//

Wer austeilt, muss einstecken

Film | Im TV: ›TATORT‹ Niedere Instinkte (MDR), 26. April

Nach zehn Minuten hab‘ ich spontan ausgeschaltet. Ich hatte glaub‘ ich nichts verstanden, kein Stück. Kindesentführung und kein Sexualdelikt. Wasserrohrbruch. Tibetanische Zen-Gesänge. Das ist zu viel, das überfordert jeden. Sicherheitshalber hab‘ ich mich aber doch noch informiert: ein bewährter, erfahrener Regisseur, ein vielversprechendes Ensemble, und zögernd hab‘ ich mich dann eingeklinkt. Von WOLF SENFF

Bild: MDR / Saxonia Media / Junghans
Bild: MDR / Saxonia Media / Junghans
»Meine Tochter kommt zurück«, sagt die Mutter über das vermisste Kind: »Es ist alles Gottes Wille. Sie lebt.« Schön, wenn jemand Bescheid weiß und sich in seiner Gewissheit durch nichts erschüttern lässt. ›Niedere Instinkte‹ beginnt in gewisser Weise ›multikulturell‹, nur dass sich leider diese Kulturen bzw. diese grundverschiedenen Welten gegeneinander völlig verriegeln. Der Vater, taubstumm, passt wie Faust auf Auge.

Nichts geschieht ohne Grund

»Ich will nach Hause«, sagt die achtjährige Magdalene. Gut, sie lebt noch, aber sie wird gefangen gehalten. »Du bist doch hier zu Hause«, bekommt sie sogar zu hören. Nein, der Wirklichkeit zugewandt ist man nicht, im Gegenteil, hier lebt jeder in seiner eigenen Welt. ›Niedere Instinkte‹ macht sich das zum Prinzip. Jeder darf, wie er kann. Keppler zum Beispiel, rotzfrech, hat keine Ahnung, wie man sich in einer Kirche aufführt. Unglaublich, wie mag das alles ausgehn, der Film gewinnt an Profil.

›Niedere Instinkte‹ ändert, hohe Kunst, seinen Charakter, er wird in seinem mittleren Teil auf eine erhebende Weise unernst. Nein, er wird nicht komisch, wird keine Parodie, wird nicht albern. »Herrgott was mach ich denn jetzt? Ich bin für so was der Falsche.« Das ist ultimative Einsicht in einer ausweglosen Situation, das ist bewundernswert, das findet sich selten dieser Tage. »Nichts geschieht ohne Grund. Und es geschieht mir recht.«

Diese Frau bleibt ein Rätsel

Keppler präsentiert darüber hinaus eine originelle, augenzwinkernde Hinwendung zum Zuschauer, ohne peinlich zu werden, die Dialoge mit seiner Ex erhalten von mir, von den Traumsequenzen einmal abgesehen, alle verfügbaren Sterne zugesprochen, Keppler glänzt. Es ist waghalsig, in dieser Handlung die Balance zu halten, zumal die Ermittler aus der uns bisher vertrauten Rolle fallen. Saalfeld und Keppler geben ihre Abschiedsvorstellung, das machen sie mit Bravour, sie sind unersetzlich, wir werden sie vermissen.

Der zu lösende Fall tritt darüber beinahe in den Hintergrund, aber ›Niedere Instinkte‹ ist raffiniert getaktet, und plötzlich ist die Spannung wieder da, diesmal sind es möglicherweise Zufälle, die den Zusammenhang stiften, wir wissen es nicht, wir ahnen es nur. Wir erleben viel seelisches Elend, Monika Prickel (Susanne Wolff), der Frau des Lehrers – sie bleibt uns ein Rätsel –, wird äußerst übel mitgespielt. Wer austeilt, muss auch einstecken können.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Niedere Instinkte (Mitteldeutscher Rundfunk)
Ermittler: Martin Wuttke, Simone Thomalla
Regie: Claudia Garde
Sonntag, 26. April, 20:15 Uhr, ARD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Classic Album Review: Booth And The Bad Angel

Nächster Artikel

Türen, nein,

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Brecht und der Film

FilmFritz Lang/Bertolt Brecht: Auch Henker sterben Der Titel dieses Films ist auch vielen bekannt, die ihn nie gesehen haben: Hangmen Also Die – auf Deutsch: Auch Henker sterben. Das kommt: Autor der Story ist kein Geringerer als Bertolt Brecht. Offiziell steht der Name des amerikanischen Mitarbeiters John Wexley für das Drehbuch im Vorspann. Auch Brechts Koautor, zugleich der Regisseur, trägt einen berühmten Namen: Fritz Lang. Aber es lässt sich nicht leugnen: dieser 1943 in den USA gedrehte Film bleibt zurück hinter dem übrigen Werk Brechts und auch hinter sowohl den deutschen Vorkriegsfilmen wie den amerikanischen Filmen Fritz Langs. Von THOMAS

Die Schöne und die Biester

Film | Im Kino: I, Tonya Dass Tonya Harding die wohl berühmteste Eiskunstläuferin der Geschichte der Sportart ist, liegt nicht unbedingt an ihren Fähigkeiten auf dem Eis. Das Attribut »berühmt-berüchtigt« passt im Fall der US-Amerikanerin im Wortsinn; weltbekannt wurde sie 1994 durch ihre Verbindung zu dem Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan. Craig Gillespie hat das Leben der »Eishexe« – so nannten sie die Medien – mit Margot Robbie in der Hauptrolle verfilmt. FELIX TSCHON will wissen: »Wie gut kann die Biografie einer Eiskunstläuferin uns unterhalten?«

Es wird sich schon alles fügen

Film | Fimfestival Mannheim-Heidelberg. Reykjavik: Ein Film von Ásgrímur Sverrisson, Island Immer wieder hat es Filmbe- oder verurteilende gegeben, die irgendwann meinten, sie könnten es auch, möglicherweise sogar besser als diejenigen, deren Arbeit sie analysierten, bewerteten. Häufig ist es schief gegangen, sind mäßig intelligente oder auch wenig unterhaltsame Streifen zusammengedreht und auch -geschnitten worden. Andererseits überwiegen die aus dem Aufbegehren der Theoretiker hervorgegangenen absoluten Größen, die gegen diejenigen anschrieben, die häufig literarische Stoffe blutleer und lustlos verfilmten. Von DIDIER CALME

Dünnes Eis – ein Ocean’s Film ohne »Danny Ocean«

Film | Im Kino: Ocean’s 8 Wenn keine geringere als die Schwester von Danny Ocean fünf Jahre im Knast verbringt – und das auch noch unschuldig – kann das nur eins bedeuten: Debbie Ocean nutzte die gesamte Zeit, um sich einen Racheplan auszudenken. Denn, was ihr Bruder kann, das sollte für sie doch ein Klacks sein! Der Schuldige, ein fieser Galeriebesitzer, wird büßen, soviel ist klar. Sie weiß auch genau, wie. Doch sie muss es allein schaffen, ohne ihren Bruder. Gelingt es, die beliebte Ocean’s-Reihe mit einer rein weiblichen Besetzung wiederzubeleben? ANNA NOAH sitzt mit gemischten Gefühlen in einem ungewohnten

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF