Abdrücke der Verstorbenen

Film Spezial | JFFH 2015: Unknown Town, Japan 2015, OmeU, Donnerstag, 28. Mai, 20 Uhr

Nach wenigen Minuten ›Unknown Town‹ ist sofort präsent, was der Zuschauer an einigen japanischen Filmen des Japan Filmfest Hamburg zu schätzen gelernt hat: Sie kommen unprätentiös daher, sie werfen ihn nicht zu mit Effekthascherei, sie wollen nicht verblüffen, sie seifen ihn nicht ein, sie ersticken ihn nicht mit Wohlgefühl, sympathischer Ausstrahlung etc. pp. Von WOLF SENFF

Unknown Town_600pxEs ist eher Alltag angesagt in ›Unknown Town‹, jedenfalls kein Karneval, nicht Party, infantil war gestern. Der Zuschauer lässt sich auf eine nüchterne Atmosphäre ein, wie sie unter erwachsenen Menschen üblich ist.

Ein dreiviertellanger Schlafanzug

Die Schauplätze sind lapidar, spröde: eine Straßenkreuzung ohne Grün, eine spartanisch möblierte Wohnung. Ein erfrischend farbiges Sofa mit Pflanzen- und Blümchenmuster wird von hier nach dort transportiert, es wirkt verlassen und heimatlos. Bald drängt das Geschehen heran, seine Figuren wirken bedrückt, gelegentlich skurril, von einander genervt.

An der Wohnungstür klingelt eine mysteriöse Frau. Sie behauptet, einst hier mit ihrem verstorbenen Partner namens Goto gewohnt zu haben, jemand nimmt einen Geist wahr, die Ereignisse schwenken behutsam in eine wenig linear komponierte Daseinsebene, kausale Verknüpfungen treten in den Hintergrund. Ein kleiner Junge wird als Wiedergänger empfunden, die neu angemietete Wohnung ist nicht ganz geheuer, ein Nachbar betritt im adretten Schlafanzug, dreiviertellang, einen Fahrstuhl, das Geschehens ist nicht ohne Humor, doch es erschließt sich nicht im Handumdrehen.

Auf schnörkellosen Pfaden

Wir kehren das einmal um und stellen erfreut fest, dass ›Unknown Town‹ sich der Frage nach dem Sinn des Ganzen behutsam annähern will – diese Herangehensweise ist eher selten geworden, und überhaupt haben wir uns abgewöhnt, die Frage nach dem Sinn zu stellen. Kein Wunder, möchte man sagen angesichts der täglich über uns hereinbrechenden organisierten Sinnlosigkeit unserer Freizeitindustrie.

Dieser Film präsentiert, in westlicher Terminologie beschrieben, einen reduzierten, minimalistischen Ansatz, er verzichtet auf naseweise Geschwätzigkeit und motiviert den Zuschauer, sich auf einen schnörkellosen Weg nach dem Sinn zu begeben.

Eine nicht oberflächliche Frage

Und wie sollte es anders sein, wir werden verwirrt. Wir erleben ein für japanische Verhältnisse »zänkisches« Pärchen Miyako und Hajime, wir erleben einen ›Wiedergänger‹, einen Geist Goto an der Seite seiner Ex Nakazawa, der sich unversehens wieder in Luft auflöst, er hatte schon zuvor Identitätsprobleme. Nur das bezaubernde heimatlose Sofa findet einen Weg nach Hause, wie schön, und der erwähnte Junge mit dem Schulranzen rundet das Geschehen ab.

›Unknown Town‹ ist ein Film, der sich behutsam verschiedene Realitätsebenen öffnet, der seinen Figuren mit großem Respekt begegnet – auch das hat kennt man hierzulande vom Film eher selten – und die weißgott nicht oberflächliche Frage aufwirft, welche Abdrücke die Verstorbenen in uns hinterlassen bzw. in welcher Weise sie gegenwärtig bleiben. Doch ›Unknown Town‹ ist kein weinerlicher oder melancholischer Film, sondern er kommt uns erfreulich pragmatisch auf die Leinwand, nicht ohne Humor, wir haben lange Einstellungen, und die gelegentlich verwackelnden Kameras passen zu einem Film, der sich mit Fragen von ungewisser Identität und fragwürdiger Beständigkeit auseinandersetzt.

Das Thema selbst läuft weder einem modischen Trend hinterher noch einer auf den Nägeln brennenden Aktualität, es mag dem »westlichen Denken« gar weltfremd vorkommen. Es ist mit Shintoismus und Buddhismus jedoch in der japanischen Kultur verwurzelt, weist auf eine spirituelle Verbindung der Lebenden mit ihren verstorbenen Angehörigen und hat von daher einen seriösen Platz in einer Präsentation japanischen Filmschaffens. Wer diesen Film genießen möchte, muss sich von eingefleischten Sehgewohnheiten lösen können.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›Unknown Town‹, Japan 2015, OmeU, 98 Minuten
Regie: Shingo Ouchi
Donnerstag, 28. Mai, 20 Uhr
Studio-Kino Bernstorffstraße

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zwischen Kinderzeichnungen, Partys und Bomben

Nächster Artikel

Die Freunde lächeln sehen

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Femme fatale, männerverschlingend

Film | Im TV: Tatort – Am Ende des Flurs (BR), 4. Mai Schön, man kann sagen, da zieht ein Täter von Anfang bis Ende sein Ding durch, konsequent, in aller Unschuld, einverstanden, kein Einwand. Wie so oft beginnt das Geschehen vergleichsweise unauffällig. Lisa Brenner, die bis vor anderthalb Jahren ein Verhältnis mit Franz Leitmayr hatte – man weiß davon noch nicht, der Herr Kommissar mag nicht mit der Sprache herausrücken, das wird ihm noch leidtun –, nun stürzt sie aus dem zwölften Stock. Wie sich bald herausstellt, trank sie den Champagner nicht alleine. Von WOLF SENFF

Vom Staat, den es nicht gibt

Film | Filmfest auf der Alster Hamburg, 18. bis 21. September 2014 Zum Filmfest Hamburg wird freiluft auf der Binnenalster ein Vorlauf vom 18. bis 21. September gezeigt, das Filmfest in geschlossenen Räumlichkeiten beginnt am fünfundzwanzigsten. Das Filmfest Hamburg hat traditionell diverse Themenbereiche, in der ›Sektion Deluxe‹ werden Filme aus ausgewählten Ländern oder Regionen vorgestellt: Iran (2013), davor Quebec (2012), auch Finnland (2006), auch Österreich (2005). Von WOLF SENFF

Der passionierte Kinogänger

Menschen | Zum Tode von Peter W. Jansen Einem langjährigen Freund, einem journalistischen Copain und beruflichen Kompagnon nachzurufen, den man sowohl als Kollegen schätzte wie als Mensch liebte, kehrt für einen ersten und letzten Moment Persönlichstes nach außen, wo es zu seinen Lebzeiten seinen Platz nicht hatte und auch nicht hingehörte. Nichtschwule Männerfreundschaften, die durch berufliche Parallelen gestiftet und – selten genug – durch Konkurrenz, Neid & Karrieren nicht gefährdet oder gar wieder zerstört wurden, sind diskret, intensiv, robust und dauerhaft. Sie bestehen stillschweigend & selbstverständlich auch dann noch fort, wenn im jeweils danach gelebten Leben der zeitweilige enge berufliche

Vier Folgen à neunzig Minuten

Film | Serie | Im TV: Das Verschwinden am 22., 29., 30., 31. (ARD) Der Schluss kommt hammerhart. War das ein Krimi? Schon, gewiss, ja, doch das interessiert weniger. Und nein, eine Schusswaffe taucht nirgendwo auf. Eine vierteilige Serie, jeder Teil hype-mäßig als Doppelfolge angekündigt, also voll das Gewese. Und? Lohnt sich’s? Ja, das würde WOLF SENFF so sagen, doch, unbedingt.

Dem Traum folgen

Menschen | Film | Werner Herzog: Eroberung des Nutzlosen Spektakulär wie der Film ›Fitzcarraldo‹ ist auch das Tagebuch von seinen Dreharbeiten 1981. Über zwanzig Jahre später hat es Werner Herzog ruhen lassen und nun erst veröffentlicht: eine Selbsterfahrungstrip, ein Expeditionsbericht von einem Dschungelabenteuer an der Seite des tobsüchtigen Klaus Kinski. Von WOLFRAM SCHÜTTE