltzivilisation« – Kampf, Eroberung und Unterdrückung im Mittelpunkt stehe.
Selbstmordattentäter
Kategorien wie Leid, Schmerz, Trauer und Gefühle allgemein würden als Zeichen von Schwäche interpretiert, sie würden individuell eher verdrängt und abgewehrt. »Der Mann« sei jedoch ständig durch die Angst bedroht, den eigenen Klischees nicht gerecht zu werden. Deshalb sei es »kein Zufall, dass die Ideologien, die das Mitgefühl am tiefsten verachten und dem männlichen Mythos von Stärke und Größe besonders hemmungslos huldigen, die faschistischen sind. Jede faschistische Spielart verherrlicht den Tod.«
Das bringt uns zurück auf das Thema dieses Essays, den Terrorismus, der auch in seiner Selbstmordattentätervariante exakt diesen Männlichkeitstypus reproduziere.
Die ausgeglichene Persönlichkeit
Die erwähnte zweite, individuelle Methode liege darin, sich der Erfahrung von Leid, Schmerz, Trauer zu stellen bzw. sie bereits in der Kindheit zu verarbeiten, daraus erwachse eine Fähigkeit zum Mitgefühl, Altruismus sei eine Quelle der Kraft. Gruen ruft die Erwachsenen auf, die Eltern, sich nicht als Herrscher, als Machthaber zu zeigen, sondern die Sensibilität der Kinder zu fördern. Damit wird teilweise eingefordert, was während der siebziger, achtziger Jahre zum Alltag moderner Pädagogik gehörte; aber offenbar muss das wieder zum Thema öffentlicher Debatten werden.
›Wider den Terrorismus‹ zeigt uns nach den vielen Publikationen, die sich vorwiegend mit der ökonomischen Krise, den bedrohlichen Auswirkungen der Globalisierung beschäftigen, die sozusagen seelische Komponente der gegenwärtigen Krise. Arno Gruen beschreibt das krisenhafte, psychisch instabile Individuum der Gegenwart und entwirft Grundzüge für eine ausbalancierte Persönlichkeit.
Titelangaben
Arno Gruen: Wider den Terrorismus
Stuttgart: Klett-Cotta 2015
98 Seiten, 12 Euro
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