/

»Heftige Gefühle entwickeln«

Menschen | Zum Tod des Filmregisseurs Joseph Vilsmaier

»Das Filmen ist nicht nur mein Beruf, es ist auch mein Hobby, seit ich 14 bin. Da kommt also alles zusammen. Das versuche ich so gut wie möglich zu machen“, hatte Joseph Vilsmaier vor knapp drei Jahren rückblickend in einem Interview bekannt. Von PETER MOHR

Er war zwar mit der Kamera groß geworden, doch als Regisseur war der Ur-Bayer, der in ganz jungen Jahren in einer Jazzband spielte, ein Spätberufener. Vilsmaier stand schon kurz vor seinem 50. Geburtstag, als ihm mit der Verfilmung von Anna Wimschneiders Memoirenband ›Herbstmilch‹ der große Durchbruch gelang.

Der Familienbetrieb Vilsmaier war über viele Jahre in der Filmbranche eine feste Größe. Neben Ehefrau Dana Vavrova, mit der der Regisseur von 1986 bis zu deren Krebstod 2009 verheiratet war, standen auch die Töchter Janina, Theresa und Josefina schon früh vor der Kamera. Das Mädeltrio verkörperte in ›Marlene‹ die junge Dietrich in verschiedenen Altersstufen. Dieser Film ist ein Vilsmaier von A bis Z – er fungierte als Produzent, Regisseur und Kameramann in Personalunion.

Nach ›Herbstmilch‹ wurde Vilsmaier zunächst spöttisch als »Heimatfilmer« bezeichnet – ein Etikett, mit dem der ausgebildete Kameramann und einstige Klavierstudent keine Probleme hatte. Heimat hatte für Vilsmaier nicht nur eine geografische, sondern auch eine historische Dimension: »Deutsche Geschichte ist auch Heimat.« Die Auseinandersetzung mit der Historie zog sich wie ein roter Faden durch Vilsmaiers erfolgreiche Regiearbeit: von ›Herbstmilch‹ (1988) über die Neuverfilmung von ›Stalingrad‹ (1992), über die ›Comedian Harmonists‹ (1997) und ›Marlene‹ (1999) bis hin zu ›Gustloff‹ (2008).

Joseph Vilsmaier, der am 24. Januar 1939 in München als Sohn eines Flugzeugtechnikers geboren wurde, begann als 14-jähriger bereits mit einer kameratechnischen Ausbildung. Später arbeitete er als Kameraassistent, Kameramann, Drehbuchautor und Produzent. Vor der Kamera fand er auch sein privates Glück. Bei Dreharbeiten zu der TV-Serie ›Ein Stück Himmel‹ lernte er Anfang der 1980er Jahre seine spätere Ehefrau Dana Vavrova kennen, die in vielen seiner Produktionen mitwirkte.

Heiner Lauterbach, Katja Flint, Katja Riemann, Ben Becker, Armin Rohde, Heino Ferch, Susanne von Borsody oder Ulrich Noethen (um nur einige zu nennen): Joseph Vilsmaier gelang es stets, die Schauspieler-Elite für seine Filme zu gewinnen. Dabei hat er nie nach dem Zeitgeist geschielt und sich auch an vermeintlich unverfilmbare Stoffe heran getraut.

Ende 1993 erhielt Vilsmaier einen Brief seines Filmkomponisten Norbert Schneider: »Lieber Joseph, ich sitze gerade über einem Buch, das mich nicht loslässt.« Es handelte sich um Robert Schneiders eigenwilligen Roman ›Schlafes Bruder‹, den Vilsmaier darauf hin selbst begeistert verschlang und sich unverzüglich mit dem Schriftsteller traf. Es entstand nicht nur der Kinofilm, sondern auch eine Freundschaft zwischen Regisseur und Schriftsteller.

Es waren oft prägende persönliche Erlebnisse, die Vilsmaiers Begeisterung für einen Stoff auslösten. Vor der Verfilmung der »Comedian Harmonists« war der Regisseur dem einzig überlebenden Mitglied der Vokalgruppe in Palm Springs begegnet: »Da stand mir deutsche Geschichte unmittelbar gegenüber«, erinnerte sich Vilsmaier an die Begegnung mit dem 1998 verstorbenen Roman Cykowski.

Der Bayrische und der Deutsche Filmpreis zierten den Trophäenschrank des Filmenthusiasten, der sogar für den Golden Globe und für den Oscar (›Schlafes Bruder‹) nominiert war. Joseph Vilsmaiers Zielsetzung war es, »aus dem Bauch heraus«, Geschichte in bewegte Bilder zu verwandeln: »Ich kann keine Theorie entwickeln oder danach arbeiten. Ich drehe und montiere so, dass sich bei mir heftige Gefühle entwickeln.«

Sein letzter großer Wurf war ihm mit dem gemeinsam mit Reinhold Messner gedrehten ›Nanga Parbat‹ (2010) gelungen, bei dem Vilsmaier selbst noch einmal hinter der Kamera stand. Der dokumentarische Kinofilm mit Florian Stetter in der Hauptrolle hat die Geschichte der tragischen Expedition von 1970 nachgezeichnet, bei der Reinhold Messners jüngerer Bruder Günther ums Leben kam. Am Dienstag ist Joseph Vilsmaier in München im Alter von 81 Jahren gestorben.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Nächstes Jahr geht er als Clownfisch

Nächster Artikel

Neue Subjektivität

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Beklemmend, unwiderstehlich

Film | TV: TATORT – Vielleicht (RBB), 16. November Kommissar Stark (Boris Aljinovic) legt in seinem letzten ›TATORT‹ gut auf. Eine Frau träumt von Dingen, die sich später tatsächlich ereignen werden; ein tragfähiger und origineller Ansatz, der uns glaubhaft ins Bild gesetzt wird. Klar, dass der Mord aus den ersten Träumen sich nicht verhindern lässt und real wird, er muss nun aufgeklärt werden, und weitere kündigen sich an, Trude Bruun Thorvaldsen hat erneut geträumt. »Ich träume oft Dinge, die dann passieren«. Von WOLF SENFF

Offen-verworren und brillant-stringent

Film | Neu auf DVD: Die Wolken von Sils Maria Sils Maria ist ein Ortsteil von Sils, welcher in der Schweiz, Kanton Graubünden liegt. Dank des angenehmen Klimas und der schönen Lage zog es viele Schöngeister dorthin, die in Ruhe ihre Inspiration finden wollten. So auch der Regisseur Wilhelm Melchior, welcher eine Neuauflage seines erfolgreichen Theaterstückes ›Die Malojaschlange‹ plant. Von ANNIKA RISSE

Neu und frisch aus Magdeburg jetzt; aus Erfurt in Kürze

Film | Im TV: Polizeiruf 110 – Der verlorene Sohn (MDR), 13. Oktober Der Polizeiruf Der verlorene Sohn entführt uns in die rechtsradikale Szene Magdeburgs. Gut, das ist nicht eben originell, aber es ist Realität. Die Absicht, einmal wieder Politik zu thematisieren, ist lobenswert, auch wenn die CDU bereits vor Ausstrahlung via BILD zu bedenken gab, das Bild Magdeburgs, das dieser Polizeiruf zeichne, könne sich negativ auf den Tourismus auswirken. Ojeh, Probleme haben die Leute! Von WOLF SENFF

Im Reich des großen Bären

Film | Im Kino: Der große Bär (Den kaempestore björn) »Er ist zu gefährlich, um zu leben«, sagt der Jäger über den großen Bären. Sein Wald liegt jenseits der meterhohen Steinmauer um das Haus des Großvaters, den Jonathan und seine kleine Schwester Sophie besuchen. Nie dürften sie durch die kleine Tür in der Mauer durchschreiten, warnt der Großvater. Durch diese Tür verschwindet Sophie … Von LIDA BACH

Die Kannibalen, das sind wir

Film | Im Kino: Zeit der Kannibalen   Weitläufige Flure, klimatisierte, in braun und grau gehaltene Suiten und das ewig-heilige schwarz der Anzüge:  Johannes Naber ist mit ›Zeit der Kannibalen‹ eine herrlich zynische Momentaufnahme der wirtschaftlichen Barbarei gelungen. Von ALBERT EIBL