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Dem Traum folgen

Menschen | Film | Werner Herzog: Eroberung des Nutzlosen

Spektakulär wie der Film ›Fitzcarraldo‹ ist auch das Tagebuch von seinen Dreharbeiten 1981. Über zwanzig Jahre später hat es Werner Herzog ruhen lassen und nun erst veröffentlicht: eine Selbsterfahrungstrip, ein Expeditionsbericht von einem Dschungelabenteuer an der Seite des tobsüchtigen Klaus Kinski. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Werner Herzog Eroberung des NutzlosenIch erinnere mich noch vage an alarmierende Berichte aus dem peruanischen Dschungel, wo der junge deutsche Filmregisseur Werner Herzog angeblich herrschte wie Joseph Conrads unheimlichster Held, der Elfenbeinjäger Kurtz, im ›Herz der Finsternis‹. Es war von »imperialistischem Gehabe« und Indianeraufständen die Rede – damals 1979, als Werner Herzog seinen wenige Jahre zuvor dort entstandenen ›Aguirre – der Zorn Gottes‹ (1972) mit seinem zweiten Anden/Amazonas-Film »Fitzcarraldo« noch übertrumpfen wollte: diesmal mit viel Hollywood-Geld (Francis Ford Coppola), Hollywood- und Popstars Stars (Jason Robards und Mick Jagger) und europäischen Größen wie Claudia Cardinale und Mario Adorf.

Die reportierte Erregung legte sich bald, Herzog war mit seiner Crew in Konflikte mit dort missionierenden und/oder Öl suchenden Amerikanern geraten. Man fand einen modus vivendi – aber das Film-Projekt drohte nun daran zu scheitern, dass der Fitzcarraldo-Darsteller Jason Robards im Dschungel erkrankte und panikartig das Weite suchte, sodass die Dreharbeiten ein halbes Jahr ruhten, bis Herzog, dieser grandiose Abenteurer unter den deutschen Regisseuren, wieder einmal auf Klaus Kinski als Ersatz verfiel, der nach ›Aguirre‹ nun zu ›Fitzcarraldo‹ wurde – jenem »Eroberer des Nutzlosen«, der sich als reich gewordener Kautschuk-Baron vorgenommen hatte (koste es, was es wollte), in Manaus, mitten im Amazonas-Gebiet, ein großes Opernhaus zu bauen, in dem Enrico Caruso sang.

Der Wahnsinnige und der Tobsüchtige

Über diese Dreharbeiten (1980/81) mit Kinski, der so etwas wie Herzogs filmisches, fiktionales Alter ego war – die beiden haben ja auch den »Woyzeck«, den ›Nosferatu‹ und ›Cobra verde‹ noch zusammen gedreht –: Über das wahnwitzige Rencontre Herzogs mit dem hysterischen Exzentriker, Schreihals und Tobsüchtigen im peruanischen Dschungel kursierten später die haarsträubendsten Anekdoten und Gerüchte, in denen von Morddrohungen und maßlosen Demütigungen die Rede war, von permanentem Chaos ohnehin.

Werner Herzog, dessen erratisches filmisches Oeuvre in den Siebziger und Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zurecht Weltgeltung besaß und derzeit wie von der Bildfläche verschwunden ist, hat 1999 die Drehorte von ›Aguirre‹ und ›Fitzcarraldo‹ wieder aufgesucht (meist längst überwuchert), Archivmaterial gesichtet und gewissermaßen sich noch einmal in den Ruinen und Resten einer großen Vergangenheit aufgehalten und als Selbstdokumentarist mit »Meinem liebsten Feind«, nämlich dem verstorbenen Kinski, in dem gleichnamigen Film ein imaginäres Gespräch geführt. Ein Gedenken.

Jetzt hat Werner Herzog unter dem ›Fitzcarraldo‹-Zitat ›Eroberung des Nutzlosen‹ Tagebuch-Notizen rund um die Dreharbeiten veröffentlicht, von denen er behauptet, es sei ihm unmöglich gewesen, sie in den vergangenen Jahren »auch nur zu lesen«. Heute, 24 Jahre später, sei es ihm allerdings schwergefallen, seine damals mikroskopisch kleine Handschrift zu entziffern. Es ist ihm gelungen – und ein wüstes, außerordentliches Abenteuer-Buch dazu. Im Vorwort schreibt Werner Herzog, es träten einem in diesen Aufzeichnungen »innere Landschaften, aus dem Delirium des Dschungels geboren« entgegen, so trifft er gewissermaßen nachzitternd aufs Entschiedenste den Charakter des unsicheren, gewittrigen, fiebrigen Geländes aus Wahnsinn, Ohnmacht, Mut, Verzweiflung, Triumph und Niederlage, in das uns seine Notate entführen. Weder darf man sich davon Beschreibungen von den Dreharbeiten noch eine vollkommene Transparenz aller Ereignisse und der daran beteiligten Personen erwarten.

Der im Zorn von Gott verlassene Urwald

Hier schrieb jemand in abgeschlossener Einsamkeit, was er erlebt, geträumt und realiter durchgemacht hat während einer Expedition im Unversicherbaren, Unwirtlichen, Unvorhersehbaren und im Angesicht einer feindlichen, befremdlichen Natur (und ihrer kaum beschreibbaren Schönheiten), uneins mit der steten Empfindung, sich einer Landschaft auszusetzen, sich in ihr aufzuhalten und ihre Widrigkeiten zu bezwingen, die »unfertig und von Gott im Zorn verlassen« worden ist. Herzog agiert wie ein Clanführer, ein Häuptling, der für Wohl und Wehe seines Stamms in zwei weit auseinanderliegenden Camps zu sorgen hat, immer wieder zurückkehren muss in die »Zivilisation« der fernen Großstädte, um für den Fortgang der von Hoch- und Niedrigwasser, von ausgebliebenen Lebens- und Arbeitsmitteln, von Apathie und Fiebrigkeit, Unfällen und Katastrophen bedrohten, verzögerten, ja auch: verunmöglichten Arbeit an seinem Film die notwendigen finanziellen Mittel zu be- und heranzuschaffen. Und vor allem: Er muss den kühlen, klaren, mit Geduld und Zähigkeit gesegneten Kopf behalten, um seine zusammengewürfelten Mannschaften aus Indianern und Europäern, aus Kameraleuten, Schauspielern, Handwerkern, Baumfällern, Schiffsbauern, Köchen und Prostituierten beisammen, bei Laune und gelegentlich »unter Dampf« zu halten, besonders wenn Kinski wieder einmal, d.h. laufend, mit seinen Tobsuchtsanfällen das Lager durcheinanderbringt, so dass einmal zwei Indianerhäuptlinge ebenso freundschaftlich wie vertraulich den offenbar bemitleidenswerten Regisseur fragen, ob sie den unerträglichen Quälgeist für ihn nicht töten sollten.

Dabei scheint Herzog nur der »kalte« und Kinski der »heiße« Verrückte zu sein: der eine als Stratege, der ein fernes Ziel im Auge behält, der andere als ein Terrorist des Augenblicks, der sich nur genießt, wenn er sich öffentlich als angemaßter Tyrann darstellen und verzehren kann, wie ›Aguirre‹, der sich zum Zorn Gottes erklärt und seinen Landsknechts-Haufen ins Verderben und Verschwinden führt, wohingegen Herzog seinen ›Fitzcarraldo‹ am Ende doch ins schöne Gelingen manövriert.

Das Dampfschiff am Berghang

Das Opernhaus in der (heutigen) Millionenstadt Manaus im Amazonas-Becken gibt es, und Caruso hat tatsächlich dort auch gesungen. Aber als Herzog auf den historischen Stoff gestoßen ist, hatte er nicht im Sinn, ihn zu rekonstruieren, sondern ihn poetisch zu imaginieren. Für die surreale Idee eines Opernhauses im Dschungel fand er oder »krallte« sich bei ihm »fest« (wie er in einem Prolog des Buchs schreibt): die Vision eines großen Dampfschiffs, das sich aus eigener Kraft einen steilen Hang im tiefsten Dschungel hinaufbewegt und einen Berg überwindet, um in ein anderes Flussbett zu gelangen. Eine monströse, animistische, Naturgesetze verrückende Metapher – und es war der verrückte Kinski, der Herzogs Willen, das Traum-Bild realiter in die Tat umzusetzen, für Wahnsinn hielt. Was die idee fixe auch war – und blieb. Zwar sehen wir im Film ein Dampf schnaufendes Schiff in Schieflage an einem Dschungel-Hang, aber an Tauen und Seilen wird es hinaufgewuchtet, ohne doch in der Realität sein Ziel zu erreichen.

Das Unmögliche wider die Schwerkraft der physischen Welt zu erreichen: Das ist die (absurde) Utopie des Filmmachers Herzog gewesen; im Scheitern »titanisch« zu werden, seine ästhetische Hoffnung. Herzog wollte im ›Fitzcarraldo‹ gewissermaßen dem Urphantasten Mélies durch eine Potenzierung des Urrealisten Lumière ein leuchtendes Licht aufsetzen: Und die träge Physis bewegt sich doch – bis ins Phantastische! Was für eine wahrhaft athletische Anstrengung in der physischen Realität war da geplant – bevor die elektronische Illusionsmaschinerie der Spielberg und Lucas eine täuschende Ähnlichkeit mit dem Realen leichthin als Computer-Simulation zustande und sogar Saurier zum Springen bringen würde!

Das und die Schifffahrt durch gefährliche Stromschnellen ist der zentrale reale Hintergrund für die »Eroberung des Nutzlosen« und die unendlichen, verwickelten Anstrengungen der Produktion von »Fitzcarraldo«. Aber das Ziel, das nur schemenhaft im Buch auftaucht, verschwindet nahezu vollständig hinter dem mäandrierenden Weg, dessen stockender oder strömender Weg Werner Herzogs Notizen begleitend heraufrufen: Wie ein halluzinatorisches Delirium anekdotischer Momentaufnahmen während einer abenteuerlichen Expedition, bei der »der Teufel das Logbuch schreibt«. Die physische Strapaze und die Fülle sinnlicher Erfahrungen, die im Camp und im Dschungel zu machen waren, sind in Herzogs Buch viel präsenter als im ›Fitzcarraldo‹-Film, der die fiktionalisierte Oberfläche präsentiert, deren dokumentarisches und halluzinatorisches Unterfutter in den Aufzeichnungen Herzogs uns nun erst in seiner ganzen Fülle vor Augen kommt – und auch die poetischen Verdichtungen des Prosaautors Werner Herzog.

Delirium der wunderbaren Wirklichkeit

Die von manchen lateinamerikanischen Autoren beschworene »wunderbare Wirklichkeit« – so muss man es jetzt aus den niedergeschriebenen Erfahrungen des deutschen Lebensexpressionisten Werner Herzog entnehmen – ist ebenso wirklich wie wunderbar, so dass zu ihrem Poeten wird, wen (wie Herzog) der Erlebnisort damit imprägniert: »Das Bett war voll von getrockneter Rattenscheiße, Staub auf allem, das Wasser läuft nicht mehr, die Bananenstauden rascheln im Wind, aber ich bin mit nichts mehr gemeint (…) Das Leben fliegt mir davon wie ein Laub«. Oder, wahllos aus den Notizen gegriffen, diese poetische Epiphanie: »Draußen kam die Nacht heran. Als ich ins Freie trat, stand sie dunkel und wartend zwischen den Bäumen«.

Die ›Eroberung des Nutzlosen‹ strotzt vor solchen ekstatischen Bildern (oder auch Personen und Handlungen!), die sich bis ins Städtische erstrecken, wenn z.B. Herzog mit einem Motorrad durch ein Kino in der Amazonas-Stadt Iquitos fährt: »Nach der Vorführung der Muster, die ich, wie meist, durchschlief, regnete es so schauerlich, dass ich mein Motorrad vor den Sintfluten bergend durch einen Seiteneingang ins Kino vor die Leinwand fuhr, dann den Mittelgang zwischen den Stuhlreihen hoch, dann durch die Damentoilette in die vordere, vergitterte Eingangshalle, wo ich es stehen ließ«.

Sicher: Ein paar Mal zu oft ist hier die voll- und großmutige Rede vom »Zorn Gottes« oder von der Rachsüchtigkeit des Dschungels, der als personifiziertes Faszinosum des Naturfeindlichen beschworen wird; aber – mein Gott und Joseph Conrad! – wie wunderbar doch auch wieder wurde hier geschrieben und evoziert: »Ich blickte mich um, und im selben siedenden Hass stand zornig und dampfend der Urwald, während der Fluss, in majestätischer Gleichgültigkeit und höhnischer Herablassung, alles abtat: die Mühsal der Menschen, die Last der Träume und die Qualen der Zeit«.

| WOLFRAM SCHÜTTE

Titelangaben
Werner Herzog: Eroberung des Nutzlosen
München: C. Hanser Verlag 2004
335 Seiten, 21,50 Euro
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